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coverscan :Das Gedächtnis des Körpers

Buchbesprechung: Das Gedächtnis des Körpers.

Liebe beflügelt die Gene

Nicht im Text der Gene, sondern in der Regulation ihrer Aktivität liegt das Geheimnis: Joachim Bauer zeigt, wie das funktioniert

Mechthild Bluhm

...Autorenrezension in unserer Bibliothek

Wer hätte das nicht gewusst: Lieben und geliebt werden, sich regelmäßig ein paar schöne Stunden gönnen, die "Seele baumeln lassen" und sich dauerhaft in die gute Gesellschaft freundlicher Menschen begeben, wo man sich geborgen fühlen kann, ist nicht nur entspannend, sondern darüber hinaus gut für die Gesundheit. Aber haben wir auch gewusst, warum?

Der Frankfurter Eichborn-Verlag räumte vor einem Jahr noch die "Irrtümer über Männer und Frauen" mit einem dicken Lexikon aus dem Weg. Jetzt wendet er sich mit Joachim Bauers Buch "Das Gedächtnis des Körpers" den Genen zu. Und auch hier geht es um "Vorurteile, Missverständnisse und Halbwahrheiten". Denn dass der genetische Code für die Steuerung unserer Lebensprozesse, Gesundheit und Krankheit, verantwortlich sei, ist eine solche Halbwahrheit: Nicht im Text der Gene, sondern in der Regulation ihrer Aktivität liegt das Geheimnis.

Wenn von Erkrankungen auf eine "genetische Disposition" geschlossen wird, liegt daher meist ein Missverständnis vor: Lediglich ein bis zwei Prozent aller menschlichen Erkrankungen sind durch genetische Mutation bedingt. Und dass Psychotherapie niemandem nütze, schon gar nicht bei körperlichen Erkrankungen, ist ebenso ein Vorurteil. Im Gegenteil: Sie wirkt nachweislich nicht nur auf die Seele, sondern auch auf neurobiologische Strukturen.

Die Umwandlung sozialer Beziehungen in biologische Signale

Wie das? Zum Beispiel ein Konzertflügel: Für sich alleine kann er keine Musik machen. Es muss erst jemand auf ihm spielen. Mit diesem Bild illustriert der Genforscher und Molekularbiologe Jens Reich die Rolle der Gene für die Gesundheit des Menschen. Aber wer "spielt" auf den Genen?

Die neurobiologische Forschung der letzten 20 Jahre hat faszinierende Antworten darauf gefunden. Ihr wichtigstes Ergebnis: Die Faktoren, die die Gene und damit die körperliche Gesundheit steuern, sind Vorgänge zwischenmenschlicher Beziehungen. "Durch die Umwandlung sozialer Beziehungen in biologische Signale übt das Gehirn nicht nur Einfluss auf zahlreiche Körperfunktionen aus, vielmehr verändert es unter dem Einfluss der von ihm selbst erzeugten biologischen Signale seine eigene Mikrostruktur", resümiert Bauer, der schildert, wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern.

Bauer, Psychotherapeut, Psychiater und Oberarzt der psychosomatischen Universitätsklinik in Freiburg, hat rund 340 Untersuchungen gesichtet, die er in 16 Kapitel gegliedert, seinem Lesepublikum unterbreitet. Ein gar nicht so einfaches Unterfangen, wie schnell deutlich wird. Denn Bauer kommt es schon darauf an, nicht nur die Tatsache der wechselseitigen Wirkung von Umwelt und menschlichen Beziehungen mit der Aktivität der Gene im Großen und Ganzen vorzustellen.

Er beschreibt sie vor allem dort detailliert, wo die Forschung diese Wechselwirkung am deutlichsten nachweisen konnte: in der Neurobiologie, die den Gehirnfunktionen dicht auf der Spur ist. Dort können seelische Erlebnisse innerhalb von Minuten auf die Körperebene übersetzt werden.

Und so erfahren wir, wie gesundheitsschädigende Erlebnisse etwa zu einer Produktion von Cortisol führen, was eine Störung der Zeugungs- und Empfängnisfähigkeit nach sich ziehen kann oder das Risiko einer Frühgeburt erhöht. Außerdem blockiert es im Immunsystem eine ganze Reihe von Genen, die für die Produktion von Abwehrstoffen zuständig sind, wie die Psycho-Neuro-Immunologie nachgewiesen hat. Vireninfektionen, die zu Erkältungen führen, haben unter seelischer Belastung ein leichteres Spiel: "Stress erhöht nicht nur die Anfälligkeit für bestimmte Erreger, sondern behindert den Körper, sich mit ihnen auseinander zu setzen." Und zusammen mit Glutamat beeinträchtigt das Cortisol in Folge von Stress die Gehirnfunktion, vor allem das Gedächtnis.

Die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin, auch verursacht durch Stress, kann zur Entwicklung eines dauerhaften Bluthochdrucks beitragen und zusammen mit einem erhöhten Cholesterinwert Herz- und Kreislauferkrankungen begünstigen.

Alarmierend sind vor diesem Hintergrund die Effekte traumatischer Erlebnisse wie erlebte oder auch miterlebte Gewalt und des Missbrauchs bei Kindern zu der Bauer auch die zunehmende Borderline-Erkrankung junger Menschen zählt. Die erst vor kurzem entdeckten "Spiegel-Nervenzellen" und ihre Funktion für das Lernen durch Vorbild lassen überdies keinen Zweifel daran zu, dass unter anderem auch Gewaltszenen in den Medien vom Gehirn als Handlungsvorlage abgebildet werden: Was wir sehen hat also neurobiologische Folgen.

In welch hohem Ausmaß körperliche und seelische Prozesse ineinander greifen, zeigt auch die neurobiologisch nachweisbare (für Skeptiker besonders spannende) Tatsache, dass mit Hilfe einer gelungenen Psychotherapie körperliche Gesundheit - und nicht nur seelische - positiv zu beeinflussen ist. Denn: "Individuelle Erfahrungen können im Organismus Reaktionsmuster ausbilden, die einen Einfluss auf die Reaktion der Genaktivität in künftigen Situationen haben", schreibt Bauer. Das "Gedächtnis des Körpers" hilft dabei. 

http://www.badische-zeitung.de/1034769125515 (c) 16.10.2002 Badische Zeitung Online 2


 

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