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Freude erleben - trotz Alzheimer

Erste Beiträge zu unserem
pdf-Datei (69 KB) Schreibaufruf

  1. pdf-DateiDas Gedächtnis des Herzens gefunden in der Zukunftswerkstatt therapie kreativ 
  2. An der Demenz können wir nicht ändern - aber an unserer Einstellung
  3. Auch das Glück gehört zur Demenz
  4. Urlaub vom Pflegestress
  5. Die Schönheit der Rose
  6. Clownin Pico in der Tagespflege
  7. Was macht der Clown?
  8. Liebe und Herzlichkeit werden möglich
  9. Lebensqualität mit Demenz
  10. Blumen schenken macht Freude
  11. Quellen der Freude: Hund, Katze und Stoffente
  12. Im Tierpark
  13. Freude erleben trotz Alzheimer?
  14. Schöne Momente
  15. "Do you speak english?"
  16. Muttertag
  17. Wir können mehr tun als wir oft denken!
  18. Erinnerungscafé
  19. "Ausflug" in den eigenen vier Wänden
  20. Der weiße Tiger
  21. Frühjahrsurlaub
  22. Tommy der Pferdeflüsterer
  23. Fahrt ins Erzgebirge
  24. Laurentia, liebe Laurentia mein
  25. Auf Händen getragen
  26. Der Kunstpfeiffer
  27. Kinder als Therapie
  28. Ich genieße es...
  29. Freudentränen
  30. Doch (da) ist Freude
  31. Die klitze kleinen Freuden...
  32. "Weißt du, was ich dich hab?"
  33. Stumme Freude
  34. Der Eva-Tag
  35. Die Erdanziehungskraft mit Berliner Luft
  36. Die blauen und die grauen Tage
  37. Zum Fenster
  38. Glück ist, wenn meine Schwima wieder lächelt
  39. Bewegt die Seele, dann bewegt sich der Körper (Böhm)
  40. Der Bademeister
  41. Wie macht man einen Demenzkranken glücklich?
  42. Humor ist, wenn man trotzdem lacht
  43. Wege aus dem Adventstief - hinein in die Weihnachtsfreude
  44. Das letzte Weihnachsfest meines Vaters
  45. Ein ganz besonderes Geschenk
  46. Pour Elise
  47. Die Musik als Schlüssel
  48. Erlebnisse und Gedanken zum Tanzcafé
  49. Momente der Freude
  50. Eine Frage der Einstellung
  51. Beim Friseur
  52. Lichterfahrt
  53. Glück empfinden – trotz Alzheimer
  54. Tipp zum Glücklichsein
  55. Herta
  56. Die geheimen Botschaften
  57. Freude
  58. Demenz - kein Widerspruch zu Lebensfreude Netzzeitung.de 04.01.08
  59. Die Geschichte eines Kalenderblattes Bild.de 09.01.09
  60. Marilyn Monroe kann gut schwimmen

An der Demenz können wir nicht ändern - aber an unserer Einstellung

Ulrike Halmschlager: Ilse, wo bist Du? Unsere Mutter hat AlzheimerSeite 101:
Wenn wir von Alzheimer sprechen, denken wir automatisch an die Vergangenheit.
Wir denken an die Fähigkeiten die verloren gegangen sind.
Wir denken an die Zukunft, die den Tod erahnen lässt.
Wir erzeugen damit ein riesiges Angstfeld – Ärger, Wut und Unverständnis, Scham und Hilflosigkeit.

Gefühle von Betroffenen und Angehörigen könnten auch anders sein.
Wenn wir im Jetzt stehen, können wir uns freuen über das, was noch geht.
Das Leben wird dadurch leichter.
Wir könnten ganz bewusst dieses Jetzt beobachten, spüren und in unseren Körper hineinfühlen.

Seite 74:
Interessant ist auch, dass Ilse ... alles, was sie denkt, laut ausspricht und darüber lacht. Die Selbstgespräche in Satzfetzen und Gedankenbruchstücken dauern bis zu einer Stunde. Es sind emotionale Botschaften mit zwei verstellten Stimmlagen. Eine für sie befreiende Phase der Krankheit und auch für uns. Es ist ein wenig so, als ob geheime Informationen plötzlich aus ihr herausbrechen. Der Umgang mit Ilse wird dadurch einfacher. Wir können gemeinsam lachen.

Ulrike Halmschlager Salzburg, Autorin, Filmemacherin, Kamerafrau Ilse, wo bist du?
(Diese Texte finden sich auf den pdf-DateiSeiten 101 und 74)

Auch das Glück gehört zur Demenz

Besteht aber nicht auch die Gefahr der Verharmlosung der Erkrankung?

Ich wollte kein Buch schreiben, das Ängste schürt. Meine eigenen Ängste waren schlechte Ratgeber. Wir haben gelernt: Glück ist weiterhin möglich. Krankheitsverläufe bei Demenz sind sehr unterschiedlich. Manche Verläufe lassen das, was uns passiert ist, nicht zu. Zum Glück gab und gibt es bei uns viele schöne Momente, und darüber wollte ich schreiben, auch das kann zur Demenz dazugehören.

Haben Sie Demenz-Fachliteratur gelesen?

Nein. Das hätte ich am Anfang wohl tun sollen. Ich bin der Krankheit hinterhergestolpert. Ich war unfähig, mir ein komplexes Bild zu machen, unfähig meinen Vater zu verstehen. Ich wollte ihn rausreißen aus seiner Lethargie, habe ihm immer gesagt, was er wieder falsch macht, was für Quatsch er redet. Dabei brauchte er Zustimmung, Geduld, eine Stütze im Alltag – keinen Besserwisser an der Seite.

Auszug aus einem pdf-DateiInterview mit dem österreichischen Buchautor Arno Geiger (Der alte König in seinem Exil), Der Tagesspiegel 27.02.11

Urlaub vom Pflegestress

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Die Sonne scheint ins Café, der Vorhang flattert im Wind, und vor den großen Fenstern tanzen weiße Schaumkronen auf der Ostsee. Walburg Bartoschek und ihr Mann Karlheinz machen Urlaub auf Rügen. Auf demselben Planeten und doch ist jeder in seiner Welt. In diesen Stunden sind es besonders schöne Welten, heller und fröhlicher als sonst. Das Ehepaar ist für elf Tage unterwegs mit der Berliner „Alzheimer Angehörigen Initiative“ (zu sehen in „exclusiv – Urlaub mit Alzheimer-Kranken“, 21.6., 13.15 Uhr, Das Erste). Elf Tage, in denen die beiden ein Stück Normalität zurückgewinnen, eine Lebensqualität, die bis 1997 selbstverständlich war. Bis sich die Krankheit in ihr Leben schlich: Der 79-Jährige Karlheinz Bartoschek hat Alzheimer.

Alte Freiheit neu erleben

Selig blickt Walburg Bartoschek auf die knallrote Erdbeertorte. „Ich war ganz gerührt, als ich die liebevoll eingedeckte Kaffeetafel gesehen habe. Ich bin es nicht mehr gewohnt, dass sich jemand um mich kümmert“, sagt die 73-Jährige. Wann hat sie das Leben zuletzt so genossen? Wann hat Freude die Sorgen mal in den Schatten gestellt? Wann bekam ihr Leben mit ihrem kranken Mann jemals Flügel? Für Walburg Bartoschek ist dieser Urlaub ein Geschenk. In dieser Zeit steht jedem der 15 Erkrankten ein Betreuer zur Seite, ein Team von jungen Altenpflegern ist vom Auf- stehen bis zur Nachtruhe im Einsatz. „Tagsüber gibt es gemeinsame Erlebnisse wie die Kaffeerunden, Ausflüge zum Hafen oder in Künstlerwerkstätten“, sagt Rosemarie Drenhaus-Wagner (64), die Initiatorin dieser Reisen. „Wir achten darauf, dass die Angehörigen auch mal ganz unter sich sind.“ Shoppen, spazieren gehen, walken oder einfach reden – mit Menschen, die nicht viele Wörter brauchen, um ihre Worte zu verstehen. „Aus den Gesprächen nimmt jeder etwas mit: Man wird vorbereitet auf die Zukunft, auf das, was noch kommen kann“, sagt Walburg Bartoschek. „Man erfährt, wie die Angehörigen ihr Leben mit der Krankheit meistern. Vielleicht helfen meine Gedanken dem einen oder anderen auch ein bisschen weiter.“

Die „Alzheimer Angehörigen Initiative“ holt seit 1999 Familien aus der Einsamkeit und trägt sie für ein paar Stunden oder Tage zurück in ein Becken der Lebensfreude. Nicht nur mit den Reisen in die Lüneburger Heide oder an die Ostsee, auch mit Tanzcafés, Gesprächsabenden oder Zoobesuchen in Berlin. Rosemarie Drenhaus-Wagner hat als Altenpflegerin erkannt, dass nicht nur die Patienten Hilfe brauchen. In Deutschland leiden 1,2 Millionen Menschen an Alzheimer, zwei Drittel von ihnen werden zu Hause gepflegt. Von Ehepartnern, meist sind es die Frauen. Oder Kinder, häufig die Töchter. „Immer sind sie im 24-Stunden-Einsatz, einen Dank gibt es nie“, sagt Drenhaus-Wagner.

Wenige Inseln im Alltag

Menschen wie Walburg Bartoschek halten viel aus, weil sie den Kranken lieben, auch wenn er heute nicht mehr der ist, in den sie sich verliebt haben. Der Freundeskreis hat sich nahezu aufgelöst, Freiheiten und Spontaneität gibt es nicht mehr, geduldig beantwortet sie die sich ständig wiederholenden Fragen ihres Mannes. Walburg Bartoschek: „Ich lebe wie in einem Spinnennetz: Ich könnte meinen Mann nie in ein Heim geben, daran würde ich zerbrechen. Aber das Leben mit ihm zu Hause zermürbt mich auch.“ Ihr Mann ist antriebslos, auch stur und ruppig, alle Gefühle sind versiecht. „Aber ich denke, Karlheinz erkennt mich noch …“

Da wirken die Reisen mit dem Selbsthilfeverein wie eine Kraftkur. „Es hat mich große Überwindung gekostet, mich dort anzumelden. Mein Mann gab mir das Gefühl, ihn zu verraten, weil ich seine Krankheit preisgebe. Heute bin ich so glücklich, dass ich den Mut hatte, denn die Initiative hilft uns beiden.“ Es ist wie eine neue Familie. Eine Familie, die man sich selbst aussucht, die wieder große Momente schenkt. Und die beide Welten erreicht.

Mirja Rumpf, Hamburg, Chefreporterin HÖRZU/ pdf-DateiFUNK UHR / BILDWOCHE / TVneu

Die Schönheit der Rose

Ilse Biberti Hilfe, meine Eltern sind alt - Wie ich lernte, Vater und Mutter mit Respekt und Humor zu begleiten 208 Seiten, € 18,-
UllsteinIch beschließe, die Irritationen, die seine Endlosschleifen auslösen, positiv zu nutzen. Ich kaufe eine wunderschöne einzelne Rose, stelle sie in sein Arbeitszimmer. Es funktioniert, viele Dutzend Male kommt mein Vater zu mir, beschreibt die Schönheit der Rose, dann hat er es vergessen: »Da war doch was?« Er entdeckt sie erneut. »Hast du mir die Rose hingestellt?«

»Ja.«

»Wunderbar, die Natur ist doch einzigartig, so etwas Schönes und völlig sinnlos.«

»Ihr Sinn ist, dich zu erfreuen.«

»Ja, das ist ihr gelungen, und dir auch, danke.«

Diesen Trick wende ich jetzt täglich mit neuen schönen Sachen an.

Ilse Biberti, Berlin, Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin
und Autorin des Buches Hilfe, meine Eltern sind alt
(Dieser Text findet sich auf Seite 211)

Clownin Pico in der Tagespflege

Wiebke Plett (alias Pico) und Hanna Scotti (alias Bella)Irgendwo scheppert es laut. Die herbeieilende Altenpflegerin findet eine bekümmerte alte Dame, die einen Becher mit Saft umgestoßen hat. Aufgeregt wischt sie über die nasse Tischdecke, trippelt in die Pfütze am Boden und versucht, das Malheur ungeschehen zu machen. Sie wird ganz ärgerlich. Da kommt Pico, die Clownin, greift sich einen leeren Plastikbecher und lässt ihn fallen.

“Oh“, ruft sie, lacht verschämt und schaut entschuldigend in die Runde. Einige der Tagesgäste schauen aufmerksam auf. Da geschieht was ganz und gar Ungewöhnliches. Als Pico dann einen weiteren Becher fallen lässt und gleich noch aus ihrer Hosentasche drei Bälle zaubert und auf den Boden wirft, glätten sich die mürrischen Sorgenfalten der alten Dame. Sie findet das komisch, Pico fällt ebenfalls ständig etwas runter und das ist gar nicht so schlimm.

Pico hat geholfen, die aufkeimende Eskalation zu beruhigen. Paradoxes Handeln verwandelt manchmal traurige, ängstliche oder ärgerliche Stimmungen für einen Augenblick in Leichtigkeit. Das ist vielleicht einer der Schlüssel, warum an Demenz erkrankte Menschen in einem Clown einen Verbündeten sehen. Er macht dauernd Fehler und es ist ihm egal. Welche Erleichterung! Pico mit Jeansmütze und leuchtend roter Nase ist selbst schon eine Seniorin. Sie hat noch einmal die Schulbank in einer Clownsschule gedrückt, weil sie für sich selbst einen Weg suchte, die Freude am Leben zu erhalten, trotz oder gerade wegen des eigenen Alterns. Jetzt teilt sie diese Lebensqualität mit anderen Menschen und fühlt sich durch die Momente von Verbundenheit und einem ganz eigenen Verständnis für unser aller Unvollkommenheit reich beschenkt.

Hanna Scotti Bremen

Was macht der Clown?

ClownDer Clown richtet sich jeweils an eine Person und versucht, mit ihr Kontakt zu bekommen. Das kann lange dauern. Oft sitzt er zwanzig Minuten bei einer Person. „Aus diesem Kontakt macht der Clown etwas”, fährt Trudy fort. „Er nimmt zum Beispiel einen Schal oder einen Ball und spielt damit, in der Hoffnung, dass der alte Mensch darauf reagiert. Oder er atmet mit ihm zusammen und bringt dann Töne hervor oder singt. Er möchte den Demenzkranken einen Moment Freude schenken. Sie sind für kurze Zeit wieder im Hier und Jetzt. Erfahren die Freude, die es bereitet, Kontakt mit jemand anders zu haben und wahrgenommen zu werden. Ihre Stimmung hellt sich auf, und sie werden ruhiger.

Wilbert Smit IDé – Innovatiekring Dementie, Amsterdam

Liebe und Herzlichkeit werden möglich

Elise Müller (Name geändert) konnte Gefühle nie gut zeigen. Ihre Kinder erlebten sie als eher verschlossene, angepasste, an Ordnung und Leistung orientierte Frau und strenge Mutter. Herzlichkeit und Wärme gingen kaum von ihr aus.

Die zweite Krankheitsphase einer Demenzerkrankung bringt es mit sich, dass manche Haltungen, manches enge Korsett, das wir uns im Leben angeeignet haben oder das uns anerzogen worden ist, zunehmend von uns abfallen. Diese Haltungen sind in Bereichen des Gehirns verortet, die von Krankheitsschädigungen früh betroffen sein können. Wir werden durch eine Demenz teilweise wieder weniger normorientiert und vor allem emotionaler und unmittelbarer in unserem Gefühlsausdruck.

Genau so ist es bei Elise Müller: Obwohl die Kinder und ihre Mutter selbst ihre zunehmenden geistigen Einschränkungen und ihren Verlust an geistigen Fähigkeiten leidvoll erleben, ergeben sich auch viele Momente des Glücks. Die Kinder lernen die Mutter von ihrer emotionalen und kindlichen Seite kennen. Sie lässt sich nun liebevoll umarmen und herzen. Das genießt sie sichtlich. Über vieles können Mutter und Kinder gemeinsam lachen und sich auch an kleinen Dingen freuen. Die Kinder erleben eine neue Zeit mit ihrer Mutter – mit Momenten der Glückseligkeit, die sie trotz aller Mühen nicht würden missen wollen

Guenther.Schwarz@eva-stuttgart.de, Stuttgart, Leiter der Alzheimer-Beratungsstelle und Fachberatung Demenz (Erstveröffentlichung in pdf-Datei (69 KB) Schatten und Licht 2/2008


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Lebensqualität mit Demenz

Wera Lemont (Name geändert) war eine allein erziehende Mutter von drei Kindern. Sie hat viel gearbeitet und hatte es nicht leicht im Leben. Trotzdem war sie kein Kind von Traurigkeit und hatte Sinn für das Schöne im Leben. Mit 70 Jahren hat ihre Demenzerkrankung begonnen. Einige Jahre später wechselte sie in ein Pflegeheim, weil alle drei Kinder berufstätig waren. Im Heim war sie schwierig zu betreuen, weil sie sehr aktiv war beim Räumen und Transportieren von Dingen – auch von Gegenständen, die anderen Bewohnern gehörten. Es war aber auch schwierig für sie: Harte und bestimmende Worte bis hin zu Beschimpfungen und Ausgrenzung waren an der Tagesordnung; sie schüchterten Wera Lemont immer mehr ein. Dann ist sie in einen besonderen Betreuungsbereich nur für Demenzkranke gewechselt. Dort kann sie schalten und walten, räumen und aktiv sein, wie es ihr beliebt. Die anderen demenzkranken Bewohner nehmen es ihr nicht übel, die Betreuenden freuen sich meistens über ihren Aktivitätendrang. Ihr Gesichtsausdruck hat sich zusehends entspannt. Oft ist ein sanftes, manchmal auch leicht verschmitztes Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen.

Guenther.Schwarz@eva-stuttgart.de, Stuttgart, Leiter der Alzheimer-Beratungsstelle und Fachberatung Demenz (Erstveröffentlichung in pdf-Datei (69 KB) Schatten und Licht 2/2008


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Blumen schenken macht Freude

Obwohl mein Mann schon vor gut zwei Jahren an einer Demenz-Erkrankung verstorben ist, möchte auch ich meinen Beitrag zu diesem Thema leisten, da meine Erinnerung noch sehr präsent ist.

Zur kurzen Einleitung:

Die ersten zwei Jahre der Erkrankung erlebten wir beide mit großer Angst, Verzweiflung, Zweifel an den Diagnosen der vielen Ärzte, immer Hoffnung auf einen Irrtum und Genesung, wer von uns Pflegenden kennt diese Gefühlsschwankungen nicht! Von Freude waren wir in dieser schlimmen Phase weit entfernt.

Dann endlich war ich in der Lage das Wort „Demenz“ anzunehmen, die Krankheit zu akzeptieren und mich kundig zu machen. So bekam ich Kontakt zur Alzheimer Angehörigen-Initiative e. V. und ganz besonders herzlichen Zuspruch und Anleitung von Frau Drenhaus-Wagner. Im Nachhinein weiß ich mit Sicherheit, allein, ohne Kontakte, ohne Austausch der Sorgen und Nöte, diese Pflege wäre für mich eine unüberwindbare Hürde gewesen. Als ich dann endlich begriff, dass Trübsal blasen nicht wieder gesund macht ließ ich sie endlich wieder zu, die Freude. Diese positive Stimmung übertrug sich natürlich sehr schnell auch auf meinen Mann, sodass wir beide viel lachten und fröhlich waren. Wir waren beide glücklich über jeden Tag des Zusammenseinsund haben somit jeden Tag Freude erlebt, nämlich die, dass wir noch ein Stück des Lebens gemeinsam gehen konnten.

