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Beobachtungen zur Gruppendynamik der
Alzheimer-Angehörigen-
Internet-Selbsthilfegruppe


AlzFor-L@yahoogroups.de

Ich schildere meine Beobachtungen zur Gruppendynamik der Alzheimer-Angehörigen-Internet-Selbsthilfegruppe auf dem 4. Kongress der Deutschen Alzheimer Gesellschaft als betroffene Angehörige, da mein Vater an Demenz erkrankt ist, gleichzeitig aber auch als Psychologin und nebenberuflich als Co-Moderatorin der Alzheimer-Angehörigen-Internet-Selbsthilfegruppe.

Ich möchte Ihnen kurz zeigen, wie man auf uns aufmerksam werden kann im Internet, was wir genau machen um danach zu den Gruppenprozessen überzugehen.

Gibt man in eine Suchmaschine im Internet den Begriff Alzheimer ein, so findet man beispielsweise bei Google zur Zeit (Sept. 2004) etwa 8 Millionen Einträge. Unter den ersten Einträgen befindet sich das AlzheimerForum mit dem Link: www.alzheimerforum.de.

Auf dieser ersten Seite der Homepage wird man unter anderem auf „zwei lebhafte Selbsthilfegruppen“ hingewiesen, die über Mailinglisten miteinander kommunizieren.

Interessenten melden per Mail über diese Homepage ihr Interesse bei der Moderatorin an und werden dann nach einer kurzen Selbstdarstellung mit in die Teilnehmerliste aufgenommen. Einzige Aufnahmebedingung ist, dass man Angehöriger eines an Demenz oder Alzheimer Erkrankten ist. Diese Mailinglisten funktionieren in der Weise, dass jede geschriebene Mail unter zur Hilfenahme von Yahoo an alle anderen Teilnehmer geschickt wird. Das Mailaufkommen pro Tag ist unterschiedlich, manchmal sind es nur 2 Mails, dann aber auch mal bis zu 30 Stück, je nachdem, wie viel Beiträge und Antworten geschrieben werden und ob es ein dringendes Thema gibt oder nicht. Geschrieben wird 365 Tage im Jahr rund um die Uhr.

Die (deutschsprachige) Internet-Selbsthilfegruppe existiert seit 6 Jahren und ist in jeder Hinsucht bunt gemischt. Die Teilnehmer sind zwischen 25 und 80 Jahre alt, leben zumeist in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, auf anderen Kontinenten. Es sind sowohl pflegende Ehepartner als auch Kinder und Schwiegerkinder. Sie sind von Beruf Bäuerin, Kapitän, Computerfachleute, Lehrer, Tischlermeister, Krankenschwester, Apotheker etc. und etliche zumeist Frauen, die den Beruf an den Nagel gehängt haben um den Angehörigen zu pflegen. Genauso unterschiedlich sind übrigens auch die Berufe der Erkrankten. Viele Erkrankte leben zuhause und werden auf vielfältige Weise betreut, andere Betroffene leben in Pflegeeinrichtungen oder sind zum teil auch schon verstorben.

Diese bunte Mischung von Angehörigen sorgt für abwechslungsreiche Mails in unterschiedlichem Stil und Inhalt. Es gibt Teilnehmer, die nur eine kurze Frage stellen, etwa: „kann mir jemand sagen was ich machen kann, die Krankenkasse hat den beantragten Rollstuhl ablehnt?“ Andere schreiben längere Mails, manchmal untermalt mit Gedichten, Fotos oder Geschichten aus dem eigenen Leben. Für den einen ersetzt „die Liste“, wie ich es ab jetzt verkürzt nennen werde, fehlende soziale Kontakte, besonders für diejenigen, die schon seit Jahren pflegen. Denn pflegende Angehörige haben sehr häufig unter Einsamkeit zu leiden, auch deshalb, da viele nur für sehr kurze Zeit das Haus verlassen können und in dieser Zeit schnell Einkäufe und Arztbesuche erledigen, aber keine Gelegenheit haben noch Freunde zu treffen. Dass die Freunde sehr schnell weniger werden, wenn man einen an Alzheimer Erkrankten pflegt, kennen fast alle von uns und hat wohl mit der Hilflosigkeit des Gegenübers zu tun, die diese Krankheit im Gegenüber hervorruft und die viele Menschen überfordert, vielleicht aber auch zu sehr mit eigenen Ängsten konfrontiert. Hier, wo sich Freunde und Familie bereits von dem Pflegenden zurück gezogen haben, kann die Liste oft Abhilfe schaffen und ist von großer Bedeutung für den Einzelnen.

