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Brief an Mutti


Brief an Mutti

Diesen Brief hab ich voriges Jahr an Mutti geschrieben. Und immer wenn es mir mal zuviel wird, lese ich ihn und weiß dann, dass es so gut ist, wie es ist.

Die Alzjahre

gehen nicht spurlos an einem vorbei.

Was hat Mutti??? Warum ist sie so böse?
Wir wollten ihr einen schönen Lebensabend bescheren - gemeinsam in einem Haus. Ich hab sie gleich als ich sie 1982 kennen lernte, in mein Herz geschlossen. Gut, da wusste ich noch nicht, dass sie sehr böse sein kann – egal.
Ich habe mich für sie aufgeopfert, beschützend vor sie gestellt, als dann später ALZ in unser Leben trat. Seit 1992 schaue ich nach ihr.

Heute nach so vielen Jahren genügt ihr das Gefühl von Wärme und Geborgenheit.
Oft denke ich, es war schön, als sie noch spazieren gehen konnte. Als ich zur Kur in Bad Nauheim war, ging ich an Cafés vorbei eines hieß „Wiener Café“. Da dachte ich an Mutti: Chic gemacht, geschmückt und nach den Herren geschaut :-))))
Schade Mutti, ich hätte mich gerne wieder mal mit dir hier hin gesetzt und aufgepasst, dass du kein Klopapier mitgehen lässt…:-))))) *
* Mutti hat immer wenn wir in Cafés waren, ihre Handtasche voll gepackt mit Klopapier :-))))
Dann hättest du dich sicher auch wieder aufgeregt, dass manche Frauen nicht vorteilhaft gekleidet waren.

Wie oft habe ich drüber nachgedacht, womit ich dich denn beschäftigen kann, wo du doch eigentlich nie gerne etwas gemacht hast. Viele Dinge vielen mir ein, und es hat geklappt. Du hast es getan, akzeptiert, geduldet, mitgemacht.
Als ich mich aufregte, weil du meine Handtücher nicht so zusammengelegt hast. wie ich es gerne wollte, habe ich irgendwann eingesehen, dass du das schon viel länger machst als ich. Also hat dein Gittchen wieder etwas gelernt.

Oft wünsche ich mir, dass du spürst und merkst, dass ich - deine früher so verhasste Schwiegertochter - dich einfach nur lieb habe und alles tun werde bis dein letzter Weg beschritten sein wird.
Hast du eigentlich gewusst, dass ich es immer nur gut mit dir meinte? Das ich immer nur wollte, dass du dich wohl fühlst.
Mutti!!! Wir schaffen auch den letzten Gang - obwohl mir manchmal alles zuviel wird - aber du hast es verdient, dass du behütet wirst.

Du bist aus deiner Heimat verjagt worden und musstest alles da lassen was dir lieb war, dafür lieben wir dich.
Dein Mann Hugo hat sich verändert in Hugo deinen himmelblauen Stoffhund. Er liebt dich genauso wie dein Mann dich geliebt hat.
Mutti es ist schön, wenn du zu mir sagst „ich hab dich lieb“ Ich freue mich, wenn du es immer noch sagen kannst.
Die Sonne scheint so schön in dein Zimmer früher konntest du es noch spüren und sehen - heute nicht mehr. Was ist für dich hell und dunkel - kalt und warm?

Du wolltest mit uns zusammenwohnen als dein Mann starb. Ich bin froh für ihn, dass er dich nicht mit deinem Begleiter gesehen hat. Er wäre daran zerbrochen.
Wir haben gemeinsam ein Haus gekauft - kannst du dich erinnern? Michael zog auch mit ein. Dann war er weg, weil er eine Frau fürs leben fand. Und dann!!!! haben wir deinen „Begleiter“ kennen lernen müssen … ALZ … was bitte ist das denn? Das du mal alt und krank wirst, das war mir klar, als ich dir versprach, nach dir zu schauen als dein Mann starb, aber den ALZ, den wollten wir nicht. Das war für uns schwer - schaffen wir das?

Kannst du dich erinnern als unser Kater Peterle vergiftet vor der Balkon Tür lag? Das war traurig für uns und du hast mit mir geschimpft: “Wo bleibt mein Frühstück?“ hast du gerufen.
Dein Sohn mochte es einfach nicht verstehen, wenn ich ihm einige Sachen von dir erzählte, wenn er von seiner körperlich sehr schweren Arbeit nach Hause kam und noch sehr viel Arbeit am Haus auf ihn wartete. Also ging das einfach unter und wir beide haben alleine gekämpft - oft warst du die stärkere.

Heute macht dein Sohn - den deine Mama großgezogen hat und deshalb auch nie ein gutes Verhältnis zu dir entwickeln konnte - deinen Popo sauber. Ja Mutti das ist auch mein Verdienst. Er streichelt dich genau wie ich. Das konnte er nie, weil du eigentlich gar nicht so viel von ihm wissen wolltest - dein eigens leben war dir immer wichtiger. Er umsorgt dich auch wie ich - hast du es schon mal gemerkt?