Mit zunehmendem Krankheitsbild änderte sich vieles, aber so lange mein Mann essen konnte, ohne verschlucken usw., waren für ihn die Mahlzeiten die Freuden des Tages, der natürlich bekam er immer das, was er gerne aß, seinen geliebten Schokoladenpudding, am liebsten täglich.

Freude, verbunden schon mit wochenlanger Vorfreude, bedeuteten für uns auch die vielen Betreuten Urlaube nach Boltenhagen, mein Mann wurde verwöhnt, ich entlastet, es ging uns einfach gut. Auf unserer ersten Reise fand ich in einer sehr lustigen Situation, mein verschollen gegangenes Lachen wieder. Zum Glück habe ich es sehr lange festhalten können.

Eine ganz liebe Begebenheit etwas ausführlicher berichtet:

Unsere Tochter Yvonne kam Samstagmittag, um ihren Vater im Rollstuhl spazieren zu fahren. Der Weg führte sie über unseren Wochenmarkt, damit ihr Papa etwas zu gucken hat, als er abrupt versuchte mit den Füßen zu bremsen. Sie hielt ihm entsetzt einen Vortrag, wie gefährlich das sei, schaute sich um und begriff; sie standen vor einem Blumenstand. Sie erinnerte sich, dass ihr Papa als gesunder Mann mir sehr oft Blumen geschenkt hat. Da hat sie eine wunderschöne Rose gekauft und mein Mann hat sie wie den größten Schatz bis zu unserer Haustür fest umklammert. Als ich sie entgegennahm, sah ich in seiner Mimik so viel Freude und Glück, für mich selbst war es die liebste Blume in 36 Ehejahren. Schöne Erinnerungen sind auch die Besuche von Oskar, der Boxerhund unserer Tochter. „Pass schön auf“, nahm er so gewissenhaft, dass über Stunden nur Freude und Lachen bei uns zu Gast waren.

So gäbe es sicherlich viele kleine Geschichten aus dieser langen Krankheit und Pflege zu berichten; ich selbst habe in dieser Zeit gelernt: Freude, Man muss sie sehen und auch annehmen!!

Jutta Eggenmüller, Berlin, 2. Vorsitzende der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Quellen der Freude: Hund, Katze und Stoffente

Ich selbst bin kein pflegender Angehöriger im eigentlichen Sinne gewesen, ich war die Tochter eines Demenz-Kranken.

Auch für die Kinder ist die Diagnose Demenz sehr schwer. Ich war gerade 20 Jahre alt, als diese Diagnose bei meinem Vater gestellt wurde. Ich stand dem ganzen hilflos gegenüber. Wie mit meinem Vater umgehen, wie meiner Mutter helfen und trösten? Die Krankheit war schwer im Kopf zu erfassen, zu begreifen. Sie bedeutete im Ganzen, dass sich die Rollen zwischen meinem Vater und mir tauschen würden. Der Vater, der immer für mich da war und mir half, benötigte nun selbst Hilfe. Meine Hilfe!

Am Anfang war es mir fast unmöglich mit den aufkommenden Defiziten meines Papas umzugehen. Ich wohnte am Beginn der Krankheit noch zu Hause und erlebte jede Veränderung mit. Für mich kam der Wendepunkt, als ich auszog und meine Eltern nicht mehr ständig um mich herum hatte. Ich begriff, dass unsere gemeinsame Zeit begrenzt war und jede Stunde mit meinem Vater wurde zu etwas Wertvollem, Kleinigkeiten bekamen eine andere Bedeutung.

Freude trotz Alzheimer, dass habe ich bei meinen Eltern erlebt.

Die Freude trotz der Krankheit gemeinsam mit meiner Mama durchs Leben zu gehen, sah man meinem Vater oft im Gesicht an. Z. B. wenn meine Mama meinen Papa auf einen der vielen Spaziergänge, welche sie zu Anfang noch unternahmen, auf einer Parkbank, später im Rollstuhl in den Arm nahm. Oder Sie ihm, trotz der Schwierigkeiten beim Essen, unterwegs ein Eis oder ein Stück Kuchen kaufte und unbeirrt der komischen Blicke von anderen Passanten ihm beim Essen half. Das Strahlen in den Augen wenn meine Mama ihm einen Kuss gab oder das herzhafte Losprusten, wenn Meine Mutter ihm einfach nur lauthals falsch vorsang.

Die Freude spürte man aber auch bei meiner Mutter. Nachdem sie begann die Krankheit zu akzeptieren kam auch ihr Lachen wieder. Sie freute sich über die kleinen Dinge des Lebens wie wenn zum Beispiel mein Papa Ihre Hand nahm und drückte, oder sie gemeinsam in den Betreuten Urlaub fahren konnten. Menschen, die offen und herzlich auf sie zugingen und sich nicht abwandten wie z. B. die Alzheimer Selbsthilfegruppe. Diese verhalf meinen Eltern die Krankheit zu akzeptieren und damit kam auch ihr Lachen wieder.

Und was ist eine meiner schönsten Geschichten über die ich selbst noch heute, 2 Jahre nach dem Tod meines Vaters, lachen muss?

Ich war mit meinem Hund Oskar zu Besuch bei meinen Eltern. Mein Mutter und ich saßen in der Küche während mein Vater im Wohnzimmer im Liegesessel ein kleines Schläfchen machen sollte. In seiner Hand hielt er Schnatterrienchen (das war eine kleine Plüsch-Ente, die quakte wenn man sie drückte). Wenn etwas war oder mein Vater wollte, das einer kommt, sollte er Schnatterrienchen drücken, das quaken würde uns dann sagen, dass wir kommen sollen.

Mein Hund Oskar hatte immer die Angewohnheit nach meinem Vater zu sehen, wenn er in einem anderen Zimmer war als meine Mutter und ich.

So absolvierte Oskar auch dieses Mal in regelmäßigen Abständen seine Kontrollgänge, um nach dem Rechten bei meinem Vater zu sehen.

Meine Mutter und ich tranken gerade Kaffee als ein nicht aufhören wollendes Quaken von Schnatterrienchen ertönte. Ich ging ins Wohnzimmer, um nach dem Rechten zu sehen. Was ich da erblickte war ein herrlicher Anblick. Mein Vater hielt Schnatterrienchen mit der Hand am einen Ende fest umklammert, war bereits zur Hälfte vom Liegesessel gerutscht, und mein Hund zog am anderen Ende an Schnatterrienchen um diese Plüsch-Ente zu ergattern... Warum auch, so dachte sich wohl Oskar, sollte nur mein Papa alleine Spaß haben mit der Plüsch Ente. Nun wäre er ja auch mal an der Reihe. Und mein Vater hatte seinen Spaß dabei und lachte laut prustend.

Eine andere Begebenheit, wo wir noch lange drüber gelacht und uns gefreut haben, war auf einem Spaziergang. Mein Vater wollte aus seinem Rollstuhl heraus und ein paar Schritte am Arm von meiner Mutter gehen. Oskar hatte nichts Eiligeres zu tun, als auf den Rollstuhl zu springen und sich neben meinem laufenden Vater im Rollstuhl herum schieben zu lassen.

Freude und Dankbarkeit kann man aber auch in stillen Momenten erleben.

Als ein kleiner Kater von 8 Wochen in meine Wohnung einziehen sollte, wollte ich den kleinen Wirbelwind als erstes meinen Eltern vorstellen. Die lange Fahrt nach Berlin, die vielen Menschen machten den kleinen Kater nervös und aufgeregt, er war kaum zu beruhigen.

Bei meinen Eltern angekommen holte ich den Kater aus seinem Katzenkorb und der kleine suchte umgehend den für sich sichersten Platz auf: Auf dem Bauch meines im Liegesessels liegenden Vaters!

Mein Papa, zu diesem Zeitpunkt bereits stark in seiner Motorik eingeschränkt, schaffte es durch eigenen Kraft die Hand zum kleinen Kater zu bewegen und ihn in den Schlaf zu streicheln.

Es gibt einige dieser Geschichten, aber für mich bedeutete die meiste Freude die kleinen Gesten meines Vaters, wie ein Händedruck, ein liebes Lächeln. Trotz der Krankheit habe ich noch lange mit meinem Vater eine Menge Spaß gehabt, auf gemeinsamen Ausflügen oder zu Hause, wenn meine Mama einmal unterwegs war und ich auf meinen Papa aufpasste. Es war nicht immer leicht, aber es war immer schön.

Mein Vater hat mir in den Jahren der Krankheit trotz allem sehr viel Halt und Liebe gegeben und dafür bin ich ihm unendlich dankbar.

Mein größter Dank gilt aber meiner Mutter. Denn nicht zuletzt alleine sie war es, die mir gezeigt hat, dass es trotz einer solchen Krankheit immer noch lohnenswert sein kann zu leben. Sie hat mir gezeigt, dass man aus kleinen Dingen Kraft und Freude schöpfen kann, dass man jeden Tag als etwas Besonderes sehen kann und eine Umarmung, ein Händedruck, ein Lachen so viel mehr Wert sein kann.

Freude trotz Alzheimer, dass habe ich bei meinen Eltern erlebt.

Jutta Eggenmüller, Berlin, ehemals 2. Vorsitzende der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Im Tierpark

Betreuter Urlaub in Stralsund: Das bedeutet Erholung und frohes Miteinander für unsere Kranken und ihre Angehörigen, aber auch viel Arbeit für alle Betreuer, die neben dem körperlichen Einsatz stets neue Ideen haben müssen, um einen erlebnisreichen Tagesablauf zu gestalten.

Und so hieß es eines Tages im Mai: Wir besuchen den Tierpark!

Mit 15 Erkrankten – zum großen Teil gehbehindert – keine leichte Aufgabe. Auch für die Erste Vorsitzende der Alzheimer Angehörigen-Initiative, Frau Drenhaus-Wagner, und ihren Teamleiter, Herrn Pohl, war das eine Herausforderung, der sie sich aber gemeinsam mit den vielen fleißigen Betreuern gerne stellten.

Mehrere Angehörige reizte dieser Ausflug ebenfalls, und so machte sich nach der Mittagspause ein stattlicher Trupp auf den Weg - mit dem Kleinbus, einigen PKWs und öffentlichen Verkehrsmitteln.

Hallo, was wird denn da außer den Rollstühlen noch alles ausgeladen? Dosen, Pakete, Getränke. Das sieht nach einem Nachmittagspicknick aus!

Ein Bollerwagen musste her, alles eingeladen und unter Lachen und Hallo zogen ein Ehepaar mit dem Gefährt vorneweg ins Abenteuer Tierpark.

Der nicht allzu große, aber feine Park bietet vielen, meist einheimischen Tieren ein zu Hause in geräumigen, artgerechten Gehegen, und der muntere Trupp zog von einem Gehege zum anderen.

Hier wurden Vögel in ihren Volieren bewundert, dort ein versteckter Marder gesucht oder geraten: „Was ist das wohl für ein Tier?“

Alle waren toll bei der Sache, und am schönsten war es, die zutraulichen Ziegen und Schafe zu streicheln oder sie mit Pellets zu füttern. Das war natürlich nicht jedermanns Sache. Manche hielten lieber Abstand, aber ein Lächeln, ein Aufleuchten der Augen, zauberten die Tiere in jedes Gesicht.

Dann war der kleine Rastplatz erreicht - Kaffeezeit! Jeder fand einen Platz an den langen Tischen, und unsere fleißigen Helfer holten aus dem Bollerwagen leckere Kuchen-Sorten und durstlöschende Getränke hervor. Alle griffen gern zu, in so schöner Umgebung schmeckt es besonders gut.

Als alles verputzt war, zog die Karawane weiter, es waren ja noch mehr Tiere zu bestaunen. Wildschweine, Rehe und den kleinen Bären, der in seinem Gehege seine Kreise zog, wollte natürlich jeder sehen. Langsam ging es dann dem Ausgang zu, die Beine wurden doch schon recht müde. Ein wunderschöner Nachmittag ging dem Ende zu, ein Tag voller Freude und Heiterkeit für alle: die demenziell Erkrankten ebenso wie für deren Angehörige und Betreuer.

Ein herzliches Dankeschön an die Alzheimer Angehörigen-Initiative!

Doris Otto, Teilnehmerin am Betreuten Urlaub in Stralsund im Mai 2010


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Freude erleben trotz Alzheimer?

Vielleicht würde ich heute Momente der Freude nicht mehr erinnern, wenn es nicht auch diese schlimmen Momente der Verzweiflung und Ausweglosigkeit gegeben hätte. Die Momente, wo man nicht mehr weiter wusste. Meine Tochter hatte mich vorwurfsvoll gefragt: "Mama, wen hast Du eigentlich lieber: Dein Kind oder Deine Mutter?" und ich lag nachts im Bett in der Wohnung meiner Mutter und betete um Schlaf, damit ich genug Kraft hätte für den nächsten Tag. Nur noch den einen Tag, dann würde ich nach anderen Lösungen suchen, denn so ging es einfach nicht mehr weiter. Wenn meine Mutter doch nur hätte durchschlafen können, statt nachts laut lallend in mein Bett zu kriechen wie ein kleines Kind, aber das war immer noch besser als orientierungslos durch die Wohnung zu irren und in Rührschüsseln zu urinieren.

In einer Frauenillustrierten hatte ich über die Kunst des Glücklichseins gelesen und eine Glücksregel davon war die, abends die zwei schönsten Momente des Tages zu gedenken. Diese Regel habe ich ab dann beherzigt und gemerkt, dass die kleinen Dinge, die unscheinbaren, die schönen waren und ich habe dann die Tage bewusst so ausgerichtet, dass es abends was Schönes zu gedenken gab.

So plante ich z. B. einen Ausflug mit meiner Mutter zum Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, das Wetter war schön, es bot sich an. Wir waren die einzigen Gäste im Ausflugslokal in der gerade beginnenden frischen Sommersaison und ich bestellte zwei Mal Streuselkuchen mit Kaffee. Mama genoss die Situation sichtlich, nur die Streusel störten sie, damit konnte sie nichts mehr anfangen und spuckte sie im großen Bogen über die Terasse des Cafés. Jeden Streusel einzeln, so wie wir früher beim Kirschkern-Weitwurf das immer gemacht hatten. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, aber jetzt so fünf Jahre nach ihrem Tod, da denke ich gerne daran zurück.

Und an die Ausflüge nach Bad Salzuflen entlang der Salinen. Ich hatte eine hartnäckige Bronchitis und atmete die Luft tief ein, Mama machte das besonders intensiv nach und die Leute blieben stehen und belächelten sie leicht irritiert. Die Besuche in Bad Salzuflen wurden zur festen Gewohnheit und manchmal begleitete uns mein Mann. Nach ihrem Tod haben uns diese Ausflüge sehr gefehlt - auch uns beiden, so sehr hatten wir uns daran gewöhnt.

Und so gab es viele kleine Anekdoten, an die ich jetzt gerne erinnere. Die größte Freude hat mir meine kranke Mutter gemacht, als sie kurz vor ihrem Tode mir mal eine von mir für sie klein geschnittene Milchschnitte zurück schob und mit ihrem inzwischen sehr eingeschränkten Sprachvermögen zu verstehen gab: "Iss Du das, Du isst doch so gerne". Da war sie mal wieder die fürsorgliche Mutter für mich und nicht der von mir abhängige Pflegefall und ich spürte ein letztes Mal vor ihrem Tod so was wie Mutterliebe, wie es sie nur bei der eigenen Mutter gibt und das bedingungslos und uneingeschränkt. Solche und viele andere Momente der Freude trotz Alzheimer könnte ich im Nachhinein erinnern und berichten. Es gibt sie, aber man muss lernen, sie wahr zu nehmen, auch wenn das bei der unglaublichen Belastung sehr schwer ist. Aber es lohnt sich, daran zu arbeiten.

Maria Tölle, Tulpenweg 2, 33758 Schloß Holte-Stukenbrock
Weitere Texte von Maria Tölle: Advent, Lena, "Ich möchte doch nur noch ein paar Jahre leben!"

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Schöne Momente

Es ist ein schönes und wahrlich großes Jubiläum, welches wir da begehen – 10 Jahre Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.. Und ich, die seit einigen Jahren Betreuerin in diesem Hause bin, nehme meinen ganz persönlichen Rückblick und möchte auch Sie mit ein paar Zeilen daran teilhaben lassen.

Ursprünglich hatte ich die Absicht, nur über einen dieser schönen Erlebnisse aus der Haus- und Gruppenbetreuung zu berichten. Nun, da ich aber in Gedanken so viele vertraute Namen, Gesichter und Begebenheiten vor mir sehe, fällt es mir unendlich schwer, einen einzelnen dieser wunderschönen Momente heraus zu picken.

  • So ist es Herr M. an den ich denke, der einst ein gefeierter Musiker war und noch heute beim Klang von Musik mit ihr zu verschmelzen scheint.
  • Oder Frau R., die beim Besuch der Mittagsandacht im Berliner Dom, so entspannt und losgelöst wirkte, als hätte sie das schwere „Gewand“ der Krankheit abgestreift.
  • Aber da gibt es auch noch den charmanten Herrn K., der aus jeder Unterhaltung einzelne Worte aufgreift die jemals in irgendeinem Lied vertont wurden, und dieses Lied auch noch in erstaunlicher Perfektion vorsingt.
  • Unvergesslich bleibt mir auch Herr W.. Denn Herr W. liebte es seinen surrenden Rasierapparat auf einem kleinen Kissen zu betten und deckte diesen mit einem Taschentuch zu. In der Zwischenzeit bereitete ich für Herrn W. etwas Obst zu. Als ich ihm das Obst reichte, kam Herr W. mit seinem eingebetteten, surrenden Rasierapparat auf meine Tischseite, beugte meine Arme so wie es ihm recht zu sein schien, legte den Apparat mit rührender Sorgfalt in meine Arme und forderte mich auf, diesen nun zu wiegen. Ich gebe zu, mir war schon etwas komisch zumute, zu mal im Laufe der Zeit das Surren ein unangenehmes kribbeln am ganzen Körper verursachte.
  • Sehr erwähnenswert ist aber auch Frau A., denn sie verblüffte uns in der Betreuungsgruppe immer wieder von neuem. Verfügte sie doch über ein schier unendliches Wissen sämtlicher großer Dichter und ihrer Werke. Ihre Spezialität waren Balladen wie die Bürgschaft, Deutschland ein Wintermärchen (natürlich in der Urfassung), Der Zauberlehrling usw., die sie nahezu ohne Fehler mit ergreifender Betonung zum Besten gab.
  • Seit vielen Jahren ist auch Herr K. in unserer Betreuungsgruppe Zehlendorf. So kennt Herr K. auch ganz genau den Ablauf und er besteht darauf, dass mit seiner Hilfe dieser auch akribisch genau eingehalten wird. Jegliche Abweichungen werden nur ungern oder nur etwas bis gar nicht toleriert.
  • Es ist aber auch das leise Lächeln des Herrn J., welches zu meinen vielen schönen Momenten unbedingt dazugehört. Und so sind es auch jene Momente in denen ich zu unterschiedlichen Themen dem Herrn J. vorlas und er mit großer Aufmerksamkeit zuhörte. Es bedurfte keiner Worte, um uns zu verständigen, denn er „sprach“ mit seinen Augen und seinem Lächeln und nur mit leicht wahrnehmbaren Gesten.
  • Da ist aber auch Herr R. mit seinem unbändigen köstlichen Humor, der alle damit ansteckt und mitreißt.
  • Aber auch Herr Qu., der einmal sah, dass mir eine Serviette herunter gefallen war und dazu bemerkte, dass ich doch froh sein könne, dass diese nicht hoch fiele, weil es nämlich die Erdanziehungskraft gibt und diese mit dem Magnetfeld usw. zusammenhinge. Er selbst sei nämlich kürzlich zu Hause hingefallen und gäbe es nicht eben diese Erdanziehungskraft, wäre er doch glattweg in die Luft geflogen.
  • Und so denke ich auch so gern an Herrn N. aus der Betreuungsgruppe Steglitz, der ganz Gentleman mit seiner so liebenswerten Art all unsere Herzen eroberte. Der traurig ist, so viel zu vergessen aber dennoch auf so vielfältige Art eine große Bereicherung für uns alle ist. Der so gern Tischtennis und Bingo spielt und nie singen will und dennoch voller Begeisterung in unsere Lieder mit einstimmt.