Zwischen den Teilnehmern herrscht ein familiärer Umgangston, in dessen Atmosphäre sich auch Freundschaften bilden, sich aber auch neue Mitglieder schnell einfinden können. Ich erinnere mich an die Äußerung einer Teilnehmers, der schrieb, dass er so vertraut, wie die Listenteilnehmer miteinander reden, in 40 Jahren Ehe nicht mit seiner Frau geredet hätte, was ihn gleichzeitig freuen und auch erschrecken würde.

Für diejenigen, die schon lange in der Liste sind, wiederholen sich die Fragestellungen, immer wieder geht es um Beantragung einer Pflegestufe, Medikation, Pflegetipps oder auch erst einmal darum, sich mit einer gerade erfahrenen Diagnose auseinander zu setzen. Aber es geht auch viel um flankierende Themen, die mit in die Mails einfließen, z.B. Belastungen in der eigenen Familie bei pflegenden Kindern, die nun Familie, Beruf und den erkrankten Elternteil koordinieren müssen, Streit unter Geschwistern, wenn die Eltern Pflegefall werden usw.

Wie schon gesagt, die Mails sind sehr unterschiedlich, mal zum Lachen, mal zum Weinen und gerade diese vielen kleinen Anekdoten, der knapp 100 Teilnehmer, die zu einem Drittel aktive Schreiber sind, wurden wiederum anderen Teilnehmern zu viel. Sie schafften es nicht, dem tägliche Mailaufkommen mit Lesen nachzukommen, geschweige denn auch noch auf die eine oder andere Mail zu antworten. Man darf dabei nicht vergessen, dass etliche Teilnehmer schon 70 Jahre und älter sind und zum ersten Mal am PC sitzen....

Und so entfachte die kleine, fast belanglose Frage einer Teilnehmerin am Rande, ob ihr jemand sagen könne was „Calvados“ ist, eine heftige Auseinandersetzung innerhalb der Liste. Es ging um Sachlichkeit und Unsachlichkeit, um Sinn und Zweck der Liste, um Disziplin, darum, welche Inhalte in die Liste gehören und welche nicht. Es ging lebhaft bis hitzig zu in diesen Auseinandersetzungen, und dass es über Tage, sogar Wochen. Sie können sich vorstellen, dass wenn 30 Menschen in eine gravierende Auseinandersetzung geraten, einiges los sein kann. Aber gerade die Heftigkeit und Intensität dieser Diskussion machte deutlich, dass der Austausch über die Liste für viele Teilnehmer von enormer Wichtigkeit, sogar lebenswichtig in ihrer speziellen Situation als Angehöriger ist.

Es kristallisierte sich dabei heraus, dass es zwei unterschiedliche Bedürfnislagen unter den Teilnehmern gab. Da waren die einen, die ihren Alltag mit den anderen Betroffenen teilen möchten und das hohe Mailaufkommen in Kauf nehmen können und da waren andere, die wenige Mails bevorzugen und bevorzugt eng am Thema Alzheimer bleiben wollten. In dieser Frage gab es kein richtig oder falsch und es gab auch keinen Kompromiss.

Und so wurde eine zweite Liste ins Leben gerufen. Mittlerweile (Sept. 2004) sind in der einen Liste (AlzFor-L) ca. 80 Teilnehmer, in der andern (AlzFor-Partner) ca. 30 mit daraus resultierendem unterschiedlichen Mailaufkommen.

Da ich nur an der größeren Liste teilnehme, in der ich auch Co-Moderatorin bin, möchte ich noch einiges zu den Themen sagen, die in der letzten Zeit in den Mails bei uns zur Sprache kamen. Ich möchte es Alltagsdramen nennen, denn das ist es, was sich oftmals im Alltag mit den Erkrankten abspielt.

Anhand von konkreten Fragen einzelner Teilnehmer, möchte ich hierauf näher eingehen. So fragte vor kurzem eine Teilnehmerin, wie sie als Ehefrau eines Erkrankten mit den extrem unterschiedlichen Verfassungen ihres Mannes besser klar kommen kann, der mal ruhig und freundlich ist und dann wieder sehr aufgebracht und aggressiv. Hier konnte über Informationen von anderen Teilnehmern eine deutliche Entlastung geschaffen werden, da sich herausstellte, dass die Ehefrau ihren erkrankten Mann immer noch kritisierte und seine große Unordentlichkeit weder verstehen noch damit umgehen konnte und beide gewissermaßen in Daueranspannung waren.

