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PEG-Sonde und Sterbehilfe
© Sybille Meier

PEG-Sonde und Sterbehilfe

Der Aufsatz beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Urteils des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, den Beschlüssen des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main und des Landgerichtes München I zur Sterbehilfe, sowie mit einem Beschluß des Amtsgerichtes Ingolstadt vom 24.9.1998 zur Legung einer PEG-Sonde.

Wir alle kennen die Situation:
Mitten im Tagesgeschehen klingelt das Telefon und die XY-Klinik ruft an und bittet den Betreuer um Einwilligung zur Legung einer PEG-Sonde. Ärztlicherseits wird erheblicher Entscheidungsdruck vorgegeben: Im Falle einer Zustimmungsverweigerung sei für den Betreuten die Gefahr einer Unterernährung und fehlenden Flüssigkeitszufuhr zu besorgen mit der Konsequenz, daß ein rascher körperlicher Verfall nicht mehr aufzuhalten sei. Im übrigen handle es sich bei dem Anlegen einer PEG-Sonde um eine standardisierte ärztliche Maßnahme, die keinerlei Gefahren für den Betroffenen in sich berge, so daß dieser ohne weiteres betreuerseits zugestimmt werden könne...

Bis dato herrschte in Rechtsprechung und Lehre Konsens dahingehend, daß es sich bei dem Anlegen einer PEG-Sonde nicht um eine Maßnahme handelt, die der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 BGB bedarf. Die bis dato vorgenommene Auslegung des § 1904 BGB ging dahin, daß es sich bei dem Legen einer Magensonde eben nicht um einen Heileingriff handelt, der generell geeignet ist, bei einem Betreuten den Tod bzw. "einen schweren oder längerdauernden gesundheitlichen Schaden" hervorzurufen, wie es der Gesetzeswortlaut von § 1904 BGB fordert.
Nicht entschieden war bis vor kurzem der Fall der Nichteinwilligung eines Betreuers in das Legen einer Magensonde. Hier hat nunmehr das Amtsgericht Ingolstadt mit Beschluß zu Aktenzeichen: XVII 538/98 vom 24.09.1998 statuiert, daß die Absicht einer Betreuerin, der Legung einer PEG-Sonde bei dem Betroffenen nicht zuzustimmen, der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 BGB bedürfe1.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Betroffene befand sich, nachdem er einen vierten Schlaganfall erlitten hatte, unansprechbar und intravenös ernährt auf der Intensivstation eines Klinikums. Ärztlicherseits war beabsichtigt, ihm zur Sicherstellung der Ernährung eine Magensonde zu legen. Die Tochter des Betroffenen, die zur Betreuerin für ihn mit dem Aufgabenkreis "Gesundheitssorge, Zuführung zur ärztlichen Behandlung" bestellt wurde, beabsichtigte, dem Anlegen einer PEG-Sonde nicht zuzustimmen. Als Grund führte sie an, daß ihr Vater in der Vergangenheit stets den Wunsch geäußert habe, daß man sein Leben nicht durch jahrelanges künstliches Ernähren verlängere.

Nachdem das Gericht sich von dem Betroffenen einen unmittelbaren Eindruck verschafft und diverse Beteiligte angehört hatte, genehmigte es vormundschaftsgerichtlich nach § 1904 BGB analog die Weigerung der Betreuerin zur Anlegung einer PEG-Sonde.

Im konkreten Fall hatte also das Amtsgericht Ingolstadt zu klären, ob § 1904 BGB auch dann entsprechend anwendbar ist, wenn die beabsichtigte Maßnahme, hier also das Nichterfolgen der Ernährung durch eine Magensonde, für den Patienten das Risiko mit sich bringt, daß er in einem medizinisch nicht genau festlegbaren Zeitraum infolge unzureichender Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr in einen körperlichen Zustand gerät, der das Risiko des Todes in sich birgt.