Dies sind nur zehn von so vielen schönen Begebenheiten und bewegenden Momenten und eben keinen dieser möchte ich je missen, zeigt es mir doch, dass uns unsere Schützlinge an ihrer Welt teilhaben lassen und wir gemeinsam viel Freude trotz Alzheimer erleben.

Karin Börner, Berlin, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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"Do you speak english?"

In einer Betreuungsrunde von etwa 8 alzheimerkranken Damen sitzt eine neue Bewohnerin. Sie war früher Englischlehrerin. Sie redet noch nicht, weil sie sich noch fremd fühlt. Um sie aus ihrer Reserve zu locken spreche ich sie erfolglos auf unterschiedliche Weise an. Ich frage sie nach ihrem Beruf, sie antwortet nicht.
Da frage ich sie in meinem klassischen Schulenglisch: "Do you speak english?" Daraufhin schaut sie mich hellwach und verschmitzt an und sagt: "Na, ob sich das etwa Englisch anhören soll!?"
Darauf brechen wir alle in herzliches Lachen aus, das Eis ist gebrochen und sie beginnt zu reden.

Ute Wagner, Alten- und Pflegeheim des Hospitalfonds, Dillstr. 1, 56410 Montabaur


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Muttertag (10. Mai 1998): Nellis Tag

Mein Tag beginnt wie immer in den letzten Wochen mit Übelkeit und Schwindel(die liebe Psyche!). Heute ist ein besonderer Tag. Muttertag, den ich eigentlich jeden Tag habe.

Aber, wir haben noch eine Woche, bis meine Mama Nelli ins Heim gehen wird.
Ich zähle die Tage und möchte gerade jetzt noch einmal alle Kraft und Liebe geben, um das intensive Zusammensein mit Ihr zu genießen, denn ab dem 17.Mai wird es nie mehr so sein. Nichts mehr ist so wie früher, ich fühle ich mich traurig.

Mama läuft mir in letzten Wochen wie ein kleiner Hund hinterher. Wenn ich aufstehe, um in die Küche zu gehen, geht sie mit. Wenn ich in die Waschküche gehe, geht sie mit. Wenn ich das Haus verlassen will, um auf die Arbeit zu gehen, dann ist meist bereits der Frühstücks-Zivi da.
Mama steht in Ihrer Tür, strahlt mich an und fragt, fragt, fragt: „Gehst Du arbeiten? Arbeitest Du immer noch da? Wann kommst Du nach Hause? Kommt heute Frau Müller?“
Oft habe ich mich an diesem Torwächter vorbei aus dem Haus gemogelt. Schwer, wenn der Eine oben und der Andere (Mama) unten wohnt. Wie viele Tage habe ich mir gewünscht, das Haus einmal unbemerkt betreten oder verlassen zu können.
Jetzt erlebe ich dabei Wehmut, denn für Mama ist dieser Umzug noch immer sehr abstrakt und es macht meine Seele zentnerschwer.

Dieser Tag soll auch für mich ein unvergesslicher Muttertag werden, die Sonne strahlt und der Tag ist geplant.
Mein Freund holt Brötchen, der Tisch ist gedeckt und dann holt er Nelli nach oben. Mama bekommt ihr vor geschnittenes Brötchen, dass sie mit Marmelade beschmiert, nachdem ich diese vor sie hinstelle. Auch das Ei wird vorgepellt und Mama schafft sogar eineinhalb Brötchen.
Darauf bin ich stolz, hatte sie im Dezember 48 Kilo, wiegt Nelli jetzt zumindest 56 Kilo auf die 156 cm.

Dann bekommt meine Prinzessin die Haare gewaschen und eingelegt und darf sich in die Sonne setzen. Ich persönlich hasse Lockenwickler und Dauerwelle, Mama zuliebe bin ich Hobby-Friseuse geworden. Weil das Wetter so schön ist, und letztes Jahr das Fahrradfahren noch geklappt hat, holen wir die Räder raus. Als ich vor kurzem mein Fahrrad geputzt habe, hat sie mich ganz beleidigt gefragt, wann denn Ihr Fahrrad geputzt wird.
Okay, es ist den Versuch wert.

Wir schieben die Räder ein Stück, dahin, wo kein Verkehr ist und Nelli steigt auf das Rad, mein Freund bleibt dabei. Gut so, denn es klappt nicht mehr. Mit Tränen in den Augen und zitternd steigt Mama wieder ab. Wir schieben die Räder wieder zurück und Mama tut mir wirklich leid, denn sie empfindet sehr wohl das Defizit.

Der Versuch mit meinem Freund eine halbe Stunde alleine Fahrrad zu fahren entwickelt sich tragisch, da Nelli nicht weiß, wo denn die Couch in der Wohnung ist, auf die sie sich jetzt lieber mal die halbe Stunde legen soll. Permanent kommt sie wieder an die Haustür zurück und verhindert so ein Gehen. Uff ! Also, etwas schimpfen und auf die Couch begleiten, es ist zum Haare raufen!
Aus der halben Stunde rad fahren werden 15 Minuten.

Nach Bockwurst und diversen Schuhproblemen fahren wir mit Nelli zu Ihrer Schwester Renate und zu der Mutter meiner Mutter nach Hause, nach Schlüchtern.
Dies ist verabredet und ich bin so gespannt auf das Wiedersehen, so gespannt auf Mamas Reaktionen.

Meine Tante ist schon lange eine Frau, die ich bewundere. Seit 17 Jahren pflegt sie den MS-Kranken, mittlerweile schwerstkranken Ehemann, hat Sohn, Oma, Hund und Haus zu versorgen. Meine Oma ist eher der Eiserne Gustaf. Mit 91 Jahren hat Oma die Energie für weitere 30 Jahre, liest die Tageszeitung und macht kleine sportliche Übungen und ist darüber hinaus sehr auf ordentliches Aussehen bedacht. Selbst jetzt, nach einem Oberschenkelhalsbruch ist der Lebenswille, Dank meiner Tante, ungebrochen und sie flirtet nach wie vor, trotz Krücke, mit allem, was männlich ist.

Mit dem Gedanken an das Jetzt und Nellis Heute wünsche ich Mama, dass dieser Besuch auch in Ihrem Herz und Kopf Eingang findet.

Und es war schön!
Mama Nelli hat den ganzen Nachmittag neben der Mama gesessen und sie angestrahlt, gedrückt.
Oma hat Nelli gelobt, dass Sie gut aussieht und doch bitte ordentlich essen soll. Ach, es hat Nelli so gut getan. Dann kam auch noch Nellis älterer Bruder und Schwägerin und wir haben noch einen wunderschönen Spaziergang gemacht. Mama war untergehakt und hat sich sicher und wohl gefühlt.

Alle haben von der Vergangenheit gesprochen und Menschen erwähnt, von denen ich zum Teil noch nie etwas gehört habe. Aber Nelli konnte sich an die alten Schulfreunde erinnern. Ich fand das Verhalten meiner Verwandten einfühlsam.
Nelli liebt Hunde und wir haben extra am Vortag kleine Hundefrikadellen produziert. Das war auch ein Spaß, diese dann zu verfüttern. Der Hund, eine Mischung aus Rottweiler und Schäferhund, wiegt genauso viel wie Mama und ist ein ganz lieber Kerl.
Mit dieser Ansammlung von Menschen, die Nellis Kindheit begleitet haben, hat sie immer wieder nach den fehlenden Geschwistern gefragt (die eben woanders wohnen). Mir war so, als wäre sie wieder 8 Jahre alt und sitzt daheim am Küchentisch. Sie war so zufrieden.

Nach einem wirklich schönen Tag und Abend, hat Nelli noch Schokolade mitbekommen, wie ein Kind, sich aber auch so sehr darüber gefreut.

Ich bin so froh und dankbar für diesen Tag. Welch größeres Geschenk hätte ich meiner Mama machen können?

Als ich meine Prinzessin gestern Abend in Ihr Bett brachte und fragte, ob das ein schöner Tag war, kam die Antwort:
“Ja, so schön und ich habe meine Mama doch so lieb“.
Und Nellis wirklich hübsche, braune Augen haben so gestrahlt, wie lange nicht mehr.

Marina Frischkorn, Moderatorin unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-L


Weitere Texte von Marina Frischkorn: Ein besonderer Tag, Bit's & Byte's aus Bruchköbel


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Wir können mehr tun als wir oft denken!

Im Februar 2000 wurde bei meiner Waltraud (1929) leider eine Demenz diagnostiziert, zunächst ohne Spezifikation, aber es gab Gott sei Dank gleich Exelon, was langsam aufdosiert wurde. Heute ist die Medikation längst eine stärkere mit 2 Antidementiva, die Zusammenarbeit (und bei dieser Krankheit geht es NUR in einer Zusammenarbeit zwischen Facharzt und Angehörigen) ist mit unserer Neurologin hervorragend.

Sofort habe ich mich im Internet umgesehen, was es alles über Demenz und Alzheimer zu lernen gibt - Ich fand das Alzheiermfroum. Das halte ich für wichtig, denn je eher man viel über eine Krankheit weiß, desto eher kann man sie akzeptieren - ohne Akzeptanz ist der Pflegende Angehörige eher tot als der Betroffene!

Im Frühjahr 2000 haben wir uns neue Fahrräder gekauft um mehr als bisher für unsere Gesundheit zu tun. Bei der ersten Fahrt lag meine Waltraud schon nach 100 m unter dem Fahrrad und stieg dann nie wieder auf. (Wie sollte sie auch ohne Rücktritt und mit 211 Gängen zurechtkommen!).

Da musste ein Lösung her! Sie kam schon am 03.05.2000, man sagt so einfach: "per Zufall" - für uns war es ein großartiges Geschenk:

In El A-Renal auf Mallorca las ich beim Flanieren ein Schild "Tandemverleih" - "Das müsste doch gehen" schoss es mir durch den Kopf.

Waltraud sagte zu, es damit zu probieren. Aufsteigen und losfahren, gleich durch dicken Straßenverkehr war zuerst angesagt, dann die Strandpromenade ganz an das westliche Ende der Palma- Bucht und zurück! Das ging dank guter Gangschaltung trotz ordentlicher Steigung ganz wunderbar und machte Waltraud solche Freude, dass wir zu Hause auf die Suche nach einem eigenen Tandem gingen - mit Erfolg!

Der jeweils 3. Sattel und der 4. Lenker passten nach einigen Tagen Probefahrt zu uns und wir konnten es für unter 1000 DM erwerben!

Seit dem wird jeder Einkauf (hinten großer Gepäckkorb fest montiert) bei fast jedem Weiter und zu jeder Jahreszeit damit erledigt.

Es gab Herausforderungen, denen wir uns gern stellten: Kleinere Touren über 20 km mit 200 Höhenmetern auf wenig befahrenen Verbindungsstraßen machten richtig Freude. Jedes Jahr am 1. Mai veranstaltet hier ein Fahrradhändler die "Fahrt in den Mai", die von jedem gemeistert werden kann.

Natürlich haben wir, wenn es über die Stadtgrenzen hinaus geht, Helm und auffälliges Dress an, wir möchten weder zum Hinderniss noch zu Opfern werden.

Die Einweihung des Autobahn- Rennsteigtunnels am 05.07.2003 hätte ohne uns gar nicht stattgefunden! - Da war die Anfahrt mit dem PKW allerdings länger als die eigentliche Tour bis zur Mitte des Tunnels.

Zur größten Radsternfahrt der Welt, der "Thüringer Burgenfahrt" von Erfurt nach Freudenthal gehörten wir 2003 und 2005 mit je 2 mal 23 km genau so dazu! Mitten im Pulk der ca. 5.000 Pedalritter brachten wir es auf einen Schnitt von 23 km/h- wir "schwammen" mit dem Strom mit.

Zuerst stand auf meinem Dress vorn und auf Waltrauds hinten nur: "Vorsicht! Über 140 Jahre!"

Da fragte doch tatsächlich ein anderer Radler, ob wir unsere Enkel da mit hinein gerechnet hätten! - Das konnte ich nicht so lassen, es kam mir die Idee einer weiteren Beschriftung je bei mir hinten und bei Waltraud vorn: "Und ich gehöre dazu!" - Na ja, das ist eben für die Begriffsstutzigen, hat aber Beides schon viel Spaß erzeugt, was ein schöner Nebeneffekt ist.

Heute (07-2006) kann Waltraud die Zimmertür- Schilder mit "Wohnzimmer, Küche" usw. schon lange nicht mehr lesen, braucht bei allen Handgriffen meine Hilfe, ist Harneinkontinent, ich muss Geduld haben, bis sie endlich meine Aufforderung zum Aufsteigen umsetzen kann, aber es wird Tandem gefahren! - Eine riesige Freude für uns und viele Mitbürger unseres 4.000- Seelen- Städtchens.

Ich bin immer für einen offenen Umgang mit der Krankheit und ernte dafür nur Verständnis, manchmal Bewunderung, in jedem Falle aber positive Aufmerksamkeit! Ein mir willkommenes Ergebnis.

Die Krankheit nicht nur akzeptieren, auch öffentlich bei jeder Gelegenheit dazu stehen, das ist mir außer unserer direkten Freude am "Noch- Möglichen" wichtig. Eben die Unterstützung oder Schaffung einer Lobby für unsere Angehörigen und deren Betroffenen, das ist mir wichtig und soll auch den Mitgliedern der 5 SHGn im Kyffhäuserkreis positive Impulse vermitteln.

Es stimmt:

Wir können mehr tun als wir oft denken!

Wilfried Georgi, Mitglied unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-L


siehe auch „Ich nehme sie so gern in den Arm“ Medical Tribune 02/2006


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Erinnerungscafé

Meine Mutter befindet sich ja noch im Anfangs- (oder schon mittleren?) Stadium der Demenz und versorgt sich bisher weitestgehend (mit ein wenig Hilfe) allein, wird aber immer einsamer.

Nun hatte ich über eine Bekannte von einem "Erinnerungscafé" für Menschen mit Demenz gehört, das einmal pro Woche für 2 Std. in einem diakonischen Alten- und Pflegeheim stattfindet. Gestern war ich gemeinsam mit meiner Mutter zum ersten Mal zum "schnuppern" dort.

Um es vorweg zu nehmen, wir waren beide begeistert. Die Gruppe setzt sich aus ca. 10 Personen zusammen, die von 3 bis 4 Betreuern begleitet wird, die sich mit vollem Engagement und Freude ihrer Aufgabe widmen. Die Atmosphäre war entspannt und positiv, wir haben uns sofort wohl gefühlt. Meine Mutter hat auch alle gleich wie alte Bekannte begrüßt. Sie ist sehr aufgeschlossen.

Nach Kaffee und Kuchen gab es einen "Sitzkreis", wo dann gesungen wurde, mit einem bunten "Schwungtuch" gearbeitet (Bewegung im sitzen) und so allerlei Wortspielchen (z.B. Sprichwörter beenden) gemacht wurden. Alle waren mit Begeisterung bei der Sache. Zum Schluss wurde sogar getanzt und meine Mutter war in ihrem Element. Es war einfach herrlich mit anzusehen, wie sie aufblühte ... - Sie strahlte mich an und sagte, wie glücklich sie wäre dort zu sein.

Solche Momente sind wahrscheinlich die Sternstunden ...

Ich hoffe, dass sie nächste Woche noch eine positive Erinnerung daran hat und wieder hingehen wird, auch ohne mich (denn ich wohne ja 100 km entfernt). Die Gruppe wird dann sogar einen Ausflug mit dem Boot auf einer Talsperre unternehmen.- Ich habe jedenfalls ein sehr gutes Gefühl. Dort ist meine Mutter bestimmt gut aufgehoben, denn sie ist dort unter ihresgleichen (ohne es wirklich zu merken) und die Betreuer können eben entsprechend mit ihr umgehen. Dort kann sie sein wie sie ist und muss keine Angst haben, dass irgendjemand etwas falsches (Abwertendes) sagt.

Susanne Hoffmeister, Mitglied unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-L


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"Ausflug" in den eigenen vier Wänden

Ich pflege seit über einem Jahr meine Mutter, die auf Grund auch anderer Erkrankungen draußen nur noch mit einem Rollstuhl und in der Wohnung mit einem Gehwagen vorwärts kommt.

Nach der Verschlechterung ihres Zustandes haben ein Bekannter und ich beschlossen, eine gemeinsame große Wohnung mit 5 Räumen zu suchen, damit wir zu zweit die Pflege Tag und Nacht im Wechsel gut hinbekommen.

Zum Glück haben wir eine Wohnung gefunden, die vom Schnitt her fast genau der entsprach, in der sie vorher wohnte.

Den Umzug hat Mutter nur indirekt erlebt, da sie sich zu diesem Zeitpunkt wegen einer Medikamentenumstellung im Krankenhaus befand.

Nach ihrer Entlassung haben wir uns darauf konzentriert, dass sie sich wieder eingewöhnt, den Weg zur Toilette findet und was man eben sonst noch so alles trainieren muss, damit sich eine demenziell Erkrankte zurecht findet.

Nachdem wir feststellten, dass sie ihre Zimmertür nicht fand, haben wir außen einen Schmetterling angebracht, den sie von einer ihrer Krankenschwestern geschenkt bekommen hatte, die sei sehr mochte. Seither fand sie ihr Zimmer immer besser.

Auf Grund des Zeitaufwandes hatte ich nun nicht die Gelegenheit, die beiden Zimmer, die ich nutze und die direkt neben dem Pflegezimmer von Mom liegen, so einzurichten, dass diese auch als Wohnung erkannt werden konnten.

Nachdem sich Muttern immer besser eingewöhnt hatte und eigentlich alles wieder wie gewohnt lief, kam ich nun dazu, mein eigenes Reich herzurichten. Hierzu nutzten wir meist die Zeit in der Muttern Mittagsruhe hielt. Sie endete traditionell zum Kaffee und Kuchen um 15 Uhr.

Da ich natürlich mein neues Reich auch Muttern zeigen wollte, deckte ich also den Kaffeetisch und lud Muttern und „den helfenden Untermieter“ in „meine Wohnung“ zum Kaffee ein.

Muttern fragte ganz erstaunt, ob wir denn da weit fahren müssten, denn dazu hätte sie heute keine Lust aber würde trotzdem mitkommen, da ich ja immer da bin, wenn sie mich braucht.

Ich lächelte sie nur an und öffnete die Nachbartür von ihrem Zimmer. Darauf hin schaute sie mich groß an und fragte, wer da wohne. Nachdem ich es ihr erklärt hatte, fragte sie, ob sie nicht öfter mal zum Kaffee kommen könne, denn ich wüsste ja, dass sie nicht mehr so gut auf den Beinen sei. Natürlich habe ich ihr das erlaubt.