Ein Hilfeschrei einer Teilnehmerin kam, nachdem sie ihre Mutter in Kurzzeitpflege gegeben hatte und diese nach 3 Wochen wieder nach Hause kam und wenig später anfing, mehrere Tage nur zu randalieren. Der herbei gerufene Hausarzt war ratlos, die Tochter natürlich auch und so schrieb sie das Problem an die Liste. Eine Antwort brachte Licht in das Dunkel, als ihr eine andere Teilnehmerin schrieb, dass ihr die Idee von Entzugssymptomen gekommen sei. Daraufhin wurde im Pflegeheim nachgeforscht und es kam heraus, dass die Mutter während der KZF über drei Wochen starke Beruhigungsmittel bekommen hatte, das bei der Entlassung nicht berichtet wurde und sie tatsächlich einen kalten Entzug durchmachte. Das konnte dann wiederum mit Medikamenten abgemildert werden.

„Was mache ich bloß,... wenn ich meine Mutter im Pflegeheim besuche sagt sie jedes Mal, ich solle beim nächsten Besuch die Koffer mitbringen, sie sei jetzt lange genug da gewesen und wolle endlich wieder nach Hause...“ Diese Teilnehmerin hatte ihre Mutter zu dem Zeitpunkt fast täglich besucht und sie damit nahezu überfordert, da die Mutter erst kurz in dem Pflegeheim war, sich noch nicht eingewöhnt hatte und durch die Besuche der Tochter eher irritiert wurde. Auch wenn es der Tochter schwer viel, nicht mehr täglich zu kommen, hat sie eine praktikable persönliche Lösung gefunden.

Die ebenfalls im Pflegeheim lebende Mutter einer anderen Teilnehmerin wurde im Hochsommer mit Verdacht auf Schlaganfall ins Krankenhaus eingewiesen, da sie eine starke Schiefhaltung nach links hatte. Die Untersuchungen blieben Ergebnislos und erst der Hinweis auf Flüssigkeitsmangel von einem anderen Listenmitglied konnte diese Symptomatik aufklären, so dass Abhilfe geschaffen werden konnte.

Jemand anders fragte, was man tun kann, wenn der erkrankte Vater, der früher Elektriker war, ständig an den Steckdosen rumschrauben würde. In solchen Mails steht dann oft in der Betreffzeile: Wer hat eine Idee...? Und bei 80 Mitlesenden kommt fast immer eine gute Idee dabei ans Licht.

Aber es geht nicht nur um die Erkrankten, es geht auch um die Angehörigen wie in der Frage, die hieß: „Wie kann ich überhaupt noch auf mich achten, wenn der Erkrankte schon alle Aufmerksamkeit für sich beansprucht?“

Ich habe diese Frage ausgesucht, weil sie hier um etwas sehr wichtiges geht, das „Psychohygiene“ genannt wird. Was kann der Angehörige tun, um von der Belastung durch die Pflege nicht selber krank zu werden? Wie und wo kann Entlastung geschaffen werden und womit haben andere Teilnehmer gute Erfahrungen gemacht? Es kommt oft vor, dass Angehörige sich die alleinige 24-Stunden-Pflege zur Aufgabe erklärt haben und von dieser Idee nur schwer und nicht einmal stundenweise Abstand nehmen können, selbst wenn sie bereits körperliche Stresssymptomatiken haben und darunter leiden.

Das lässt sich meist nicht mit wenigen Mail ändern, aber hier kann mit Hilfe der anderen Teilnehmer ein Prozess in Gang gesetzt werden, indem der- oder diejenige lernt, schrittweise und „auf Probe“ loszulassen und im besten Fall sich selber wieder ernst zu nehmen lernt.

Nur zu oft sind die Angehörigen überfordert mit der Begleitung, Betreuung und auch mit der Pflege eines Alzheimererkrankten. Medizinische Aufklärung ist da fast noch der kleinste Anteil, viel größer sind die ganz normalen Alltagsprobleme und die innere Auseinandersetzung damit, was es für den Kranken und den Angehörigen macht, mit dieser wachsenden Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit konfrontiert zu sein. Denn die ruft im Angehörigen meist ebenfalls wachsende Hilflosigkeit hervor.

Neben dem sich-von-der-Seele-schreiben, was alleine genommen ja schon entlasten kann, wird in der Internet-Selbsthifegruppen auch Wissenschaft betrieben, denn wir schaffen Wissen an Stellen, wo Ärzte keine Zeit haben, selber überfordert und ratlos sind und wo der pflegende Angehörige meist ziemlich alleine da steht. Daher sind die beiden Mailinglisten des Alzheimerforums ein Fundus kostbaren Wissens und gelebter Erfahrungen für den Umgang mit dieser Krankheit.


© Beate Schröder

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