Das Gericht genehmigte also vormundschaftsgerichtlich die Absicht der Betreuerin, der Legung einer Magensonde nicht zuzustimmen und berief sich hierbei im Rahmen der Beschlußbegründung auf die vorliegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen2 und diesem folgend des OLG Frankfurt am Main.3. Beide Gerichte hatten es im Falle von betreuten Personen, die bereits seit Jahren mittels einer PEG-Sonde ernährt wurden, für zulässig erachtet, daß die Durchführung der künstlichen Ernährung eingestellt wird nach entsprechender vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung analog § 1904 BGB - sofern dies dem mutmaßlichen oder geäußerten Willen des Patienten entspricht.

Der Bundesgerichtshof hatte mit Urteil vom 13.9.1994 u.a. statuiert:

"Nach ihrem Sinn und Zweck muß sie (gemeint ist die Vorschrift des § 1904 BGB) in Fällen der Sterbehilfe jedenfalls dann - erst recht - entsprechend anzuwenden sein, wenn die ärztliche Maßnahme in der Beendigung einer bisher durchgeführten lebenserhaltenden Behandlung besteht und der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt hat. Wenn schon bestimmte Heilangriffe wegen ihrer Gefährlichkeit der allgemeinen Entscheidungsbefugnis des Betreuers entzogen sind, dann muß dies um so mehr für Maßnahmen gelten, die eine ärztliche Behandlung beenden sollen und mit Sicherheit binnen kurzem zum Tod des Kranken führen."

Aus strafrechtlicher Sicht hielt der Bundesgerichtshof unter folgenden Voraussetzungen einen Behandlungsabbruch für zulässig:

  1. Bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten kann der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn die Voraussetzungen der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Richtlinien für die Sterbehilfe nicht vorliegen, weil der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Kranken.
  2. An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses sind strenge Anforderungen zu stellen. Hierbei kommt es vor allem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen an.
  3. Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muß auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, eines Angehörigen oder einer anderen beteiligten Person".

An anderer Stelle im Urteil führt der Bundesgerichtshof aus, daß der Arzt in Grenzfällen einen gewissen Beurteilungs- und Ermessensspielraum bei der Entscheidung über Beendigung oder Fortsetzung einer Behandlung habe. Sofern jedoch wesentliche Lebensfunktionen eines Kranken, wie Atmung, Herzaktion und Kreislauf noch erhalten sind, ist nur dann ein zulässiger Behandlungsabbruch in Betracht zu ziehen, sofern er dem mutmaßlichen Willen des entscheidungsunfähigen Patienten entspricht.

Bei der Entscheidung des Bundesgerichtshofes handelt es sich um eine solche in einer Strafsache. Den beiden dortigen Angeklagten, einem Arzt und einem Betreuer, wurde zur Last gelegt, daß sie Einvernehmen dahingehend erzielt hatten, bei der komatösen und irreversibel cerebral geschädigten Betroffenen, der Mutter des Betreuers, keine Sondenernährung mehr durchzuführen.
Zu einer Realisierung dieser Absicht kam es nicht, weil die Pflegedienstleitung rechtliche Bedenken äußerte und das Vormundschaftsgericht einschaltete. Der Bundesgerichtshof hatte also darüber zu entscheiden, ob man den Betreuer und den Arzt mit einem "blauen Auge" davonkommen lassen sollte oder aber beide strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen waren. Aus der festgestellten Straflosigkeit eines Verhaltens kann jedoch im Umkehrschluß nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, daß es von der Rechtsordnung auch gutgeheißen wird.

Wie bereits ausgeführt, hat sich das Oberlandesgericht Frankfurt in einem betreuungsrechtlichen Verfahren der Sichtweise des Bundesgerichtshofes angeschlossen und erkannt, daß der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen durch das Vormundschaftsgericht genehmigt werden kann, wenn dies dem zuvor geäußerten oder dem mutmaßlichen Willen eines im Koma liegenden Patienten entspricht und ein bewußtes und selbstbewußtes Leben nicht mehr zu erwarten ist.

Zusammenfassend
gilt es also festzustellen, daß beide Gerichte die Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 BGB analog aufstellen für den Fall, daß bei Patienten, die bereits mittels einer Magensonde ernährt werden, insoweit ein Behandlungsabbruch herbeigeführt werden soll.