Kurze Zeit überlegte sie und ich spuckte vor Lachen dann fast den Kaffee über den Tisch, als sie mit einem verschmitzten Lächeln sagte: „Also Gerd, wenn mal wieder schlechtes Wetter draußen ist, können wir ja auch mal einen Ausflug durch die Wohnung machen. Ich bin mir sicher, da gibt es für mich noch viel Neues zu entdecken!“

Also erfüllen wir ihr den Wunsch und gehen jeden Tag mit ihr auf Entdeckungsreise, aber nur wenn das Wetter draußen schlecht ist ;0)

Anmerken will ich jedoch noch, dass ich später in einer ruhigen Minute noch mal über das von ihr Gesagte nachgedacht habe. Der tiefere Sinn ist mir erst dann aufgegangen: Es gibt viel Schönes zu entdecken auch in unserer direkten und unmittelbaren Umgebung, man muss es eben nur entdecken!

Gerd Rockmann, Halle/Saale


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Der weiße Tiger

Meine 74 jährige Mutter leidet an einer Demenz. Seit einem Jahr pflegen wir sie bei uns. Um den Bezug zu ihrer Geburtsstadt und gleichzeitig 70-jährigen Heimat nicht abreißen zu lassen, haben wir die Tageszeitung mit dem dortigen Lokalteil abboniert.

Mutter interessiert sich sehr für Tiere und den heimatlichen Zoo. In ihrer Zeitung las sie nun davon, dass dort ein weißer Tiger angekommen ist und der kleine Tierpark sich nun Zoo nennen darf.

An einem Sonntag, an dem es ihr ausgesprochen gut ging, haben wir beschlossen, am Nachmittag einen Ausflug zu machen. Ich sagte ihr nur, dass wir in ihren Heimatort fahren, der nur ca. 30 Autominuten entfernt ist und schon leuchteten ihre Augen.

Als wir ankamen, fuhr ich direkt zum Zoo und wir schoben sie mit ihrem Rollstuhl an das Tigergehege. Da die Guckfenster des Geheges in der Höhe angebracht sind, die stehende Menschen erreichen, sah sie nicht gleich den weißen Tiger der unmittelbar davor lag und seine Mittagsruhe hielt. Also haben wir ihr aufgeholfen und sie entdeckte die große weiße Pranke, die nun hinter einer dicken Glasscheibe lag.

„Mann sind die riesig!“ sagte Sie ganz aufgeregt „Die sehen im Fernsehen doch immer viel kleiner aus!!“

Nach einer gemütlichen Runde im Zoo genossen wir noch einen Kaffee im Terrassencafé. Das Gewitter an diesem sonnigen Sommernachmittag beeindruckte uns dabei gar nicht.

Im Anschluss fuhren wir die Stationen ihres Lebens im Ausflugsort ab und sie erzählte mir fast ohne Lücken ihren ganzen Lebenslauf sowie sie einen bekannten Platz, ein Haus oder auch nur eine Gegend erkannte.

Am frühen Abend kamen wir wieder zu Hause an. Zu unseren Katzen sagte sie nur: "Eh’ ihr weiße Tiger werdet, müsst ihr noch ganz schön wachsen und so richtig weiß kriegen wir euch eh nicht!"

Am nächsten Morgen kam die Schwester vom Pflegedienst zu mir und fragte, ob in der Nacht irgendwas vorgefallen sei, denn meine Mutter würde laufend was von Tigern, die sie gestern gesehen hätte, erzählen. Ich antwortete ihr: „Ja , es war ein ganz normaler Tag!“ ;-)

Gerd Rockmann, Halle/Saale


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Frühjahrsurlaub

Wie schon des öfteren hat die AAI eine Reise nach Bad Bevensen veranstaltet und auch diesmal waren mein Mann und ich mit dabei. Wir durften miterleben, wie die Rabatten im Park und die Bäume erblühten und von Tag zu Tag bei strahlendem Sonnenschein immer farbenfroher wurden - wahrlich ein Labsal für unsere Seelen!

Die freien Stunden die wir Angehörigen in dieser Zeit hatten, waren Kraft-Tankstellen für unsere Seelen, zumal wir unsere Kranken in guter Obhut wussten.

Der krönende Abschluss war der Bunte Abend mit Tanz. Hier blühte mein Mann richtig auf! Wie immer bei dieser Gelegenheit, tanzte er mit Begeisterung und wechselnden Partnerinnen völlig gelöst und locker. Es macht mich glücklich, ihn so zu erleben. Hier bestätigt sich immer wieder, dass die AAI ihr Versprechen "Freude erleben - trotz Alzheimer" auch tatsächlich einlöst.

Ich danke allen Organisatoren herzlich und hoffe, dass das Schicksal noch öfter solche Stunden für uns bereit hält.

Irmtraud Hampe-Lindner, Berlin, Mitglied der Lichtenberger Angehörigengesprächsgruppe


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Tommy der Pferdeflüsterer

Wie oft ich schon in den Betreuten Urlaub mit Demenzkranken gefahren bin, kann ich gar nicht mehr sagen.

So waren wir, also eine kleine Gruppe Demenzkranker und Betreuer, wieder einmal an einem sonnigen Vormittag unterwegs an den Uferwiesen des kleinen Flüsschen Ilmenau in Bad Bevensen.

An einer großen Pferdekoppel vorbeikommend sagte ich zu Tommy, einem Betreuer, scherzhaft: „Pfeif doch mal die Pferde dort hinten heran!“ Alle lachten, da die kleine Herde bestimmt 200 Meter weit entfernt graste. Doch was soll ich sagen, unser „Alter Schwede“, Tommys Spitzname, pfiff ein paar Mal einen Lockruf aus. Es war eine bestimmte Melodie im wiederkehrenden Tonfall. Und siehe da, langsam bewegte sich die Herde auf den Koppelzaun zu. Direkt davor standen wir nun.

Herr Krupski, ein Demenzkranker aus Zehlendorf, hatte den herankommenden Pferden besonders interessiert zugeschaut. Während alle anderen aus unserer Gruppe stehen blieben und staunten, ging er ein paar Schritte näher heran. Ein brauner Pferdekopf ragte weit über den Koppelzaun. Herr Krupski hob seine Hand abwartend zum Streicheln empor. Erst eine zaghafte Berührung mit dem weißbraunen Fellmuster auf der Stirn des Pferdes, dann ein hörbares Lachen von Herrn Krupski und ausgiebiges Streicheln des Pferdes. Alle anderen standen und staunten weiter.

Für uns Betreuer ein unvergesslicher Augenblick. Aber ich weiß, dass dieses schöne Erlebnis auch irgendwo im Innern des Gefühlslebens von Herrn Krupski abgespeichert bleibt.

Gerhard Pohl, Berlin, Teamleiter der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Fahrt ins Erzgebirge

Extra zum Muttertag haben die Mütter mit Anhang einen Tagesausflug ins Erzgebirge von den Kindern geschenkt bekommen. Hatte wegen meinem Mann Bedenken, bin aber trotzdem mitgefahren. Auf der Hinfahrt gabs für meinen Mann viele Tiere zu sehen, da ist er dann ganz aufgeregt. Nach einem schönen Frühstück sind wir dann in Seiffen gelandet und es ging in die Geschäfte. Mein Mann kam mal mit rein oder wir blieben vor den Geschäften sitzen. Um 18 Uhr hatte unser Sohn im Lokal einen Tisch bestellt. Von dort konnte man auf die Wiese sehen, wo 3 Schafe und ein Stall waren. Mein Mann hat nur aufgepasst wo die Schafe sind, musste ihn erinnern zu essen. Anschließend sind wir zum Auto, die Schafe kamen auf der Wiese mit. Dann blökten sie, mein Mann auch, immer abwechselnd. Sie in den Stall, kamen wieder raus, blökten, er auch immerzu.

Nach einer dreiviertel Stunde durften wir erst losfahren. Mein Mann hat gewunken und gewunken. Unser Sohn ist dann noch einmal vorbei gefahren, damit er die Schafe noch mal sehen konnte. Habe meinen Mann gefragt, ob es ihm gefallen hat, „Schön, schön“.

Auf der Rückfahrt ist er dann eingeschlafen und lächelte.

Ich fand die Fahrt wunderschön.

Christel Krupski, Berlin, langjähriges Mitglied unserer Zehlendorfer Angehörigengesprächsgruppe


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Laurentia, liebe Laurentia mein

Bei unseren zahlreichen Betreuten Urlauben in Bad Bevensen ist ein Besuch des großzügig angelegten Jod-Sole-Thermalbades die Attraktion für unsere Demenzkranken und deren Angehörige. Bereits ein, spätestens zwei Tage nach der Ankunft verabreden sich einige Angehörige für den Nachmittag zu einem gemeinsamen Besuch der Therme, um sich dort wohl zu fühlen und Spaß zu haben.

Letztens sorgten unsere Berliner dort sogar für ein kleines Aufsehen. Alle Angehörigen bildeten im Wasser einen Kreis, umarmten sich, sangen und tanzten „Laurentia, liebe Laurentia mein, wann wollen wir wieder beisammen sein, am Mo-on-tag!“ Wer das Lied nicht kennt: Das Lied hat sieben Strophen und wird bei jedem Wochentag um einen Wochentag verlängert. Bei jedem Laurentia und jedem Wochentag wird eine Kniebeuge gemacht. Na, das gab einen riesigen Spaß, dem sich andere Badekurgäste wohl gerne angeschlossen hätten.

Gerhard Pohl, Berlin, Teamleiter der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Auf Händen getragen

Wiedereinmal waren einige Betreuer und Betreuerinnen während des Betreuten Urlaubs in ihrer Mittagspause mit den Betroffenen in der wunderschönen Therme von Bad Bevensen.

Als endlich alle im Wasser waren, beschäftigten wir uns individuell mit unseren Schützlingen. Diese genossen meist auch die Wärme. Ich hatte aber das Gefühl, dass sich z.B. Herr H. nicht so recht entspannen konnte. Daher schlug ich ihm vor, dass ich ihn gern mal auf Händen tragen würde, damit er sich im warmen Wasser ganz entspannen könne. Er war einverstanden und so trug ich ihn tatsächlich ein paar Minuten ruhig durch das warme Wasser. An seinen Händen, mit denen er sich an mir anfangs festhielt, merkte ich, dass er tatsächlich locker lies und sogar die Augen schloss.

Doch plötzlich machte er die Augen rasch wieder auf und sagte ganz entschieden: „So und nun wechseln wir mal!“ Mein kurzes Zögern schien er nicht bemerkt zu haben und schon trug mich der kleine, zierliche Mann auf seinen Händen durchs Wasser und hatte offensichtlich viel Vergnügen dabei. Jedenfalls strahlte er dabei und erzählte noch auf dem Heimweg immer wieder, dass es ihm auf keinen Fall zu schwer war.

Wie seine Frau mir viel später berichtete, hat Herr H. auch zu Hause immer mal wieder davon erzählt. Es war wohl auch für ihn ein einrucksvolles Erlebnis.

Heike Fuhrmann, Berlin, Anleiterin der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Der Kunstpfeifer

Eine interessante Erfahrung hatte ich während eines Betreuten Urlaubs in Bad Bevensen beim Besuch eines klassischen Kurkonzertes: Dieses fand in einem kleinen Saal im Kurhaus statt. Wir waren mit unseren 12 Erkrankten, einigen Angehörigen und 6 Betreuern die letzten, die zum Konzert kamen und es dauerte eine Weile, bis alle zur Ruhe gekommen waren. Schließlich begannen die Musiker ihr Programm und es herrschte im Saal eine aufmerksame Ruhe.

Doch plötzlich erklangen hinter mir ungewöhnliche Töne: Herr R. spielte mit seinen Händen auf dem Tisch Klavier und pfiff klar und deutlich die Melodie “Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Er strahlte dabei über das ganze Gesicht und hatte offensichtlich an der eigenen Musik viel Vergnügen. Anders seine Frau, ihr war das sichtlich unangenehm. Sie versuchte, ihren Mann zur Ruhe zu bringen, damit die anderen Zuhörer nicht gestört werden. Doch Herr R. ließ sich nicht stören und brachte das Lied zu Ende.

Als ich am Abend in der Teamsitzung von davon erzählte, erwiderte Frau Drehnhaus-Wagner: „Bei uns lernen die Angehörigen, solche Situationen nicht mehr peinlich zu finden.“

Heike Fuhrmann, Berlin, Anleiterin der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Kinder als Therapie

Wir hatten am Sonntag eine kleine Familienfeier, und so kam es, daß sich mehrere Generationen unter einem Dach versammelten. Was soll ich sagen: Meine 83jährige Mam traf auf ihren 11 Monate alten Urenkel - und war wie ausgewechselt!!

Sie trällerte, machte Späßchen, führte sogar ein kleines Tänzchen auf (zum Erstaunen meiner Geschwister). Sie spielte ganz lieb mit dem Kleinen, und der schien seinerseits einen Narren an ihr gefressen zu haben. Strahlte und quiekte vor Vergnügen.

Nach 2 Stunden wurde Mutti müde und verschwand im Schlafzimmer, um ein Nickerchen zu halten (klar, war alles ziemlich anstrengend für sie). Bis dahin aber war sie in Hochstimmung, und alle haben sich riesig gefreut, sie so zu sehen - nach allem, was sie im letzten Jahr durchmachen mußte.

Also: Kinder sind offenbar eine wunderbare Therapie (vielleicht nur für solche Menschen, die schon in jüngeren Jahren kinderlieb waren, ich weiß es nicht). Von Tieren hört man ja, daß sie Ähnliches bewirken können.

Petra Harder, Ingersheim, Mitglied unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-Partner.


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Ich genieße es...

In diesem Jahr habe ich wieder am so genannten Betreuten Urlaub der Alzheimer Angehörigen-Initiative (AAI) teilgenommen. Mein Ehemann Dieter spricht nicht mehr, versteht aber teilweise noch und ist mit Einschränkungen noch mobil, tagsüber macht er sich Unruhe bemerkbar und durch regelmäßige Toilettengänge, aber nachts ist er bereits inkontinent.

Ich reiste also mit wasserundurchlässigem Betttuch, Betteinlagen und Windeln an. Aber das fand ich im Gästehaus in Bad Bevensen bereits weitgehend vor. Und wenn wirklich mal was durchging, hat es das Hauspersonal immer sofort gewechselt. Die Häuser in Bad Bevensen und Boltenhagen waren immer großzügig.

Die Betreuer der AAI halfen beim Aufstehen, Waschen und den Mahlzeiten. Von 10 - 12 und 15 - 18 Uhr nahm Dieter an der Gruppenbetreuung treil. Wir Angehörigen hatten dann Freizeit, nahmen an Fahrten teil, trafen uns im Ort zum gemütlichen Kaffeetrinken, gingen in die Therme, spazieren oder...

Ich war von Boltenhagen aus mit hauseigenen Touren in Lübeck, Warnemünde, Stralsund, Travemünde. Von Bad Bevensen aus fuhren wir mit rollstuhlgerechtem Bus nach Uelzen, Lüneburg und nach Hamburg zur Hafen- und weihnachtlichen Lichterrundfahrt.

Ich genieße es, mit vielen Leuten zusammenzukommen, immer Neues dazu zu lernen, sei es im Umgang mit unseren Lieben oder von der Umgebung. Die liebevollen Betreuer sind sogar mit den Kranken im Jod-Sole Schwimmbad gewesen. Dieter hat es sehr genossen, obwohl er am Anfang sehr ängstlich war. Jeden Tag sind die Betreuer in Gruppen mit und ohne Rollstuhl spazieren gegangen, haben gemeinsam gesungen und gebastelt, auch Einzelbetreuung war möglich.

Abends war immer etwas los, sogar Tanz - die Teilnahme natürlich immer freiwillig.

Die meisten Angehörigen und auch ich haben festgestellt, das wir uns allein in Urlaub nicht so erholt hätten!!! Da wäre man allein irgendwo unter vielen, würde laufend in Gedanken bei seinem Partner sein und hätte manchmal ein schlechtes Gewissen, ihn irgendwie abgeschoben zu haben. So hat man ihn fast immer um sich, kann den Urlaub geniesen ohne die täglichen Pflichten. Die übernehmen die guten, freundlichen, liebevollen Geister, die die AAi besorgt.

Ich will damit nicht diejenigen verärgern, die ihre Lieben in Kurzzeitpflege geben, diese Zeit wird sicher auch für uns einmal kommen, aber jetzt finde ich diese Art des Urlaubs für uns am besten.

Johanna Wiegleb, Roßleben, Mitglied unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-Partner.


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Freudentränen

Mein Vater war als gesunder Mensch bis zu seinem 63. Lebensjahr im Staatsdienst.


Aus beruflichen Gründen hat er sich nie getraut, in die ehemalige DDR zu fahren. Dort wohnte sein Bruder. Er hat ihn nach dem Mauerbau nie mehr wiedergesehen.


Privat bin ich mit meinem Lebensgefährten nach Potsdam gefahren. Vater hat mir schon als Kind erzählt, dass mein Onkel und meine Tante dort lebten.


Nach der Wende habe ich 1997 das Grab meines Onkels in Potsdam gefunden und auch meine Tante noch einmal kennenlernen dürfen. Sie verstarb 1998.


Meinen Vater habe ich 2004 in Pflege genommen, da seine langjährige Lebensgefährtin verstorben war.


Er hat dann immer nach seinem Bruder aus Potsdam gefragt. Zu dieser Zeit konnte mein Vater noch laufen und war auch immer sehr umgänglich.


Daher habe ich mich dazu entschlossen, ihn für ein paar Tage aus seiner häuslichen Umgebung mit nach Potsdam zu nehmen.


Dort haben wir das Grab seines Bruders besucht und er hat an diesem Tage Tränen vergossen. Jedoch nicht aus Trauer. Er hat sich richtig gefreut wenigstens noch einmal an der Ruhestätte seines Bruders gewesen zu sein.

Hildegard Herzog


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Doch (da) ist Freude

Schön ist das Lächeln beim Streicheln der Wangen
schön ist wenn ich sage bin noch nicht gegangen
Mutter wenn du nichts mehr weißt doch noch fühlend
soll es nicht Sorge sein im Frühling

Volkmar Pursche In Erinnerung an Mutter.


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Die klitze kleinen Freuden...

Es fällt mir zuerst mal schwer, darüber nachzudenken, welche schönen Momente ich mit Mutti erleben konnte. Und es fällt mir auch schwer, darüber zu schreiben. Aber ich merke, dass es mit jedem Buchstaben leichter geht.

Ich pflege und betreue meine Schwiegermutter seit nunmehr fast zehn Jahren bei uns zu Hause. Es war nicht immer leicht, aber ich konnte für fast alle Probleme die anfielen, Abhilfe schaffen.

Es war anfangs wirklich nicht einfach mit meiner Mutter. Aber egal welche Beschäftigung ich ihr auftrug, sie tat es und hatte auch ihre Freude dran.

Am meisten wenn sie beim Spielen gewann. Es machte ihr Freude wenn sie „ihrem Bürgermeister“, dem sie sehr verbunden war, Briefe schreiben konnte. Und mich freute es auch.

Ich erinnere mich, wenn sie mal arg böse war, dann schaltete ich eine Musikkassette ein mit André Rieu und wir tanzten und sangen gemeinsam. Das gefiel ihr, sie war in ihrer Welt.

Die größte Freude hatte sie, wenn sie ein Riesen Stück Schwarzwälder Kirschtorte aß. Ich ging oft mir ihr in ein Café. Auch das war ihre Welt. Wenn wir dann spazieren gingen und sie roch im Sommer an den Rosen und erfreute sich an den Farben, das war für uns beide ein schöner Moment. Das hat uns beide Freude gemacht.

