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Können Demenz-Kranke

psychosomatisch erkranken?

© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln

von Priv.-Doz. Dr. med. Gereon Heuft, Leitender Oberarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Rheinischen Landes- und Hochschulklinik Essen

Die Antwort auf die eingangs genannte Frage steht noch aus. Tatsache ist, daß klassische psychosomatische Erkrankungen wie essentielle Hypertonie, Asthma bronchiale oder Ulcus duodeni bei Demenz-Kranken bislang durchweg als rein körperliche Erkrankungen behandelt werden.

Warum die genannten Erkrankungen ausgerechnet in dem Moment keine Rolle mehr spielen sollen, in dem sich eine Demenz hinzugesellt, ist unverständlich. Vielleicht ist unser Wissen über die Wechselbeziehungen zwischen Demenz und psychosomatischen Erkrankungen deshalb so gering, weil die heutigen Demenz-Kranken bereits zu einer Zeit psychosomatisch erkrankten, als man sich noch wenig für die Zusammenhänge zwischen Seele und Körper interessierte. Vielleicht beruht unser Unwissen auch darauf, daß sich Demenz und sogenannte funktionelle Störungen in vielen Symptomen decken und daher eine Unterscheidung erschweren (z.B. Konzentrationsschwäche, schnelle Erschöpfbarkeit, depressive Verstimmung, innere Unruhe, Angstzustände und Schlafstörungen). Vielleicht ist aber auch deswegen so wenig bekannt, weil sich manche Symptome bei Demenz-Kranken aufgrund ihrer kognitiven Störungen nicht oder nur schwer erfragen lassen (z.B. ein Globusgefühl, Parästhesien, Kopfschmerzen oder subjektive Herzfunktionsstörungen). Zu diesen und weiteren Überlegungen gelangen J. Wojnar und J. Bruder in dem von unserer Arbeitsgruppe herausgegebenen Buch "Interdisziplinäre Gerontopsychosomatik", das der Demenz einen eigenen Abschnitt widmet.

Die beiden Autoren weisen zumindest auf ein häufig bei Demenz-Patienten zu beobachtendes Wechselspiel zwischen Seele und Körper hin: Viele Demenz-Kranke führen ihr kognitives Versagen auf eine Störung von Körperfunktionen zurück ("Ich weiß ja, ich bin dumm, aber ich habe schließlich einen Herzfehler"). Indem die Kranken ihre geistigen Schwierigkeiten auf den Körper projezieren, versuchen sie, ihr Selbstwertgefühl zu erhalten und eventuell sogar die Zuwendung der Umgebung zu gewinnen. Körperliche Gebrechlichkeit gehört schließlich zum Stereotyp des Alters und ist letztlich erträglicher als die Vorstellung geistigen Abbaus. Es kommt hinzu, daß Demenz-Kranke oft Emotionen nicht angemessen verarbeiten können und diese dann unmittelbar als körperliche Störung erleben.

Insgesamt klagen Demenz-Kranke häufiger über körperliche Störungen als über geistige Unzulänglichkeiten. Vor diesem Hintergrund warnen Wojnar und Bruder davor, Äußerungen Demenz-Kranker über ihr körperliches Befinden nicht ernst zu nehmen. Demenz-Kranke können Störungen somatischer Funktionen sehr wohl wahrnehmen, lediglich die organische Zuordnung mißlingt oft. So klagte eine aufgeregte Demenz-Kranke "Es geht um Leben und Tod. Es ist eine schwere Brech-Durchfallgrippe!" und verlangte eine sofortige Krankenhauseinweisung. Das Pflegepersonal sah keinen Grund für die Aufregung und empfahl Bettruhe. Wenige Stunden später erlitt die Patientin einen Schlaganfall.

Um noch einmal auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Wir wissen zu wenig über die Beziehungen zwischen Demenz und psychosomatischen Erkrankungen. Beispielhaft seien nur zwei weitere Themenbereiche genannt: Wie verändern sich Symptomatik und Erleben einer psychosomatischen Erkrankung, sobald eine Demenz hinzutritt? Inwieweit begünstigt eine Demenz selbst die Entstehung psychosomatischer Störungen? Zweifellos bedarf es im Dienste der Betroffenen in diesem Bereich weiterer Forschungsanstrengungen.

J. Wojnar, J. Bruder: Psychosomatische Störungen bei Demenz-Kranken. S. 205-213. In: G. Heuft, A. Kruse, H.-G. Nehen, H. Radebold: Interdisziplinäre Gerontopsychsomatik. Schriftenreihe Geriatrie Praxis. MMW Medizin Verlag, München 1995. 304 Seiten. DM 54.-


Wir danken

für die Bereitstellung des Textes aus dem ZNS- bzw. DEMENZ-SPEKTRUM

 

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