Das Amtsgericht Ingolstadt geht in diesem Sinne einen Schritt weiter, indem es die Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung statuiert für den Fall, daß ein Betreuer sich weigert, seine Zustimmung zum Legen einer Magensonde zu erteilen.
Die Überlegungen des Amtsgerichts Ingolstadt verdienen Zustimmung. In der Tat handelt es sich bei dem Anlegen einer PEG-Sonde um einen chirurgischen Eingriff, der gründlich bedacht werden sollte. Bereits an dieser Stelle ist betreuerseits zu entscheiden, ob eventuell einem natürlichen Krankheitsverlauf entgegen getreten wird oder nicht.
Das operative Anlegen einer PEGSonde erschwert es bei den verschiedenartigsten Erkrankungen dem Menschen einen natürlichen Tod zu sterben.Weder der Bundesgerichtshof in Strafsachen noch das Oberlandesgericht Frankfurt hätten eine Entscheidung im Falle der beiden Betreuten fällen müssen, wenn zuvor im Zuge von deren Behandlung überlegt worden wäre, ob es überhaupt angezeigt ist, bei den betreffenden Patienten eine Ernährung mittels einer Magensonde herbeizuführen.

Gerichte sollten also in geeigneten Fällen, d. h. wenn ein geäußerter oder mutmaßlicher entsprechender Wille eines Betroffenen eruierbar ist, zukünftig bereits an dieser Stelle mit der Kontrolle einsetzen.

Im Rahmen der Entscheidungsbegründung argumentiert das Amtsgericht Ingolstadt damit, daß der Sinn des § 1904 BGB u.a. auch darin liege, zum einen den Betreuten vor voreiligen oder objektiv falschen Entscheidungen des Betreuers zu schützen und zum anderen, den Betreuer bei riskanten, das Leben bedrohenden Eingriffen dadurch in seiner Verantwortung zu unterstützen, daß die Entscheidung auf zwei Schultern, nämlich kumulativ Betreuer und Gericht, gelegt wird. Die Entscheidung befindet sich damit, wie oben bereits ausgeführt, auf einer Linie mit der des Bundesgerichtshofes in Strafsachen und derjenigen des Oberlandesgerichtes Frankfurt, die ebenso bei Maßnahmen eines Betreuers/Arztes, die auf eine Lebensverkürzung abzielen, das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung analog § 1904 BGB statuieren.

In eine ganz andere Richtung geht eine neuere Entscheidung des Landgerichtes München I4 vom 18. Februar 1999 zu Aktenzeichen 13 T 478/99. Dort beantragte der Betreuer, der Sohn des Betroffenen, der an einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom erkrankt ist, ihm zu gestatten, die Ernährung seines Vaters mittels einer PEG-Sonde einzustellen und die Flüssigkeitszufuhr auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Landgericht München I lehnte es ab, eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung von lebensbeendenden Maßnahmen auszusprechen mit der Begründung, daß § 1904 BGB nicht analog für derartige Fallkonstellationen herangezogen werden könne. Das Gericht stützte seine Auffassung auf folgende Argumente:

  1. Bei der Entscheidung, sterben zu wollen, handele es sich um eine höchst persönliche Angelegenheit, die auf einen Betreuer nicht übertragen werden könne.
  2. Eine analoge Anwendung des § 1904 BGB könne entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen und des Oberlandesgerichtes Frankfurt nicht in Betracht gezogen werden. § 1904 BGB regele einen ärztlichen Heileingriff mit dem Risiko des Todes. Hiervon zu unterscheiden sei ein ärztlicher Eingriff mit dem Ziel des Todes.

Aus alledem, so das Landgericht München I, folge, daß Ärzte und Angehörige über lebensbeendende Maßnahmen in eigener Verantwortung zu entscheiden hätten. Aus dem oben erwähnten Urteil des Bundesgerichtshofes in Strafsachen folge, daß sie mit strafrechtlichen Sanktionen nicht zu rechnen hätten, sofern sie Maßnahmen ergreifen, die im Einklang stehen mit dem mutmaßlichen Willen des Kranken.