Sie konnte sich freuen, wenn sie nach ihrer böhmischen Musik mitsingen konnte. Mich freute es auch, merkte ich doch, dass es noch geht.

Die kleinen Freuden werden mit fortschreiten der Krankheit immer seltener. Aber Freude hat sie auch heute noch, wenn meine Enkel auf Besuch kommen, besonders wenn ich sie zu ihr ins Bett setze und sie über ihre Haare oder Wangen streicht. Da kommen bei mir sogar Tränen - es geht noch etwas!!!

Kleine Freuden!!!! - für uns „Normale“ vielleicht oft gar nicht merkbar - kann ich meiner Mutter auch heute noch machen, indem ich sie ganz einfach streichle und Küsschen gebe. Mutti gibt zwar nur noch ansatzweise Küsschen, aber für mich ist das eine sehr große Freude. Oder wenn sie ganz unerwartet etwas sagt, unverständlich zwar, aber auch das freut mich sehr.

Ich freue mich, wenn ich spüre, dass Mutti etwas ganz angenehm empfindet, etwa wenn ich ihr den Rücken massiere und sie dabei zufrieden nickt. Leider ist eine verbale Unterhaltung mit ihr nicht mehr möglich, zum einen weil sie ihre Hörgeräte - ohne die sie völlig taub ist - in den Mund stecken würde, zum andern weil sie sie als Fremdkörper empfindet. So haben wir noch ein zusätzliches Handicap.

Wenn man anfängt zu schreiben, fallen einem so viele Dinge ein…

Brigitte Pfeiffer Mitglied unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-L


Weiterer Text von Brigitte Pfeiffer: Biref an Mutti und Der Bürgermeister von Wächersbach


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"Weißt du, was ich dich hab?"

Meine Mutter erinnert sich meist nur noch an die "alten Zeiten" und da hier die Erinnerungen nur mit wenig erfreulichen Dingen erfüllt sind, hinterlassen sie auch nur Traurigkeit: "Ich bin ja nix mehr wert!" Sie hatte sich selbst immer nur über ihre Leistungen definiert und hoffte so etwas Liebe zu erhalten. Nun erlebt und erleidet sie, dass sie nur noch wenig machen kann. Irgendwann hab ich sie einmal gefragt: "Mama, weißt du, was ich dich hab?" Da guckte sie mich fragend an und sagte: "Nein." Dann habe ich ihr gesagt: "Lieb!" Meine Antwort hat sie sich so sehr gefreut und sich trotz ihrer Vergesslichkeit so tief in ihr Gedächtnis eingebrannt, dass jetzt immer, wenn ich zur Arbeit oder aus ihrem Zimmer gehe, ich nochmal kurz winke und sie frage: "Mama, weißt du, was ich dich hab?" Und dann antwortet sie stets mit einem dankbaren Lächeln: "Lieb!"

Klaus S. Fleck, Blieskastel


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Stumme Freude

Es ist schon einige Jahre her, als ich Herrn J. das erste Mal zur Häuslichen Entlastungsbetreuung besuchte. Ich setzte mich ihm gegenüber, so dass er mich wahrnahm und ich sprach ihn in ruhigen Worten an. Herr J. beugte sich vor, sah mich mit großen Augen an, drehte seinen Kopf hin und her und bemusterte mich eine Weile mit ernster Mimik. Plötzlich schenkte er mir ein strahlendes Lächeln und deutete an, mir die Hand reichen zu wollen. Dies war unser erster wunderschöner Moment, dem aber noch viele folgen sollten.

Herr J. sprach kein Wort. Aber es bedurfte auch keiner Worte um uns zu verständigen, denn er „sprach“ mit seinen Augen und seinem Lächeln und nur mit kaum wahrnehmbarer Mimik und Gesten.

Als einstiger Prof. der Mathematik und Physik beschäftigte er sich gern mit kleinen mechanischen Dingen, etwa einem Kugelschreiber, einem ausziehbaren kleinen Auto oder dergleichen. Schnell wusste Herr J. dass ich ihm immer wieder etwas Neues mitbrachte, was er mit großer Freude „entdecken“ konnte.

Aber Herr J. liebte es auch, wenn ich zu unterschiedlichen interessanten Themen vorlas. Machte ich zwischen den kurzen Themen eine kleine Lesepause, so forderte er voller Ungeduld weiter zu lesen. Einmal las ich aus meinem Buch über Anekdoten bekannter Persönlichkeiten vor, so auch eine von der Schauspielerin Adele Sandrock. Herr J. fing herzlich, auf der ihm eigenen Art zu lachen an und so haben wir uns gemeinsam köstlich amüsiert.

Seinen Unmut konnte Herr J. natürlich auch zum Ausdruck bringen, wenn ein Auto laut hupte oder andere laute Geräusche ihn störten.

Wirkte Herr J. traurig oder angespannt, half mir die Musik, die in unserer Seele so viel bewirken kann. Am liebsten hörte er den klassischen Titel „Time to say good bye“ (Zeit auf Wiedersehen zu sagen). Oft tippte er mich dann ganz sacht an, er lächelte zufrieden und sank entspannt in seinen Sessel zurück, um der Musik zu lauschen.

Auch wenn die Demenz Herrn J. sehr verändert hat, so war er dennoch eine Persönlichkeit mit großer Ausstrahlung und einer überaus liebenswerten Art.

Karin Börner, Berlin, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Der Eva-Tag

Mittwoch war wie immer Eva–Tag, also der Tag an dem ich Eva zur Häuslichen Entlastungsbetreuung besuchte. Sie war eine sehr liebenswerte Dame, die darauf bestand, mit du und bei ihrem Vornamen angesprochen zu werden. Während meines Besuchs, war ihr Mann bei einer medizinischen Behandlung, wodurch ich ihn nur recht selten sah. Es interessierte ihn aber sehr, was wir Frauen denn so alles unternahmen. Aber seine Frau Eva konnte ihm all dies nicht in Worten wiedergeben und so machte ich den Vorschlag, ein Tagebuch anzulegen. Mein Hintergedanke war natürlich auch, ihre Fähigkeiten in Wort und Schrift so lange wie möglich zu erhalten. Aber Eva meinte „Tagebuch“ kann man das doch nicht nennen und so schrieb sie, nach kurzer Überlegung, auf das Deckblatt des Heftes „Frauenbuch von Eva und Karin“. All unsere Unternehmungen wurden nun jeden Mittwoch von Eva eingetragen, mal in Sätzen, mal in Stichworten und dies sehr zur Freude ihres Mannes.

Nun war es mal wieder so weit: Es war Eva–Tag. Herrlicher Sonnenschein wechselte sich mit kurzen kräftigen Regenschauern ab. Eva stand schon am Fenster und winkte mir zu. So machte ich ihr den Vorschlag, solange die Sonne scheint, eine Runde spazieren zu gehen. Eva ging immer gern spazieren, aber nur, wenn ich dabei ihre Hand hielt. So verging die Zeit, bis Eva genau wusste, welche Schuhe und Jacke sie tragen wollte. Von der Ferne sah ich schon die ersten grauen Wolken aufziehen aber mit einem großen Schirm gewappnet würde es sicher für eine kleine Runde ums Haus reichen. Wir waren kaum am Ende des Häuserblocks, da fing es schon an zu regnen. Die auf den Schirm prasselnden Regentropfen verängstigten Eva so, dass wir wieder nach Hause gingen.

Zum Ende meiner Besuchszeit war es wieder Zeit, alles ins Frauenbuch Eva und Karin zu schreiben, was wir so gemeinsam erlebt hatten. Beide grübelten wir, was wir denn so alles gemacht hatten. Auf einmal riss Eva den Arm hoch und zeigte Richtung Fenster. Ich sagte: „Wir waren spazieren.“ Aber Eva meinte, das könne man so nicht schreiben. Ich machte andere Vorschläge, aber es half alles nichts, Eva meinte zu allem, dass man das nicht so schreiben könne. Nach einer Weile setzte sie den Stift an und schrieb „Wir haben den Regen besucht.“ Ja, und genau das hatten wir ja auch getan. Noch heute bin ich von dieser Wortwahl dermaßen fasziniert, dass ich lächeln muss, wenn ich an diese Begebenheit mit Eva denke.

Karin Börner, Berlin, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Die Erdanziehungskraft mit Berliner Luft

Zu unserer Betreuungsgruppe in Berlin-Zehlendorf kam regelmäßig und gern der stets freundliche Herr Q., ein eher stiller Beobachter, der sich nicht mehr als nötig bewegte, aber zu bestimmten Situationen oft und gern eine treffende Bemerkung machte.

Einmal beobachte er mich, als mir eine Serviette herunter fiel während ich den Mittagstisch eindeckte. Dies entging natürlich nicht seinem Blick und so bemerkte Herr Q., dass ich froh sein könne, dass diese Serviette nicht hoch fiele, weil es nämlich die Erdanziehungskraft gibt und diese mit dem Magnetfeld usw. zusammenhinge. Er selbst sei nämlich kürzlich zu Hause hingefallen und gäbe es nicht eben diese Erdanziehungskraft, wäre er doch glattweg in die Luft geflogen.

Ein anderer Besucher unserer Zehlendorfer Betreuungsgruppe, der das hörte, meinte trocken: „Nur Fliegen ist schöner.“ Ein weiterer Gast schnappte das Wort Luft von Herrn Q. auf und sang inbrünstig: „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft!“.

Karin Börner, Berlin, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Die blauen und die grauen Tage

Seit nun schon mehr als zwei Jahren betreue ich Joachim B., in unseren Betreuungsgruppen. In dieser Zeit ist er mir sehr ans Herz gewachsen. Bis vor einem Jahr konnte ich mit ihm noch längere Strecken spazieren gehen. Das waren noch die „blauen Tage“ (nach dem Film Die blauen und die grauen Tage mit Inge Meysel). Inzwischen zählen wir fast nur noch „graue Tage“ denn inzwischen verschlechterte sich sein Zustand so sehr, dass ich es nur mit Tricks und sehr viel Hilfestellung schaffe, ihn auch nur zu einem winzigen Schritt zu bewegen. So brauchen wir nunmehr allein für einen Gang durch die Räume unserer Betreuungsgruppe geschlagene 45 Minuten. An eine Runde durch den Park ist schon gar nicht mehr zu denken.

Wirklich nicht? Auch wenn die Alzheimer-Krankheit ständig voranschreitet, gibt es doch immer wieder einmal überraschende Momente, in denen günstige Bedingungen zusammentreffen und das Unmögliche möglich wird. Diese Momente gilt es zu erkennen und vor allem zu nutzen.

Eines Morgens nämlich, wurde Herr B. wie gewohnt von unserem Fahrdienst zur Betreuungsgruppe gebracht. Doch diesmal wirkte er irgendwie wacher als sonst. Bereitwillig stieg es aus seinem Rollstuhl auf und folgte mir recht zügig zum Tisch. Auch zum späteren Morgenspaziergang schloss er sich der Gruppe ohne Umschweife an ohne seinem Rollstuhl auch nur eines Blickes zu würdigen. Nicht Ängstlichkeit und Zögern bestimmten seine Haltung, nein er drängte richtig nach vorne. Ich hielt mit ihm Schritt und stabilisierte ihn von der Seite. Der Gang in den Park glich einer Erstürmung, so sehr strebte er voran. Als wir festen Weg vor uns hatten, gab ich seinem Vorwärtsdrang nach. Seine Schritte beschleunigten sich. Stützend folge ich ihm und werden immer schneller. Schließlich erreichten wir eine Geschwindigkeit, die deutlich über einem schnellen Gehen lag. Ja das war schon richtig Rennen!

Unter dem Beifall der anderen Betreuer trabten wir beide den Parkweg entlang. Als mich nach 30 bis 50 Metern unsere Gruppenleiterin zur Vorsicht mahnte, drosselte ich unser Tempo wieder auf Normalgang. Die nächste Bank bot uns schließlich willkommene Ruhe von unserem Jogging-Ausbruch. Erschöpft aber glücklich strahlte Herr B. uns alle an.

Andreas Körner, Berlin, Teilzeitmitarbeiter der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Zum Fenster

In unserer Geschäfts- und Beratungsstelle bekamen wir einen verzweifelten Anruf von unserem Angehörigen Herrn Dr. Q. Seine demenzkranke Frau wurde im Geriatrischen Zentrum in Berlin-Buch an einem Knie erfolgreich operiert.

Doch trotz tagelangen Versuchens der dortigen Ärzte und Therapeuten konnte man Frau Q. nicht dazu bewegen vom Stuhl aufzustehen bzw. ein paar Schritte zu gehen.

Ich kannte Frau Q. aus der Betreuung in unserem Betreuungscafé dessen zugehörige Angehörigengesprächsgruppe Herr Dr. Q. regelmäßig besuchte. Am nächsten Tag fuhr ich gleich nach Berlin-Buch ins Geriatriezentrum.

Mit einem freudigen Lächeln öffnete ich die große Tür ihres Vierbettkrankenzimmers und begrüßte Frau Q. mit einer Umarmung. Sie erkannte mich gleich wieder. Bald kamen wir ins „Gespräch“, das natürlich eher einseitig war, denn Frau Q. war fast verstummt. Aber ich merkte, dass sie mich verstand. Kurzerhand war ein bunter Luftballon aufgeblasen und sie tippte ihn mir stets mal mit der einen, mal mit der anderen Hand zurück. Nebenbei lobte ich ihr großes Zimmer mit schöner Aussicht und fragte, ob sie mir nicht einmal den Ausblick aus dem Zimmer zeigen könne. Mit etwas Unterstützung aber ohne Anstrengung stand sie auf, hakte sich bei mir ein und führte mich zum Fenster.

Dabei bemerkte ich nicht, dass zur gleichen Zeit die Krankenschwester, die gerade das Nachbarbett neu bezog, das Zimmer verließ, um einige Minute später mit einem Physiotherapeuten zurückzukehren.

Derweil saßen wir wieder am Tisch und der Luftballon tanzte zwischen uns hin und her.

Ungläubig kopfschüttelnd erzählte mir der Therapeut, was die Krankenschwester ihm berichtet hatte, und fragte, ob ich ihm wohl den Gang zum Fenster noch einmal vorführen könnte.

Kein Problem – Frau Q. wiederholte es ohne Zögern.

Als ich schon wieder mit meinem Tretroller auf dem langen Flur Richtung Ausgang rollte, begegnete ich der großen Chefvisite. Das Ereignis hatte sich bereits herumgesprochen und man bat mich erneut, es noch einmal zu demonstrieren. Dabei informierte ich den Leitenden Arzt ausführlich über die Arbeit und die Betreuungsangebote unseres Vereins.

Doch erst einmal musste das im Krankenzimmer stehende Visiteteam noch ein bisschen warten, denn schließlich musste ich erst wieder einen Luftballon aufpusten.

„Frau Q. zeigen Sie mir bitte am Fenster noch einmal den schönen Ausblick?“

Nach einigen Schritten zum Fenster bewunderten wir den frühlingshaft ausschlagenden Kastanienbaum, in dem sich die Frühjahrssonnenstrahlen fingen.

So standen wir noch eine ganze Weile. Währenddessen hatte die Chefvisite bestimmt schon das letzte Zimmer der Station erreicht.

Als ich ihr sagte, dass ich noch heute Abend ihren Mann von unserem Erlebnis am Fenster berichten werde, verriet mir ihr leichter Händedruck und ihr Lächeln ihre Freude.

Gerhard Pohl, Berlin, Teamleiter der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Glück ist, wenn meine Schwima wieder lächelt

Meine Schwima ist seit März 06 im Pflegeheim, hatte im April 06 eine Gehirnblutung und es ging gar nichts mehr und der Arzt schlug eine Magensonde vor. Mit Dany Sahne habe ich das aber verhindert, denn bald hat meine Schwima wieder selbst gegessen. Ins Heim kommt ein toller Neurologe, wir telefonieren erst miteinander, wenn er an der Medikation was ändern will. Axura war von der Klinik abgesetzt worden – er hat es wieder aufgeschrieben. Nicht nur deshalb geht es ihr jetzt besser, aber das wird mit dazu beigetragen haben.

Ich habe soeben meine Schwima besucht und sie war wach. Wach, nur wach? Sie hat mich heute angeschaut, sie hat gelächelt! Sie hat gesagt: „Das ist aber schön!“

Sie hat gegessen, ich habe ihr das Essen mit einem kleinen Löffel angereicht, den ganzen Teller leer gespachtelt und für hinterher hatte ich einen Dany Sahne mitgenommen, auch der war ratz fatz alle (es gibt zwar auch im Heim Pudding zum Nachtisch, aber zum einen kann ich ihr nur noch so wenig schenken, und zum anderen schmeckt Dany Sahne einfach am besten).

Sie hat sehr interessiert zugehört, als ich ihr erzählt habe, was sie früher alles Tolles gekocht hat, und dass ich die Markklößchen nie so gut hinkriege wie sie und Klaus keine Leberknödel mehr bekommt, weil ich die gar nicht kann. Sie hat gelächelt und „Ach ja“ gesagt, ich habe meine Hände auf ihre Schultern gelegt, und sie hat mich angeschaut und gesagt: „Das ist gut“.

Ihr Blick hing an meinen Lippen, als ich ihr zum Abschied „Sah ein Knab ein Röslein stehn“ sang – und als ich sagte: „Ich komme bald wieder – tschüss!“ hob sie die Hand zum Winken und sagte. „Ja.“

Mein Herz ist so voll: Glück ist, wenn meine Schwima wieder lächelt.

Christa Lehr, Volxheim, Mitglied unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-L.


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Bewegt die Seele, dann bewegt sich der Körper

(Böhm)

Letzen September bekam unsere Einrichtungsleiterin einen Hilferuf der Ehefrau des an Alzheimer erkrankten Herrn F.. Sie betreute ihren Mann schon mehrere Jahre und war nun am Ende ihrer Kräfte. Bei einem Hausbesuch konnte ich mir ein Bild von Herrn F. machen. Er war sehr höflich, konnte noch gut kommunizieren, obwohl Einbußen ersichtlich waren. Es war schon mehrere Jahre im Ruhestand, was er offensichtlich vergessen hatte. Seine Arbeit als Biologe war sein Leben - ebenso sein Hobby, die Ornithologie. Er konnte mir Vögel zeigen und diese auch benennen. Er konnte auch deren Stimmen imitieren. Körperlich war er noch sehr mobil und er fand sich in seiner gewohnten Umgebung ganz gut zurecht. Dennoch waren seine kognitiven Einbußen beträchtlich.

Da die Ehefrau bis dahin keinerlei mobile oder ambulante Hilfsangebote in Anspruch genommen hatte, riet ich ihr, diese zu nun nutzen und von einer Heimunterbringung vorerst noch Abstand zu nehmen.

Als Herr F. im Dezember in unsere Einrichtung zog, war ich über seinen Zustand schockiert. Er war ein absoluter Pflegefall: bettlägerig, schläfrig, stumm - völlig apathisch. Die Ehefrau berichtete mir, dass es mit der Tagesbetreuung nicht geklappt habe, da ihr Mann dort nicht bleiben wollte. Bei einer notwendigen Untersuchung im Krankenhaus kam es zu Aggressionen und zu einer Einweisung in die Psychiatrische Abteilung. Dort bekam Herr F. eine Pneumonie von der er sich nicht so recht erholte.

Nun war er also im Heim. Ich sah die Verzweifelung seiner Ehefrau und fragte mich auch, ob dieser Mann auch in einer derart schlechten Verfassung wäre, hätte ich im September nicht zur Inanspruchnahme ambulanter Hilfsangebote geraten. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen.