Mutti!!! Weißt du, dass er auch schon Rentner ist? Er hat sich seine Rentnerzeit auch anders vorgestellt. Aber nun bist du da und wir müssen klar kommen damit. Bisher haben wir für alle Sorgen und Probleme eine Lösung gefunden. Was wäre denn anders wenn du nicht da wärst? Nicht so sehr viel. Gut wir könnten uns mehr Zeit für unsere Belange nehmen. Aber sonst, gar nicht so sehr viel. Es ist nur weil man weiß, man ist angebunden - da fühlt man sich dann eingesperrt. Ist aber nicht so - na gut - manchmal schon. Aber im Großen und Ganzen ist es gut so wie es ist.

Kannst du dich an Frau G. erinnern die immer mit dir spazieren ging? Die hat dann mal gesagt, du seiest blöd. Sie ist es selbst. Weißt du noch als wir mit ihrer Tochter regelmäßig Karten spielten? Dann bist du schlimmer krank geworden und sie haben uns abgeschossen. Ich kenne sie nicht mehr - will ich auch nicht. Irgendwann werden sie auch alt - und hoffentlich nicht krank - werden. Aber so lernt man dann die so genannten ehrlichen Menschen kennen.

Du bist ehrlich, wenn du sagst, du hast mich lieb. Dietmar ist ehrlich, wenn er sagt er liebt mich. Meine Enkel sind ehrlich, wenn sie mit ihrer wunderbaren Art kommen und kuscheln. Das ist ein Kreis, der sich schließt.
Du magst auch die Enkel. Das sehe ich, wenn ich sie auf dein Bett setze. Leonies lange Locken - ob sie dich daran erinnern als dein Sohn auch diese Locken als Baby hatte?

Viele Menschen die auch von ALZ begleitet werden und wurden, durften wir schon kennen lernen. Mich berührt es besonders, wenn der Ehepartner erkrankt ist.

Weißt du noch, als du mal ganz arg böse warst? Da haben wir dann zu der Musik von André Rieu getanzt. Den hast du gerne im Fernseher gesehen mit seinen Walzerklängen. Hat dich das an schöne Dinge erinnert? Weißt du noch, als ich mit dir in einem ALZ-Café zum Tanzen war? Das war schön für dich. Einmal hattest du einen Kavalier zum tanzen aber dann musstest du doch wieder mit mir vorlieb nehmen.
Weißt du noch als du für alles Peinliche, was dir passiert ist, den Bürgermeister dafür zur Verantwortung gezogen hast?

Eigentlich warst du seit 1992 immer an unsrer Seite. Selbst auf unsrer Hochzeitsreise haben wir dich mitgenommen. Nur hättest du nicht unbedingt morgens um 7 schon an der Türe klopfen müssen. Es gibt ja ein schönes Buch von Eric Malpass „Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung“, aber da hatte ich dich nicht so arg lieb.

Ich bin traurig darüber dass du nicht merkst, wie wir um dich sorgen. Aber würde mich einer fragen, ob ich dich noch mal pflegen würde, ich würde „Ja“ sagen.
Kannst du dich erinnern, als ich dir Knöpfe zum sortieren gab? Ich dachte: „Hoffentlich geht das gut.“ Es ging gut.
Weißt du, dass ich immer nur das Beste für dich wollte und noch immer will?

Es ist gut so.
Ich freu mich unheimlich, wenn du heute noch dein Lied singst. Zwar nicht mehr so wie vor einer Weile, aber du singst und willst noch singen.
Weißt du, dass es wunderschön für mich ist, wenn du mir ein Küsschen geben willst? Es klappt nicht mehr so richtig, aber ich weiß was du willst.

Ich hatte nie eine Freundin. Du bist eine für mich. Ehrlich, aufrichtig und lieb. Und ich kann dir viel sagen. Du hörst gut zu. Früher hab ich immer gedacht, ich hätte keine liebe Schwiegermutti. Die war immer böse zu mir - warum? Aber egal, heute hab ich eine- sogar eine ganz liebe!

Mutti, du hast immer gerne unsre Rosen bewundert. Ich denke ich werde eine nur für dich einpflanzen. Wie werde ich sie nennen? Mutti-Rose? Ich denke schon: „Schade das es keine in deiner Lieblingsfarbe himmelblau gibt.“

Mutti wir werden bei dir sein solange du uns brauchst. Das Versprechen hab ich dir gegeben. Lass mich manchmal schimpfen und traurig sein. Lass mich manchmal denken, ich mag nicht mehr. Du weißt doch, dass du dich auf uns verlassen kannst. Das konntest du doch immer. Ich hab dich lieb Mutti und das alleine zählt.
Dein Dietmar und ich werden dir immer deine Hand halten, wenn du sie brauchst.
Dann machen wir einen Kreis der sich schließt.

© Brigitte Pfeiffer
im Mai 2006

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