Teilweise war ohnehin die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Frankfurt als ein Versuch dargestellt worden, Ärzte überflüssigerweise zu kontrollieren und eine Entscheidung, die an sich in ihre alleinige Zuständigkeit fiele, auf die Kompetenz der Vormundschaftsgerichte zu verlagern.5

Das zuletzt bezeichnete Urteil des Landgerichtes München I steht in Einklang mit den "Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung", die im September 1998 beschlossen wurden und in denen es heißt:

"Patientenverfügungen sind verbindlich, sofern sie sich auf eine konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, daß der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde.. "6

In Anlehnung an diese Grundsätze hat die Ärztekammer Berlin bundesweit als erste in ihrer Berufsordnung unter § 16 das nachfolgende niedergelegt:

".. Eine Patientenverfügung (Patiententestament mit Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, die der Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfaßt hat, ist für den Arzt verbindlich, es sei denn, es sind konkrete Anzeichen erkennbar, daß der Wille des Patienten sich geändert haben könnte. Soweit möglich, soll der Arzt Erklärungen von Bezugspersonen berücksichtigen."

Die Vorsitzende der Ethikkommission der Ärztekammer Berlin, Frau Professor Dr. Ruth Mattheis, kündigte an, daß seitens der Ärztekammer zukünftig Beschwerden über die Nichtbeachtung einer Patientenverfügung nachgegangen wird.7

Das Dilemma bei der jetzigen Rechtssituation besteht darin, daß die beiden oben genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen sowie der Beschluß des Oberlandesgerichtes zwar rechtskräftig sind, diese Rechtskraft sich jedoch nur auf den konkreten Einzelfall erstreckt. Es hat sich, wie man dem Beschluß des Landgerichts München I entnehmen kann, bis dato noch keine allgemeine Rechtsauffassung herausgebildet, wie im Falle eines beabsichtigten Behandlungsabbruches zu verfahren ist.
Es wird also zukünftig die Gefahr zu thematisieren sein, daß im Falle eines komatösen Patienten in Berlin, der ein entsprechendes Patiententestament hinterlassen hat, in dem es heißt, er wünsche bei derartigen Situationen keine lebensverlängernden Maßnahmen, die Ärzte in eigener Verantwortung, ggf. nach Rücksprache mit den Angehörigen, sich zu einem Behandlungsabbruch entschließen, währenddessen im Rechtsbezirk des Oberlandesgerichtes Frankfurt/Main in einer ähnlich gelagerten Situation die Ärzte zunächst ein Betreuungsverfahren anregen und für den Fall des Vorliegens einer derartigen Patientenverfügung ein Betreuer den Antrag auf vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen analo § 1904 BGB stellt.

Für einen Betreuer ist es im einzelnen schwierig zu entscheiden, wie er sich am besten verhalten soll. Es wird von daher diesseits empfohlen, in haftungsrechtlicher Sicht den sichersten Weg zu gehen und einen Antrag auf Genehmigung einer lebensverkürzenden Maßnahme analog § 1904 BGB an das Vormundschaftsgericht auszubringen. Hierbei könnte in etwa das folgende Muster dienlich sein:

An das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht

In der Betreuungssache

Elisabeth K.

- Aktenzeichen -

wurde mir von dem erkennenden Gericht der Aufgabenkreis "Gesundheitssorge" und "Zustimmung zu Heilbehandlungsmaßnahmen" übertragen.

Frau K. erlitt unter dem 16.6.1999 einen schweren

Gehirninfarkt. Sie befindet sich seitdem in einem komatösen Zustand, der laut ärztlicher Aussage dauerhaft sein wird. Seitens der Ärzte wurde mir mitgeteilt, daß es erforderlich ist, Frau K. eine PEG-Sonde anzulegen, um eine ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zu gewährleisten. Für den Fall, daß ich eine derartige Zustimmung verweigern würde, kündigten die Ärzte mir einen raschen körperlichen Verfall von Frau K. an mit Todesfolge.

Frau K. hat in mehreren, mit mir geführten persönlichen Unterredungen deutlich gemacht, daß für den Fall des Eintretens einer irreversiblen Bewußtlosigkeit sie nicht länger zu leben wünsche. Auch gegenüber den Pflegekräften der

Hauskrankenpflege hat Frau K. mehrfach den Wunsch geäußert, nicht mehr leben zu wollen, für den Fall, daß sie nur noch ein Anhängsel von Apparaten wäre. Lieber wolle sie sterben, als über Jahre hinweg bewußtlos dahinzuvegetieren.