Spontan versprach ich der Ehefrau, dass wir ihren Mann wieder soweit „auf die Beine bekommen würden“, dass sie im Frühling mit ihm in den Garten gehen könne. Ich war davon überzeugt, dass die Chancen dafür gut stünden, dies jedoch mit viel Arbeit verbunden sein würde, eine gute Zusammenarbeit aller an der Pflege und Betreuung Beteiligter vorausgesetzt.

Als erstes stellten wir das Bett so, dass Herr F. aus dem Fenster sehen konnte. Das Zimmer ist im 4. Stock, aber vor dem Fenster ist ein großer, alter Nadelbaum.

Im Biografiegespräch suchte ich gemeinsam mit der Ehefrau nach weiteren Anknüpfungspunkten. Herr F. liebte Musik - klassische Musik. Die Ehefrau brachte einen CD-Player mit und CDs, welche ihr Mann so gerne gehört hatte. Die Mitarbeiterinnen der Pflege setzten diese Musik gezielt ein. Zu bestimmten Zeiten wurde bestimmte Musik angeboten.

Im Biografiegespräch erfuhr ich weiterhin, dass Herr F. ein sehr gläubiger Christ ist. Er hat immer vor dem Essen gebetet und abends für seine Familie. Da er das alles nicht mehr konnte, taten das anfangs die Mitarbeiter der Pflege für ihn - später mit ihm. Bei der Körperpflege sprachen die Mitarbeiter mit Herrn F. über Wasserqualität - Wasser war beruflich sein Leben. Im Internet suchte ich viele Vogelbilder, die ich dann in entsprechender Größe ausdruckte, laminierte und an die ihm gegenüberliegende Wand pinnte. Bereits als ich die Bilder anbrachte, hörte ich Herrn F. leise flüstern und mir war schnell klar, dass er die lateinischen Namen der Vögel auf diesen Bildern flüsterte. Ich freute mich, sein Interesse geweckt zu haben und forderte ihn auf, mehr zu erzählen und wenn möglich die deutschen Bezeichnungen. Da sagte er klar und deutlich: „Das ist ein Milan.“ Diese Bilder waren von nun an die Brücke für Gespräche. (Seiner Frau sagt er die Namen übrigens nicht, wohl weil er weiß, dass sie die Namen kennen müsste, da sie dieses Hobby immer miteinander geteilt haben.)

Zum Bewegen der Gelenke wurde ein Physiotherapeut eingesetzt und die Mitarbeiter der Pflege forderten Herrn F. auf, sich selbst zu rasieren, selbständig zu essen etc. und lobten für das, was er selbst tat.

Ich hatte 5 Tage frei, und als ich wieder im Dienst war, besuchte ich Herrn F.. Eine Mitarbeiterin wollte unbedingt meine Reaktion sehen und begleitete mich in sein Zimmer. Ich war fassungslos. Herr F. saß im Bett und aß selbständig eine Banane. Er wirkte völlig verändert - lächelte und hatte sogar seinen Humor wiedergefunden. Seitdem isst er wieder und zwar selbständig, kann sich teilweise selbst waschen und vor allem er spricht wieder und kann seine Wünsche äußern. Seine Augen wirken wach und er kann nach monatelanger Bettlägerigkeit wieder im Rollstuhl sitzen.

Er hat wieder Lebensqualität zurück gewonnen.

Ich sah Tränen der Freude in den Augen der Mitarbeiter der Pflege.

Dies alles war nur möglich durch:

  • die liebevolle Begleitung seiner Ehefrau,
  • durch engagierte Mitarbeiter,
  • biografieorientiertes Arbeiten und
  • den Einsatz eines Physiotherapeuten.

Nur diese Zusammenarbeit hat die Seele dieses Mannes bewegt.

Birgit Mai


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Der Bademeister

Manchmal merkt man, wie klein unsere Welt ist, denn ich staunte nicht schlecht, als ich meinen ehemaligen Dozenten von der Humboldt Universität, Herrn Dr. A., wieder traf.

Er ist jetzt an einer Demenz erkrankt. Herr Dr. A. kommt in meine Betreuungsgruppe. Außerdem besuche ich ihn wöchentlich für mehrere Stunden im Rahmen unserer Häuslichen Entlastungsbetreuung.

Schon damals wusste ich, dass er gerne schwimmen ging. Betätigte er sich doch auch als Bademeister im Schwimmbad Pankow. Stolz zeigt seine Frau mir einen Zeitungsausschnitt von der Eröffnung des Schwimmbades 1962 mit dem Bild ihres Mannes als er mit einem Köpper vom Zehnmeterturm sprang.

Deshalb gehe ich mit Herrn Dr. A. während der Einzelbetreuung vorrangig schwimmen.

Natürlich muss ich dabei einige Schwierigkeiten in den Umkleidekabinen bewältigen. Kaum sieht er nämlich seine ausgezogenen Schuhe, schwupp ist er mit seinen Füßen schon wieder drin. Natürlich ohne Strumpf. Diesen muss ich später erst wieder suchen. Manchmal habe ich Glück und finde ihn gleich in der Innentasche seiner Jacke. Aber auch die „letzte“ Hose auszuziehen, sieht er überhaupt nicht ein. Logische Erklärungen, dass ja dafür die Badehose angezogen wird, haben keinen Zweck.

Also beginne ich mit ihm zeitgleich d.h. synchron das Ausziehen. Er sieht was ich tue und macht es nach. Ohne große Erklärungen.

Aber alle diese Mühen werden belohnt. Wenn er erst einmal im Wasser schwimmt, ist seine Freude unverkennbar. “Ich bin schon da!“, sagt er immer, wenn er im Kraulstil das Ende des Schwimmbeckens als Erster erreicht hat.

Natürlich muss ich auf die entgegenkommenden Schwimmer Acht geben, dass sie rechtzeitig ausweichen, denn mein Herr Dr. A. denkt gar nicht daran, seine gerade Bahn irgendwie zu ändern.

Nach dem Schwimmen leisten wir uns noch eine Bockwurst und Fassbrause.

Nach S-Bahnfahrt und Spaziergang durch den Schlosspark Pankow klingeln wir dann in guter Stimmung an seiner Wohnungstür.

Seine Frau, die in der Zwischenzeit einen Einkaufsbummel gemacht hat, öffnet entspannt die Tür und erzählt uns noch ihre Shoppingerlebnisse. Freundlich verabschiede ich mich:

„Also tschüss, bis nächste Woche!“

Gerhard Pohl, Berlin, Teamleiter der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Wie macht man einen Demenzkranken glücklich?

Nach dem Sandmännchn (19 Uhr) ging es normalen Tags ins Bett. Diesmal wollte "mein großer Junge" (und das ist er nun mal für mich) Eis essen gehen. Er war schon im Schlafanzug. Nach meinem Widerspruch machte er ein trauriges Gesicht. Also was tun?

Schließlich zogen wir Hose und Pulli über den Schlafanzug - denn was er einmal anhat, lässt er sich ungern wieder wegnehmen.

Los ging's zum Eis essen. Strahlendes Gesicht! Vanilleeis - hm. Ab und zu schaut er nach dem Schlafanzug und lacht - sieht ja keiner. Voll Freude ging es etwas später als gewohnt zu Bett.

Es war eine ruhige Nacht. Ich brauchte in dieser Nacht keinen Kaffee kochen. Denn bei dem Tag/Nacht-Durcheinander wird üblicherweise zwischen zwei und drei Uhr nachts gefrühstückt.

Iris Arnold, Berlin


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Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Meine Frau leidet seit mehreren Jahren an fortschreitender Demenz. Zu Anfang haben unsere drei erwachsenen Kinder und auch ich als Ehemann die zunehmende Schwäche ihres Kurzzeitgedächnisses nicht sonderlich wahrgenommen. Oftmals haben wir uns noch gemeinsam köstlich über die Wiedergabe der daraus enstandenen unlogischen Zusammenhänge amüsieren können. Leider ist es aber auch zu Mißverständnissen gekommen, weil sie bei der Wiedergabe der Inhalte von Telefongesprächen erstgenannte Fakten gar nicht mehr wusste und somit auch nicht erwähnte. Erst viel später, mehr zufällig, konnten diese dann geklärt werden.

Lange hatte mich das unzulängliche Gedächnis meiner Frau nicht sonderlich gestört, zumal ich ja auch die Ursache nicht kannte.
Im Jahre 2004 haben wir unsere goldene Hochzeit im Kreise unserer Familie feiern können. Bei den Erinnerungen an die ersten Jahre unserer Kinder sind ihr dann doch einige Bonmots unterlaufen, die zu allgemeiner Heiterkeit führten. Auch die Urheberin lachte kräftig mit, obwohl ich glaube, dass sie den Grund der Heiterkeit häufig nicht erfasste.

Auch ich habe mich viele Male gemeinsam mit ihr über den Inhalt ihrer Erzählungen amüsiert. Oft waren es reine Traumbilder, die sie wiedergab. Aber sie waren so plausibel erzählt, dass es auch für mich schwer war, zu unterscheiden, wann es Dichtung oder Wahrheit gewesen ist.
Beobachtung, die sie aus unserem Stubenfenster macht, sind häufig lustig bis skuril. So machte sie mich darauf aufmerksam, dass auf dem Dach des Nachbarhauses Hasen säßen. Offensichtlich hatten mehrere Lüftungsstutzen, die auf dem Dach zu sehen waren, sie zu der Annahme inspiriert. Ihre Schilderungen von all den kleinen Tieren, die sie in den Ecken des Zimmers und unter dem Tisch entdeckt hatte, konnte ich ihr nur mühsam widerlegen..

Leider ist das alles nun abrupt vorbei. Jetzt sinniert sie meist nur noch vor sich hin, kann sich nur wenig mitteilen und ihre zunehmende körperliche Schwäche fesselt sie fast ständig ans Bett.
Trotzdem ist die allmorgendlich erscheinende Pflegerin und bin auch ich immer wieder erstaunt mit welcher Schlagfertigkeit meine Frau noch durchaus passende Kommentare geben kann.

Heinz Alpers, Hamburg


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Wege aus dem Adventstief - hinein in die Weihnachtsfreude

Eine pflegende Ehefrau aus unserer Internet-Selbsthilfegruppe schrieb, dass sie sich während der Adventszeit in einem kleinen Tief befände und dies auch etwas mit Weihnachten zu tun habe. Sie würde noch viele Dinge tun wollen, zu denen sie sich aber nicht aufrappeln könne und auch nicht die Zeit dazu habe. Sie neige dazu, Advent und Weihnachen einfach zu ignorieren, da sie auch glaube, dass keiner etwas vermissen werde, am wenigsten ihr demenzkranker Mann.

Darauf antwortete Bettina Hackel (Schweiz), Moderatorin unserer Internet-Selbsthilfegruppe AlzFor-Partner folgendes:

„Bis jetzt hatte ich Weihnachten noch recht intensiv vorbereitet, sowohl Dekorationen wie Briefchen und Karten, wobei mein Mann auch fleißig mitmachte. Nun habe ich nur noch seinen Tisch dekoriert und ihm angekündigt, bald werde er Weihnachtspakete auspacken könne. Dazu lächelt er zwar und betrachtet auch den Adventskalender; der freilich zeigt ein nostalgisches Bild von meiner weihnachtlich geschmückten Heimatstadt, deren Altstadt mein Mann auch sehr gut kennt. Was ihn noch am meisten in Stimmung bringt, ist Musik: seine Lieblings-Klassiker, sowie Chöre und Weihnachtslieder.
Wie Du von Deiner Stimmung erzählst, schließe ich: Du hast ganz vergessen, (auch) für Dich selber Weihnachten vorzubereiten! Ich stelle mir vor: wenn Du für Dich selber feiern könntest, was immer an Weihnachten für DICH wesentlich ist – das spürt dein Mann dann auch und lebt es mit Dir mit. Je mehr er nach INNEN lebt, immer weniger aus der Erinnerung und Denken, immer mehr aus dem Erspüren des Augenblicks ... umso näher mag er Dir wieder sein, ganz mit Dir DA - auch wenn er nicht mehr weiß, dass Weihnachten ist.
In diesem Sinne ist mir heute auch eingefallen, dass ich meinem Mann vielleicht sein heute angekommenes Weihnachtspaket mit den LEGO-Bausteinen nicht erst an Weihnachten aufmachen lasse. Warum auch?
Wichtig ist doch, DASS er daran Freude und damit Beschäftigung hat - nicht: wann!“

Und Wilfried Georgi (Thüringen) ergänzte:

"Das habe ich bei unseren Tandemtouren, bei allen bis zuletzt durchgeführten Fernreisen mit meiner Waltraud so gehalten:
Hat sie auch nicht mehr alles mitbekommen und ihre Freude oft nicht zeigen können, so habe doch zumindest ICH Freude und Erfüllung bei der Bewältigung meiner Begleitungsaufgabe empfunden. ICH habe daraus neue Kräfte geschöpft. Freude ist ein oft unterschätzter Kraftquell - auch und besonders für uns pflegende Angehörige selbst.
Als nach dem Tod meiner Frau ihre Rente auf 54 % sank und das Pflegegeld fehlte, kam mal kurz der Gedanke auf: 'Hättest das Geld sparen sollen? Du könntest es jetzt gut gebrauchen!" (Kann man eigentlich immer.) Gleich kam die Vernunft wieder durch und stärkte mich auch jetzt: 'Ich habe es richtig gemacht: Ich habe es MIT meiner Liebsten verbraucht, uns beiden damit Freude und Kraft geschaffen.'"


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Das letzte Weihnachsfest meines Vaters

Weihnachten 2004 wird mir immer in besonderer Erinnerung bleiben. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren war wieder die ganze Familie – meine Eltern, meine Schwester und ihr Mann, meine Großmutter und ich – versammelt. Weihnachten hatte uns allen bevorgestanden, denn der Trubel um die Festtage, egal wie gering wir ihn hielten, überforderte meinen Vater von Jahr zu Jahr mehr, und seine Hilflosigkeit verwandelte sich jedesmal in einen Aggressionsschub.

Wir sind keine kirchlich geprägte Familie, und zu anderen Zeiten hätte mein Vater bissige Kommentare abgegeben über Leute, die nur am Heiligabend in die Kirche gehen – in diesem Jahr folgte er dem Vorschlag meines Schwagers, und so gingen wir in den Nachmittagsgottesdienst. Schon bei den ersten Liedern konnten meine Schwester und ich kaum glauben, was wir da erlebten: Unser Vater, der nicht mehr lesen und nicht mehr schreiben konnte, der uns seit geraumer Zeit wahlweise für die andere oder für unsere Mutter hielt, der seine Jacke nicht mehr zuknöpfen und sein Essen nicht mehr schneiden konnte – unser Vater sang sämtliche Weihnachtslieder aus dem Gedächtnis bis zur letzten Strophe mit, während wir nach den ersten Zeilen zum Liedzettel greifen mußten. Als die Pastorin während der Predigt erklärte, daß Weihnachten für viele Menschen gar kein schönes, sondern ein trauriges Fest sei, weil sie alleine wären, drückte er meine Hand, lächelte mich an und sagte: „Ich bin ja nicht alleine.“

Es wurde ein harmonisches und glückliches Weihnachtsfest. Es war das letzte Weihnachsfest meines Vaters, und die Erinnerung an diesen Tag war sein letztes und schönstes Geschenk an uns.

Birte Peters, Hamburg


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Ein ganz besonderes Geschenk

Seit Jahren arbeite ich mit dementen Menschen. Auch meine beiden Eltern wurde in ihren letzten Phasen dement.

Mein Büro ist in einer unserer Einrichtungen, die nur für diesen Personenkreis bestimmt ist. Mit 17 Plätzen hat dieses Haus einen WG Charakter.

Einen Herrn hatte ich besonders gerne, er hatte große, fragende Augen und manchmal ein in sich selbst versunkendes Lächeln. Er sprach aber kaum, außer eben mit seinen Augen.

Öfters setzte ich mich zu ihm und erzählte etwas über mein Leben, meine Kinder, was mich gerade so beschäftigte. Manchmal versuchte ich es mit Sachen aus seinem Leben, seinen Hobbys, Beruf usw..Er hörte mir immer ruhig zu. Lächelte dann und wann, nickte manchmal und schwieg.

An einem Freitag, vor dem Wochende, war ich fröhlich und erzählte ihm über meine Pläne für die nächsten zwei Tage. Er hörte diesmal sehr aufmeksam zu. Als ich mich verabschieden wollte, sagte er plötzlich klar und deutlich: „ Sie sind ein ganz wertvoller Mensch“. Es traf mich wirklich wie der Blitz, der Satz berührte mich in meinem Inneren, brachte Seiten in meiner Seele zum schwingen. Ich war peinlich berührtIch und gleichzeitig überglücklich. Hr. F. hatte geredet und mir einen Schatz geschenkt. Er wiederholte dies auch immer, wenn er mich sah, varierte den Satz dann auch mit „ lieber Mann“ oder „ Sie sind ein Menschenfreund“.

Die meisten Menschen wollen wertvoll sein und arbeiten daran, würden dies natürlich nie so äußern. Ohne die oft erdrükenden Schranken der Vernuft konnte mir der demente Herr F. so etwas sagen.

Lutz Kramer, Offenbach


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Pour Elise

Zum Ende des Betreuten Urlaubs in Bad Bevensen organisieren wir Betreuer immer einen bunten Abend mit unseren Angehörigen, deren Demenzkranken, sowie für alle anderen Gäste des Hauses der Fürst Donnersmarck Stiftung. Es werden kleine Sketche, lustige Geschichten und Lieder aufgeführt. Anschließend werden die Tanzbeine nach beliebter Musik geschwungen. Oftmals beziehen wir auch Angehörige oder Demenzkranke mit in die Programmgestaltung ein. So konnten schon Einige ihr Können - z.B. mit der Mundharmonika - unter Beweis stellen.

Der demenzkranke Herr M. war Saxophonist in einem bekannten Musikorchester des Berliner Rundfunks und spielt zu Hause während unserer Häuslichen Entlastungsbetreuung noch immer gern Klavier nach Noten. Zwar sind die bekannten Melodien durch seine eingeschränkte Spielweise schwer herauszuhören, aber seine Augen strahlen dabei.

In der Vorbereitung unseres diesjährigen Abendprogramms diskutierten wir anfangs, ob wir Herrn M. überhaupt vor dem großen Publikum auftreten lassen sollten, da seine „Pour Elise“ von Ludwig van Beethoven doch etwas verschwommen klang.

Schnell kamen wir jedoch überein, dass das Wichtigste das Befinden von Herrn M. sei und alle seine Freude beim Spielen spüren würden.

Mit gutem Gefühl und Daumendrücken sagte ich seinen Auftritt an.

André, sein Betreuer, schob ihn mit seinem Rollstuhl auf die Bühne und assistierte ihm.

Im Saal hätte man eine Stecknadel herunterfallen hören können. Viele gingen ihren Gedanken nach.

Als er mit großem Beifall wieder an seinen Platz gebracht wurde, standen ihm und seiner Frau kleine Freudentränen in den Augen.

Während wir zum Abschluss des Abends unser schon traditionelles Abschiedslied „Ein schöner Tag ward’ uns beschert...“ hörten und auf das in der Mitte des Tanzkreises brennende Kerzenlagerfeuer schauten, sagte eine neben mir stehende Angehörige: „ Der Auftritt von Herrn M. war für mich das schönste Erlebnis des Abends!“

Gerhard Pohl, Berlin, Teamleiter der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Die Musik als Schlüssel

Frau R. war noch nicht lange bei uns. Sie lief ständig umher, sprach jeden an, blieb auch beim Essen nicht sitzen. Sie schnappte sich eines Tages dann kurzerhand eine andere Bewohnerin und lief mit der neuen Freundin durch die Gegend. Die Dame hatte nichts dagegen, sondern fand dies eine sinnvolle Beschäftigung. Sie redeten miteinander in ihrer eigenen Sprache und verstanden einander scheinbar sehr gut. Frau R. konnte eigentliche keine „sinnvollen“ Sätze mehr sprechen.

Ich nahm sie dann zu meinem Dämmerschoppen mit. Hier wurde vorgelesen und wir sangen alte Volkslieder zur Gitarre. Frau R. sang kräftig mit, ihre Wangen wurden rot vor Freude. Dann sagte sie mir, ich soll doch mal mit der Gitarre aufhören, sie hätte ein Gedicht aufzusagen. Dieses Gedicht war mir unbekannt, es kam aus dem „Hessischen“, was viel wichtiger aber war:_ Frau R. sagte alle 8 Strophen fehlerfrei auf und ich glaubte an ein Wunder der Orientierung. Dann aber sagte sie mir, wenn ich sie nicht gleich nach Hause bringen würde, bekämme ich schlimmen Ärger mit ihrer Mutter.

Immerhin hatten wir einen guten Zugang zu Frau R. über die Musik bekommen, wir konnten dies auch immer bei motorischer Unruhe positiv einsetzten, wenn sie sang, wurde sie ruhig.

Lutz Kramer, Offenbach


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Erlebnisse und Gedanken zum Tanzcafé

Seit 2005 komme ich jeden Monat mit einer kleinen Gruppe unserer Bewohner ins Alzheimer Tanzcafé im Nachbarschaftsheim Mittelhof. Meist begleite ich Menschen mit mittlerer bis schwerer Demenz.

Im Tanzcafé spielt eine Live-Band alte Schlager, Altberliner Melodien und Gassenhauer. Das soziale Gedächtnis erinnert sich. Ein Strahlen erscheint auf sonst angespannten Gesichtern.

Trotz meines Wissens über die Wirkung von Musik bei Menschen mit Demenz, bin ich jedes Mal wieder erstaunt über Reaktionen / Emotionen und fühle mich in der Arbeit bestätigt. Z.B. fangen Menschen, die sonst sehr schwer zu mobilisieren und an ihren Rollstuhl gebunden sind, an im Rhythmus der Musik mitzuschunkeln. Bewegen ihre sonst immobilen Arme, wackeln mit dem Fuß im Takt. Manchmal gelingt es mir, mit genau diesen Bewohnern zu tanzen. Es herrscht ein Moment der Sicherheit und Geborgenheit im Hier und Jetzt.

Auch erlebe ich, dass Bewohner, die kaum noch Worte zu einem Satz zusammenstellen können, sich an die Lieder erinnern; erst mitsummen und dann die alten und bekannten Texte erinnern und die Lieder mitsingen.

Ich schätze auch die Situation für Angehörige im Tanzcafé für sehr angenehm ein. Für einige Stunden erleben sie die Beziehung zu ihrem kranken Angehörigen aus einer anderen Perspektive. Krankheit und Sorgen können an diesem Nachmittag vergessen werden. Evtl. vorhandene Schwierigkeiten z.B. beim Essen spielen keine Rolle. Es existiert eine diskriminierungsfreie Umgebung.

Im Tanzcafé bemerkt man welche Schranken die Musik überwinden kann. Durch die Musik und das Tanzen, das Beisammen sein und Wohlfühlen kommt verloren gegangene Lebensfreude zurück. Lebensqualität wird geschaffen. Die Musik ist den Menschen mit Demenz vertraut; sie lässt Sicherheit und auch Kompetenz spüren in einer Umwelt, die für die Menschen unvertraut und auch bedrohlich geworden ist. Die Musik holt Erinnerungen und Emotionen zurück und ist Nahrung für Körper und Seele.

Die Alzheimer-Angehörigen-Initiative leistet mit der Einrichtung des Tanzcafé s für mich einen Beitrag für Integration.

Dipl. Sozialpädagogin Sylvia Becker, Ev. Pflegeheim Lutherstift, Berlin


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Momente der Freude

Meine Frau, Edith Riedel, 1937 geboren, ist jetzt im 9. Jahr demenzkrank vom Alzheimer-Typ. Viele Tiefen mit kleinen Höhen haben wir durchgemacht. Ich denke an die Weglaufphase, zuerst war die Wohnung noch nicht verschlossen. Da meine Frau in unserem Kiez sehr bekannt ist, wurde sie mir öfters wieder nach Hause gebracht. In der zurückliegenden Zeit gab es sehr viele Schattenseiten wie z.B. die Nachtaktivität, Aggression, Misstrauen, Fäkaliensprache u.a. Später konnte sie nicht mehr laufen, und auch die Sprache ging verloren. Sie kann sich jetzt nicht mehr allein an- und ausziehen, nicht allein waschen und essen. Wir sind ein eingespieltes Team, und an ihrem Blick kann ich erkennen, dass sie zufrieden ist.

Im Februar 2004 haben wir noch einmal eine Enkeltochter „Amy" bekommen. Hin und wieder ist sie bei uns, und mit ihren 2½ Jahren plappert sie auch schon sehr viel. Sie geht mit ihrer Omi so natürlich um, dass es eine Freude ist, diesen beiden zuzusehen. So z.B.:

Foto 1• Oma sitzt im Sessel und schläft. „Hallo Oma, hallo Oma" Amy klopft ihr auf die Oberschenkel, sie kriecht ihr auf den Schoß, „Hallo Oma, mach mal Deine Augen auf, und Oma macht tatsächlich die Augen auf, lächelt, und nimmt Amy in den Arm.

• Oma schläft noch im Bett mit motorbetriebenen Lattenrost. Ich sagte zu Amy, nun muss Omi aber aufstehen. Amy flitzt ins Schlafzimmer und sagt: „Ich mache Oma schon hoch" (und meint: mit dem Lattenrost aufrichten). „Hallo Oma, aufwachen" dann wird Oma noch ein bisschen gekitzelt und Oma macht die Augen auf. Dann bekommt Oma ihr Kuscheltier und Oma hält Amys Hand fest.

Foto 2• Oma sitzt im Sessel und schläft. „Hallo Oma, hallo Oma" Amy klopft ihr auf die Oberschenkel, sie kriecht ihr auf den Schoß, „Hallo Oma, mach mal Deine Augen auf, und Oma macht tatsächlich die Augen auf, lächelt, und nimmt Amy in den Arm.

• Da meine Frau nicht mehr selbst essen kann, erlebte ich auf einer Dampferfahrt, die von Frau Dr. Zapfe organisiert wurde, folgendes. Zum einen freute ich mich, wie hilfsbereit die Pfleger(innen) und auch das Schiffspersonal gegenüber den Demenzkranken und insbesondere denen im Rollstuhl waren. Die Kellnerein brachte Würstchen mit Toast und meine Frau bekam noch keine. Ich weiß nicht was sie dachte, aber plötzlich griff sie nach dem Würstchen ihres Nachbarn. War es die Gesellschaft? Oder der Appetit wenn alle essen? Auch dies war ein Funken der Freude.

Foto 3• Eine andere kleine Freude erlebe ich jedes Jahr, wenn wir über unsere AAI den Betreuten Urlaub in der Hotelanlage in Boltenhagen verbringen. Meine Frau und ich bewohnen ein gemeinsames Apartment und meine Frau wird von einer Pflegerin (Studentin im 3. Studienjahr- Krankenschwester oder Altenpfleger von Vivantes) vom Aufstehen bis zum abendlichen zu Bett gehen betreut. Meine Frau akzeptierte nicht jede Pflegerin. In unserer Treptower SH-Gruppe kam es schon zum Kneifen und Kratzen bis Blut bei der Pflegerin kam. Die pflegenden Mädchen in Boltenhagen, ob nun die Beatrix, die Christine, die Linda, die Syndi, die Carolin die Maike oder die Franziska und andere kontaktierten meine Frau und unterhielten sich mit ihr, aber meine Frau konnte nicht antworten. Meistens beim Frühstück in den ersten Urlaubstagen „mustert" meine Frau das pflegende Mädchen von oben bis unten und lauscht was sie sagt. Für mich ist es eine wahre Freude wie meine Frau durch Blicke und Gestik zum Ausdruck bringt, Dich akzeptiere ich, Du bist so lieb zu mir, ich lasse mir auch alles gefallen. Anschließend greift sie nach der Hand, dem Arm oder streicht ihr über die Wange Ich kann dann nur noch sagen, (Franzi) sie sind akzeptiert und ich freue mich über diese Art der Kommunikation.

Foto 4• Unsere Enkeltochter Christin ist Mitglied im Reitverein Rudow. Ihre gesamte Freizeit opfert sie dem Dressur- und Springreiten mit ihrem Pferd „Aladin". So ergibt es sich, dass auch ich mit meiner Frau im Rollstuhl auf dem Reiterhof bin. Aladin spürte, dass Omi zu Christin gehört. Er begrüßt sie mit leichten wiehern und knabbert mit seinen Nüstern in ihrem Gesicht als wolle er sagen, Omi ich bin doch auch noch da und hab dich lieb. Pferde sind Meisterpsychologen.

• Da meine Frau nicht mehr selbst essen kann, erlebte ich auf einer Dampferfahrt, die von Frau Dr. Zapfe organisiert wurde, folgendes. Zum einen freute ich mich, wie hilfsbereit die Pfleger(innen) und auch das Schiffspersonal gegenüber den Demenzkranken und insbesondere denen im Rollstuhl waren. Die Kellnerein brachte Würstchen mit Toast und meine Frau bekam noch keine. Ich weiß nicht was sie dachte, aber plötzlich griff sie nach dem Würstchen ihres Nachbarn. War es die Gesellschaft? Oder der Appetit wenn alle essen? Auch dies war ein Funken der Freude.

Es gibt viele ganz kleine Momente der Freude, man muss sie nur wahrnehmen.

Reinhold Riedel, Berlin


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Eine Frage der Einstellung

Meine Frau hat Alzheimer, Parkinson und ist sehr schwerhörig. Sie hat die Pflegestufe III. Für jeden Schritt benötigt sie meine Hilfe und sie lebt in ihrer eigenen Welt. Seit vier Jahren betreue ich sie Tag und Nacht.

Wir sind 56 Jahre verheiratet und bewohnen ein kleines Einfamilienhaus zur Miete. Anfänglich haben wir an Angehörigengesprächsgruppen teilgenommen. Es wurden viele Probleme zur Sprache gebracht, aber meine Emotionen waren durch die schnelle Zuspitzung der Krankheit meiner Frau zu stark, so dass mir bei meinen eigenen Diskussionsbeiträgen häufig die Tränen kamen. Ich fand, dass bei einigen Berichten von Angehörigen dieser Gruppe die Belastung, der Arbeitsaufwand – also die rein persönlichen Belange zu stark im Vordergrund standen. – Das liebevolle Lösen aller Probleme kam mir zu kurz!

Aber jeder Fall ist ein anderer und jede Situation bringt andere Erfahrungen.

Nun aber zum eigentlichen Thema:

In den 56 Jahren unserer Ehe war es oftmals ein alltägliches Zusammenleben. Wir hatten unsere Arbeit und haben zwei Kinder erzogen. Es gab in unserer Ehe keinerlei Probleme. Es wurde Vieles zur Gewohnheit. Jetzt hat sich das verändert. Die Liebe zu meiner Frau ist größer denn je!! Entsprechend ihren Möglichkeiten erwidert sie das. Wir streicheln uns häufig; ich küsse sie. Selbst wenn ich gerade in mühevoller Arbeit ihren „Po“ gereinigt habe, bekommt sie anschließend ein Küsschen. Sie kann sich nicht äußern – aber sie spürt es. Ihr zufriedener Blick ist für mich Belohnung.

Das Erinnerungsvermögen meiner Frau ist verloren gegangen. Unsere Gemeinsamkeiten wie Reisen, die goldene Hochzeit, schöne Erlebnisse, selbst die Namen unserer Kinder und Enkelkinder sind meist nicht mehr vorhanden. Sie will immer nach Hause und fragt wo ihr Vater sei. Sie sieht offenbar ihre Kindheit vor sich. Und dennoch: Wir unterhalten uns – man könnte fast sagen – „stundenlang“. Sehr vieles verstehe ich überhaupt nicht, weil ihr selbst das Artikulieren der Wörter nicht immer gelingt. Ich gehe verständnisvoll auf alles ein und lenke die Gespräche. Sie fühlt sich verstanden!

Wenn sie 10-mal fragt – gebe ich 10-mal eine Antwort.

Eine große Rolle bei der täglichen Kommunikation spielt die Volksmusik. Wir haben viele Sendungen aufgezeichnet und können sie zu jeder Zeit wieder abspielen. Meine Frau sieht auf dem Bildschirm die bunten Bilder und erkennt manchmal Darsteller oder Sänger. Bei mir erzeugen viele Melodien eine Fröhlichkeit – auch Erinnerung. Ich singe z. T. laut mit und meine Frau versucht es dann auch! Ich halte sie an beiden Händen und wir schaukeln im Takt mit; das bringt sie zum Schmunzeln.

Wenn es das Wetter zulässt, fahren wir mit dem Rollstuhl spazieren. Jetzt im Frühjahr fast täglich. Sie ist ruhig und offenbar zufrieden; obwohl sie von dem Geschehen auf den Straßen nur wenig mitbekommt und selten versucht, etwas zu kommentieren. Oft verweilen wir vor dem Kindergarten. Sie schmunzelt über die kleinen Kinder und winkt ihnen auch manchmal zu.

Meine Frau besuchte das Gymnasium und war ab 1946 als Neulehrerin und bis zu ihrer Invalidisierung als Lehrerin tätig. Wenn unsere Tochter (54) kommt – sie ist auch Lehrerin – und laut in kindgemäßer Sprache einige Episoden aus ihrer täglichen Arbeit preisgibt, hört meine Frau aufmerksam zu und kann auch lachen.

Es ist feste Gewohnheit, dass wir beide alle Mahlzeiten gemeinsam einnehmen. Jeder hat seinen bestimmten Platz, zu bestimmten Zeiten am gedeckten Tisch. Meine Frau beobachtet mich. Wenn ich trinke oder „nasche“ möchte sie auch. Leider geht immer mehr die Selbstständigkeit verloren. Ich muss sie zu fast jeder Mahlzeit füttern.

Ich bin Tag und Nacht für meine Frau da. Ich würde sie nicht alleine lassen und auch nicht in ein Heim geben. Die 56 Jahre unserer Ehe haben uns fest zusammen geschweißt. Es ist viel Arbeit und manchmal bin ich recht geschafft; aber die Liebe zu meiner Frau beflügelt mich und gibt mir immer wieder Mut und Kraft für die laufenden Aufgaben.

Ich hoffe, dass ich gesundheitlich dieser Aufgabe noch lange gerecht werden kann.

Gerhard Sachse, Berlin, langjähriges Mitglied unserer Lichtenberger Angehörigengesprächsgruppe


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Beim Friseur

Herr M. ist seit ca. 2 Jahren an den Rollstuhl gefesselt. Er kann nicht mehr sprechen. Trotzdem fuhren seine Frau und er in den Betreuten Urlaub nach Bad Bevensen. Als bei einem gemeinsamen Spaziergang mit seiner Freu sein Haar vom Wind zerzaust wurde, entschied Frau M., dass ihren Mann unbedingt die Haare geschnitten wewrden müssten. So vereinbarten Wir, dass ich während der Betreuungszeit mit Herrn M. zum Friseur gehen würde. Am nächsten Nachmittag, gleich nach dem Vesper auf zum Friseur.

Herr M. wurde von mir in den Frsierstuhl umgesetzt. Seine Friseurin hatte Erfahrung im Umgang mit demenzkranken Menschen. Als sie mit ihrer Arbeit begann, beobachtete sie Herr M. genau. Nach einer Weile, er schien mit ihrem Tun zufrieden. Sein Blick wurde glasig, er entspannte und genoss es sichtlich. Als die Friseurin mit ihrer Arbeit fertig war, das Tuch abnahm und den Nacken reinigte wurde er wieder hellwach. Die Friseurin holte den großen Handspiegel und hielt ihn hinter seinen Kopf, damit er ihre Arbeit rundum kritisch würdigen könne. Es war wie in alten Zeiten. Herr M. begutachtete seine Frisur genau. Plötzlich setzte er sich kerzengerade hin und lächelte glücklich. Ja es kullerte sogar eine Freudenträne.

Nach dem Umsetzen in den Rollstuhl glitt er sich immer wieder übers Haar. Für Herrn M. war alles wie früher.

André Lachmann, Berlin, Praktikant der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Lichterfahrt

Freude, ein Wort, über das man lange philosophieren könnte! Das Leben hat viele Seiten, wenn ich eine unangenehme erlebe, kann ich gewärtig sein, dass es auch eine freudige gibt.
Gibt es eine angeborene Gabe die Freude zu erleben oder kann man es erlernen? Freude kommt aus dem Herzen und wird von jedem Menschen wahrscheinlich anders empfunden. Manchmal liegt es nur an der blockierten Wahrnehmung meiner Umwelt. Denn die Freude ist immer da, man kann sie überall finden - nur sehen muss man die schönen Dinge im Leben und mit dem Herzen bereit sein, sie zu empfinden.
Wir kennen alle das Zitat mit dem halbvollen oder halbleeren Glas.
Ein finnisches Sprichwort sagt, dass dem Fröhlichen jedes Unkraut eine Blume ist, dem Betrübten aber jede Blume ein Unkraut.
Wir haben mit unseren Angehörigen eine unerhört große Aufgabe zu erfüllen, dazu brauchen wir die Freude wie das Brot zum Leben. Doch gerade da ist sie am schwersten zu entdecken. Man ist manchmal nahe am Verzweifeln und weint auch dabei ein paar Tränen - das ist alles normal in dieser Situation - man kann sich nicht nur freuen. Aber die Traurigkeit ist wie ein Atemholen zur Freude zu betrachten.
Wir müssen uns selbst öfter daran erinnern, dass nicht alles selbstverständlich ist was wir für normal halten.
Dass wir so eine verantwortungsvolle Pflicht zu erfüllen haben und dass es so viel Elend, Hunger und Tod in der Welt gibt, muss uns den Mut und auch die Freude an unserem doch verhältnismäßig schönen Dasein geben.
Wir müssen lernen, uns an einfachen Dingen des Lebens zu erfreuen.
Eine schöne Landschaft, ein interessant gewachsener Baum, ein kleiner zierlicher Grashalm kann eine innerliche Ausgeglichenheit und Freude in unseren Herzen auslösen. Wir haben tausend Gründe, um glücklich, fröhlich und dankbar zu sein.
Manchmal ist es nur eine kleine Bemerkung, die uns wochenlang glücklich machen kann: mein pflegebedürftiger Lebensgefährte wurde eines Nachts wach, schreckte empor und wusste nicht, wo er sich befand. Ich beruhigte ihn und er antwortete mir: "Hauptsache Du bist da."
Er schlief sofort weiter.
Ist das nicht ein wunderschönes Gefühl? Darüber freue ich mich und empfinde eine große Dankbarkeit, dass er das so sieht.
Ich glaube, nur wenn man so viel Wärme und Freude im Herzen empfindet, kann man sich auch seinem kranken Partner öffnen und versuchen, ihn teilnehmen zu lassen an seiner eigenen Ausgeglichenheit und Freude.