Frau K. hat es unterlassen, eine diesbezügliche Patientenverfügung zu errichten.

Für den Fall, daß ich der Legung einer PEG-Sonde zustimme, tritt genau das ein, wovor Frau K. sich immer gefürchtet hat: möglicherweise wird sie über Jahre hinweg so künstlich am

Leben gehalten.

Ich beantrage von daher,

die Betreuerin wird vormundschaftsgerichtlich ermächtigt, analog § 1904 BGB die Einwilligung in das Anlegen einer Magensonde zu verweigern. Unterschrift

In dem vorliegenden Muster wurde der schwierigere Fall gewählt, daß nämlich die betreute Person es unterlassen hat, rechtzeitig eine Patientenverfügung schriftlich niederzulegen. Allerdings unterliegt das Abfassen eines Patiententestaments keinen Formvorschriften.8. Der Bundesgerichtshof hat es im Gegenteil für vollkommen ausreichend gehalten, wenn sich ein mutmaßlicher Wille auch aufgrund von früheren mündlichen Aussagen feststellen ließe. Lediglich zu Beweiszwecken wird es vielerorts empfohlen, die Patientenverfügung zumindest handschriftlich zu verfassen sowie in Gegenwart von Zeugen zu unterschreiben. Die Unterschrift von Zeugen ist zwar ebenso nicht vorgeschrieben, jedoch anzuraten im Hinblick auf das spätere Führen eines Nachweises, daß der Unterzeichnende bei Abfassung der Patientenverfügung im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war.

Das Vormundschaftsgericht hat im folgenden drei Reaktionsmöglichkeiten:

1. Das Vormundschaftsgericht kann die analoge Anwendung des § 1904 BGB ablehnen. Damit wird die Entscheidung, ob die Sondenernährung stattfindet oder nicht, in die Kompetenz des Betreuers sowie der behandelnden Ärzte alleine gelegt. Diese Lösungsvariante entspricht der Entscheidung des Landgerichtes München I.

2. Das Vormundschaftsgericht genehmigt die beantragte Weigerung zur Anlegung einer PEG-Sonde analog § 1904 BGB und legt damit die Verantwortung für die Entscheidung auf die Schultern des Gerichts und des Betreuers.

3. Das Vormundschaftsgericht stellt sich mit der herrschenden Meinung auf den Standpunkt, das Anlegen einer Magensonde stelle grundsätzlich keine genehmigungspflichtige Maßnahme nach § 1904 BGB dar.

In jedem Falle ist der Betreuer aufgerufen, in irgendeiner Form zu reagieren. Liegen dem Betreuer also Erkenntnisse darüber vor, daß der Betreute bestimmte medizinische Maßnahmen nicht an sich hätte dulden wollen, so ist er dazu verpflichtet, diesem Willen des Betreuten Geltung zu verschaffen. An dieser Stelle gilt es in Erinnerung zu rufen, daß der Betreuer alles ins Werk zu setzen hat, um den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, § 1901 BGB. Nach dieser Vorschrift ist das Wohl des Betreuten entscheidender Maßstab für das Verhalten des Betreuers.9