Ein schönes Beispiel, wie man Freude verschenken kann, habe ich zwischen Weihnachten und Neujahr erlebt. Ein Betreuer meines Horst, Herr Pohl, hat uns angeboten, mit ihm eine Lichterfahrt durch Berlin am Abend zu machen.
Schon die Freude im Voraus war etwas Wunderschönes; denn obwohl ich in Berlin geboren bin, habe ich so eine friedliche Beleuchtung Berlins noch nie gesehen und dann erst mein Cousin Horst!
(Ihn habe ich aus Dortmund nach Berlin gelockt - als über Nacht ganz plötzlich seine Frau starb und er depressiv zu werden drohte. Er leidet unter starkem Rheuma und einer mittelschweren Demenz. Seit 2001 leben wir gemeinsam in einer wunderschönen Wohnung, über die man sich auch täglich wieder neu freuen kann.)


Das habe ich nur zum besseren Verständnis eingeflochten, weil er Berlin so gut wie gar nicht kannte.
Wie haben wir uns beide über die geisterhaften Bäume in der Straße "Unter den Linden" gefreut, sie sahen wie im Hexenwald und verzuckert aus. Richtig lecker! Die anderen Straßen (Friedrichstraße und Ku’damm) sahen auch wunderschön aus -aber noch heute denke ich an die originell geschmückten bizarren Bäume der Linden zurück. Was hat uns Herr Pohl für eine Freude damit beschert! Danke!

Zu Weihnachten haben wir uns einen kleinen Wellensittich gekauft. Ist das ein lustiges Tierchen und wie viel Freude kann er uns schenken!

Wie gesagt, Freude ist immer da, man muss nur bereit sein, sie zu finden!

Helga Roß, Berlin, Mitglied der fachlich geleiteten Angehörigengesprächsgruppe Lichtenberg der Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.


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Glück empfinden – trotz Alzheimer

Was ist Glück? Was bedeutet Glück?

Für mich ist Glück, wenn ich morgens erwache und mein Schätzchen mich streichelt und dabei lächelt. Es macht mich glücklich, wenn er sagt: „Mein Püppchen“ oder „Meine Süße“ – manchmal auch „Meine Kleine“. Damit ist sein Wortschatz auch schon erschöpft. Aber seine Augen strahlen mich mit viel Liebe an.

Wie oft ich diese kurzen Augenblicke noch erleben werde, ist ein großes Fragezeichen. Aber bei dieser Krankheit wird man ja bescheiden.

Wie schon erwähnt: Diese kurzen Momente machen mich glücklich – trotz Alzheimer.

Ingeborg Redmann, Berlin, Mitglied der Weddinger Angehörigengesprächsgruppe


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Tipp zum Glücklichsein

Tipp von Herrn Zimmermann zum Glücklichsein: "Ich werfe Ein-Cent-Stücke weg, als Glückspfennige. Und dann beobachte ich, wie die Leute sie finden und aufheben und sich freuen." Wenn also in Lindau in den nächsten Tagen vermehrt Centstücke am Boden liegen, dann waren sicherlich Besucher des Vortrages unterwegs ...

Auszug aus dem Artikel Demenz: "Man kann damit zurechtkommen" SZON.de 18.04.09


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Herta

Der Schmetterling

Es war fast wie ein Märchen, das meine Frau Erika (48) und ich (51) erleben durften. Vor zehn Jahren zogen wir zu Erikas Tante Herta (heute 83) ins Münsterland. Sie konnte mit ihrer spärlichen Rente das Eigenheim nicht halten und wir waren auf der Suche nach eigenen vier Wänden – normalerweise eine win-win-Situation. Leider nicht in unserem Fall: Herta stellte sich als sehr schwierig heraus, ewig nörgelnd, muffelig, unzufrieden und launisch. Da wir unsere ganzen Ersparnisse in die Renovierung des Hauses gesteckt hatten, arrangierten wir uns irgendwie. Zum Glück hat unser Heim einen großen Garten und zwei getrennte Wohneinheiten. Freunde und Verwandte wunderten sich trotzdem, wie wir es mit ihr aushalten konnten.

Erika machte eine Ausbildung als Altenpflegerin und arbeitet als examinierte Kraft auf einer Dementenstation. Daher wissen wir, welche Auswirkungen Altersdemenz haben kann und welch harten und steinigen Weg viele Erkrankte, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte gehen müssen. Als vor sechs Jahren bei Herta Alzheimer festgestellt wurde, fielen wir aus allen Wolken – diese Kratzbürste auf viele Jahre hinaus auch noch pflegen? – welch ein Gedanke! Doch es geschah ein Wunder: Die stachelige Raupe bildete einen Kokon und daraus schlüpfte ein wunderschöner Schmetterling. Hertas Züge wurden durch ihre Krankheit weicher, sie begann zu lachen, bedankte sich für jede Kleinigkeit und folgte jeder Anweisung. Aus der unzufriedenen Kratzbürste wurde unser relativ pflegeleichter Sonnenschein. Das Haus wurde zum wohligen Heim und Erika freut sich nach getaner Arbeit auf ihre Herta, weil sie durch ihren Pflegealltag weiß, welch großes Glück wir mit ihr haben.

Das Marmeladenbrot

In Hertas unruhiger Phase, als sie oft nach Ihrer verstorbenen Mutter fragte und unbedingt zu ihr wollte, konnten wir auf eine „Geheimwaffe“ zurückgreifen. Diese hatte wohl Nebenwirkungen – Herta ging ganz schön auseinander - doch wirkte immer: Nach einem verzweifelten „Ich muss nach Hause, um bei den Kühen und in der Küche zu helfen (Hertas Eltern hatten damals einen Bauernhof), kam von uns ein „Sag mal Herta, mal was anderes, hast Du heute eigentlich schon ein Marmeladenbrot gegessen??“ Wie aus der Pistole geschossen kam dann jedes Mal ein: „Nein!!!“ - „ Ja, das geht auf keinen Fall, da mach ich jetzt nur für Dich eins“. Mit leuchtenden Augen nahm sie dann mehrmals am Tage ihr geliebtes Marmeladenbrot entgegen und war glückselig. So hat Hertas süßer Zahn uns einige Medikamente erspart.

Urlaubsfreuden

Wir haben einige Jahre gewartet, bis wir Herta zum ersten Mal in Kurzzeitpflege in ein Heim gaben, um uns mittels Urlaub zu erholen – wir sind beide berufstätig in Wechselschichten – Erika als Altenpflegerin und ich als Maschinenschlosser. Der Abschied war furchtbar – Erika musste weinen und für Herta war’s nicht schön. Anschließende Erholung und Auftanken war fast unmöglich, da die Gedanken bei Herta in ihrer fremden Umgebung kreisten. Doch als wir sie abholten, fanden wir sowohl zufriedene Pflegekräfte „Ist das aber eine Süße“ als auch eine glückliche Herta vor, die wenige Minuten, nachdem sie im eigenen Haus saß, nicht mehr wusste, dass sie überhaupt weg war. All unsere Sorgen waren völlig unbegründet. Seitdem können wir uns auf den Jahresurlaub von Herzen freuen und ziehen Herta mit ein: „Du fährst auch in Urlaub Herta“. Obwohl sie nicht begreift, um was es da geht, ist ihre Freude groß und wir können unbeschwerte und herrliche Tage in unseren geliebten Alpen genießen.

Das freie „Gästebett“

Es dauerte nicht lange, nachdem bei Herta Alzheimer diagnostiziert wurde, dass ihr die eigene Wohnung fremd war. Die Weglauftendenz war auf dem Höhepunkt und Ihre Unruhe enorm. Sie wollte, nein musste dringend abends heim zu ihrer verstorbenen Mutter. Wir konnten sie dann damit beruhigen, dass es schon spät wäre und wir sie am nächsten Tag „nach Hause“ bringen würden. Die Mutter wäre benachrichtigt und übrigens hätte sie großes Glück, dass unser bequemes „Gästebett“ frei sei. Wir machten dann allabendlich vor dem Zubettgehen einen Rundgang durch ihre Wohnung und priesen neben dem freien Bett auch die Nähe des Bades und der Toilette an. „Ach ist das aber praktisch“ meinte sie oft und schlief anschließend selig ein.

Lustige Streiche

Im 6. Jahr Ihrer Demenz wird es immer schwieriger sie aus Ihrer Welt zu holen und in Tätigkeiten einzubeziehen – das sah vor einiger Zeit noch ganz anders aus. Da gab es z.B. ihre kleine Gießkanne, mit der sie uns im Garten „half“. Eines Tages war sie urplötzlich verschwunden – wir fanden sie beim Nachbarn wieder. Der erzählte etwas später aufgeregt, dass jemand seinen Briefkasten unter Wasser gesetzt hätte – wir sahen Herta an und haben uns dann gemeinsam fast „krumm gebogen“ vor Lachen – zum Glück war nur Werbung drin.

Herta „half“ auch oft beim Saubermachen: Sie bekam einen Besen in die Hand und los gings. Zum Nachteil von unserem Kater Füchslein, der durfte sich bei kaltem Wetter bei Ihr in der Wohnküche aufhalten. Normalerweise bekam man den nur sehr schwer wieder ins Freie. Doch wenn Herta mit Ihrem Besen unterwegs war und „aufräumte“, dann floh der wie von der Tarantel gestochen aus dem Zimmer. Diese und viele andere Episoden mit Herta bleiben uns unvergesslich und bringen uns immer wieder zum Lachen.

Das Team

Eine relativ stressfreie Pflege von Herta wäre neben ihrer guten Laune ohne ein gut funktionierendes Team nicht möglich. Neben meiner Frau und mir spielt Bärbel eine wichtige Rolle: Sie ist pensionierte Altenpflegerin und betreut Herta stundenweise. An Erikas freien Wochenenden ermöglicht sie uns damit so manchen Ausflug. Diese Stunden der Zweisamkeit sind für uns enorm wichtig. Daraus schöpfen wir viel Kraft. Bärbel gehört heute zur Familie – sie nimmt nicht selten ihre Enkelin mit und freut sich auf das kleine Zubrot ebenso, wie auf gemeinsame Gespräche vor und nach ihrem Dienst. Herta ist natürlich Teil des Teams: Wir hatten Ihr gesagt, dass sie mit Bärbel auf das Haus aufpassen solle, wenn wir nicht da sind…

Unser Engel von der Pflegekasse

Was wären wir Angehörigen von Demenzkranken ohne die Hilfe Dritter, die uns durch den Dschungel der Pflegeversicherung schleusen. Wir haben da mit unserer Frau Wrangnick von der AOK-Pflegekasse in Bocholt besonderes Glück: Ihre Nachbarin hat Alzheimer und so brauchen wir Ihr nicht viel erzählen – sie weiß Bescheid und hat vor uns pflegenden Angehörigen tiefen Respekt. Jede Anfrage, jeder Anruf ist eine wahre Freude. Sie hat mit Ihrer sehr persönlichen und individuellen Beratung uns den notwendigen Rückhalt gegeben. Ob Pflegestufe, Rollstuhl, Badumbau oder Pflegeurlaub – ohne sie wäre das alles nicht so glatt abgelaufen – Danke!! - welch ein Geschenk!

Nachwort

Es dauert nicht mehr lange, bis unsere Herta bettlägerig ist und der letzte Weg ihrer Krankheit anbricht. Uns ist bewusst, dass wir mit Ihr besonderes Glück haben und viele pflegende Angehörige wesentlich tiefere Täler durchwandern müssen. So schwer und unerbittlich diese furchtbare Krankheit auch ist, es wird immer wieder Augenblicke der Freude geben, an denen wir uns aufrichten können.

Peter Sauter, arbeitet ehrenamtlich in einem Altersheim


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Die geheimen Botschaften

Die beiden Damen sind gänzlich verschieden - doch sie haben eine Gemeinsamkeit: ein besonderes Hobby, das die beiden verbindet.

Sie leben in derselben Wohngruppe, aber ich denke, sie haben sich noch nie gesehen. Einer dieser Damen verbringt die meiste Zeit auf ihrem Zimmer. Ich habe große Achtung vor dieser Frau, welche bereits 102 Lenze zählt. Trotz ihres hohen Alters ist sie geistig noch sehr rege, auch das Interesse an ihrer Umwelt ist sehr groß. Betritt man ihr Zimmer, grüßt sie sehr höflich und stellt eine Menge Fragen. "Können sie mir sagen, was heute für ein Tag ist? Ich muss es wissen, denn jeden Dienstag kommt mein Sohn mich besuchen.“

Auf ihrem Tisch liegen kleine mit Sütterlinschrift beschriebene Zettel. Neugierig frage ich, was diese Botschaften denn zu bedeuten haben. „Ach, wissen sie“, erklärt sie mir "mein Gedächtnis lässt mich manchmal im Stich und deshalb schreibe ich mir alles auf; es ist eine sogenannte Gedankenstütze". Dann schaut sie mich etwas nachdenklich an und meint: "wie ich sie um ihr junges Alter beneide; sie vergessen sicherlich noch nichts!“

Ich widerspreche ihr, denn auch ich vergesse gelegentlich etwas.

Nach meinem Geständnis fühlte sie sich etwas erleichtert. Wenn ich ihr Zimmer verlasse, nimmt sie ihren Stift zur Hand und notiert sich erfreut den Inhalt unseres Gespräches.


Die andere Dame ist nicht mit ihr zu vergleichen. Still sitzt sie auf ihrem Stuhl im Aufenthaltsraum und verhält sich meistens recht teilnahmslos. Nur hin und wieder streckt sie ihre beiden Arme aus und lässt diese in der Luft kreisen. Diese kreisenden Bewegungen lassen an einen Dirigenten denken, der vor seinem Orchester steht, doch bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, dass diese Frau Worte in die Luft schreibt. Die Pflegekräfte klären mich darüber auf und zeigen mir die Tagebucheintragungen, die diese Frau noch vor einigen Monaten geschrieben hatte: in kurzen Sätzen berichtet sie über ihre Erlebnisse oder auch über kleine Wünsche die sie noch hatte.

Wenn ich doch noch einmal eine zartbittere Schokolade bekommen könnte, wäre ich in nächster Zeit auch wieder mit einer Marzipan-Schokolade zufrieden. schrieb sie da zum Beispiel.

Ich schmunzelte: dieser recht bescheidene Wunsch wäre sicherlich leicht zu erfüllen!

Während ich mich mit den Pflegekräften unterhalte, fällt mir auf, dass uns die Frau aufmerksam zuhört. "Tagebuch schreiben", bemerkt die Dame plötzlich leise und wirft uns einen flehenden Blick zu. Schnell treiben wir einen Block und einen Stift auf und reichen ihr die Schreibutensilien. Eifrig nimmt sie Block und Stift zur Hand und beginnt zu schreiben. Hingebungsvoll widmet sie sich ihrer geliebten Beschäftigung, dabei zeigt sich ein verheißungsvolles Lächeln auf ihrem Gesicht.

Schnell hat sie die ganze Seite beschrieben und reicht uns erwartungsvoll den Block wieder. Was wir zu sehen bekommen, erinnert an die undefinierbare Kritzelei eines dreijährigen Kindes. Nur ab und zu sind einige wenige zusammenhanglose Wörter zu erkennen.

Was die Dame uns mitteilen will?

Wir wissen es nicht.

Vielleicht hat sie noch mehr unerfüllte Wünsche?

Doch wenn ich in die Augen dieser Frau blicke, kann ich keine Enttäuschung darüber erkennen, dass wir nicht fähig sind, ihre Botschaft zu entschlüsseln. Nein, es geht vielmehr ein Strahlen von ihnen aus.

Als ich einige Tage später in die Wohngruppe komme, sehe ich die Frau wieder über ihren Schreibblock gebeugt, so vertieft in ihr geliebtes Hobby, dass sie meine Anwesenheit gar nicht zur Kenntnis nimmt.


Sind es wohl ihre Träumereien, die sie auf Papier zu bringen versucht?

Träumereien, die nur für sie selbst von Bedeutung sind?

Peter Sauter, arbeitet ehrenamtlich in einem Altersheim


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Freude

Hell ins Fenster scheint die Sonne,
scheint ins Herz mit Himmels Wonne,
und was kalt ist, dumpf und weh.
taut sie weg wie Maienschnee.

Sobald ich mit ihr die Kapelle des Heimes betrete und sie auf ihrem Stuhl Platz genommen hat, fängt sie an, dieses hübsche kleine Lied zu singen. Auch wenn durch die Fenster nur ein mattes Licht in den Raum fällt, singt sie es fortwährend, solange wir auf den Pfarrer warten, der den Gottesdienst abhält. Betritt er den Raum, so zappelt die alte Dame vor lauter Freude, sodass ich aufpassen muss, dass sie nicht von ihrem Stuhl plumpst. "Da kommt der Herr Pfarrer, da kommt der Herr Pfarrer!" ruft sie erfreut. Der Herr Pfarrer lächelt uns freundlich zu und begrüßt alle Anwesenden.

Während des gesamten Gottesdienstes ist der Blick dieser Frau unablässig auf den Pfarrer gerichtet. Begeistert hört sie ihm zu und wiederholt beinahe jedes Wort, das er ausspricht. Manchmal führt sie sogar seinen angefangenen Satz zu Ende. Ihre Begeisterung ist unglaublich groß.

Wird am Ende des Gottesdienstes das "Vater unser" gesprochen, so übertönt ihre Stimme die der anderen Besucher.

Nachdem der Pfarrer uns den Segen erteilt und sich von jedem persönlich verabschiedet hat, verlassen wir die Kapelle wieder.

Von der ungewohnten Abwechslung ist die Dame meist so müde, dass sie am liebsten gleich in ihr Bett gehen will. "Darf ich in mein Häuschen gehen", fragt sie mich dann. Manchmal wird ihr dieser Wunsch erfüllt. Nach dem eine Pflegekraft ihr behilflich war und sie in ihr "Häuschen" gebracht hat, zeigt sich wieder ein Strahlen auf ihrem Gesicht. Sie faltet die Hände und fängt an ein bekanntes Kindergebet auf ihre ganz persönliche Weise zu sprechen.

Müde bin ich geh zu Ruh,
schließ auch meine müden Äuglein zu.
Vater lass die Augen dein
über meinem Bette sein.
Amen Amen Amen!

Niemals habe ich ein sonnigeres Gemüt erlebt.

Peter Sauter, arbeitet ehrenamtlich in einem Altersheim


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Marilyn Monroe kann gut schwimmen

Gestern wollte ich einige T-shirts meiner Frau in die Waschmaschine stecken. Meine Frau - an einer Demenz im fühen Stadium erkrankt - folgte mir sehr aufmerksam und ich bemerkte ihre große Besorgnis als ich zwei T-shirts mit großen aufgedruckten Marilyn Monroe Portaits hineinstecken wollte. Sie wollte es am liebsten verhindern und bemerkte zumindest, daß ich gut auf sie aufpassen solle, damit ihr nichts passiere. "Sie soll doch Freude haben."
Ich hielt inne, schaute meine Frau an und sagte: "Ihr wird schon nichts passieren, denn sie kann ja gut schwimmen." Damit war sie beruhigt. Ich habe das Bullauge trotzdem nicht geschlossen und die Maschine erst heute früh angestellt. Nach dem Aufwachen habe ich meiner Frau nicht die frisch gewaschenen T-shirts, sondern eine strahlende Marilyn Monroe in die Hand gedrückt. Darüber hat sie sich sicher sehr gefreut.

Niemals habe ich ein sonnigeres Gemüt erlebt.

Dieter Römer, Berlin

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