Aus diesseitiger Sicht ist das Vorpreschen der Ärztekammer Berlin kritisierenswürdig. Es kann nicht angehen, daß Ärzte und Betreuer oder aber Angehörige in jedem Falle allein über Leben und Sterben eines Betroffenen entscheiden können. Dies würde der Gefahr von Mißbräuchen Tür und Tor öffnen. Es ist bekannt, daß gerade große Vermögen bei vorgeblich treu sorgenden Anverwandten eine enorme Dynamik auszulösen vermögen: So kann es nicht ausgeschlossen werden, daß Ärzten gefälschte Patientenverfügungen vorgelegt werden, die auf einen Behandlungsabbruch abzielen.
Des weiteren ist zu bedenken, daß die Situationen, in denen Sterbeentscheidungen getroffen werden, äußerst unterschiedlich sein können: So kann im Falle eines Menschen, der an einer schleichenden, tödlich verlaufenden Krankheit leidet, dieser im Einzelnen den Behandlungsablauf inklusive eines Abbruchs der Heilmaßnahmen mit seinen Ärzten absprechen, ohne daß es der Einschaltung eines Vormundschaftsgerichts bedarf.
Demgegenüber sind die Fälle einer vormundschaftsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen, in denen keine Patientenverfügung vorliegt, eine zeitlich veraltete oder aber eine solche, über deren Entstehung keine klaren und nachvollziehbaren Erkenntnisse vorhanden sind. Bei derartigen Konstellationen ist der Weg, den der Bundesgerichtshof in Strafsachen und das OLG Frankfurt aufzeigten, nämlich eine Sterbeentscheidung einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zu unterziehen, vorzugswürdig.
Dies insbesondere auf dem Hintergrund, daß in Deutschland die palliative Medizin noch in den Kinderschuhen steckt10 und von daher in jedem Einzelfall ernsthaft zu untersuchen ist, wie es überhaupt zu dem Sterbewunsch eines Patienten kommt. Zu Recht wird in der medizinischen Fachliteratur darauf hingewiesen, daß die Mehrzahl der körperlich schwer erkrankten Patienten mit Todeswunsch unter einem verdeckten depressiven Syndrom litt, das oft erst von einem Psychiater diagnostiziert wurde.11

Bevor also die medizinethische Frage nach einer ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung diskutiert werden kann, ist die Fähigkeit jedes Betroffenen zu einer selbstbestimmten Entscheidung vorab zu eruieren. Empirisch ist jedenfalls ein Zusammenhang von depressiver Symptomatik und dem Wunsch nach ärztlicher Beihilfe zum Suizid bei Patienten mit körperlichen Erkrankungen im Endstadium nachgewiesen.12
Patienten, die im Endstadium einer Erkrankung palliativ medizinisch optimal versorgt sind, artikulieren in der Regel von sich aus keinen Sterbewunsch.13
Zudem besteht nach wir vor ein großes Wissensdefizit in der praktischen Beurteilung der Patientenautonomie, dem forschungsmäßig bisher zu wenig Rechnung getragen wurde. Insbesondere auf dem vorstehend skizzierten Hintergrund sollte also vor der Entscheidung, ob ein Behandlungsabbruch durchgeführt wird, vorab das Konzil eines Psychiaters eingeholt werden.
Ferner wäre zu überlegen, ob § 1904 BGB wirklich die erforderlichen Verfahrensgarantien bietet, die erforderlich sind, um eine derart entscheidende Frage zwischen Leben und Tod definitiv abklären zu können. Zu Recht wurde teilweise in der vormundschaftsbetreuungsrechtlichen Literatur darauf hingewiesen, daß gerade nach der Neufassung des § 1904 BGB schlimmstenfalls in einem sogenannten Hauruck-Verfahren eine Entscheidung über Leben und Tod herbeigeführt werden könnte.14
An dieser Stelle gilt es in Erinnerung zu rufen, daß infolge der Neufassung des § 1904 BGB durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz mit Wirkung vom 1.1.1999 bei der richterlichen Genehmigung gefährlicher Heilbehandlungen die bis dahin geltende Regelung, daß der zu beauftragende Sachverständige nicht identisch sein darf mit dem Arzt, der die geplante Maßnahme ausführen will, abgeschafft wurde. Insofern sollte eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Sterbehilfe mehr an den strengeren Voraussetzungen des § 1905 BGB ausgerichtet werden.15
Wenn der Reformgesetzgeber für die Frage, ob ein Betreuter sterilisiert werden soll, auf die Einhaltung so strenger Verfahrensgarantien achtet, so muß dies erst recht gelten für eine Entscheidung, wo es um Leben oder Tod geht.
Zumindest ist zu fordern, daß dem Betroffenen zwingend ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist, sofern er nicht bereits durch einen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten, vorzugsweise einen Rechtsanwalt, vertreten wird. Daß der die Sterbehilfe einleitende Arzt ein anderer sein muß als derjenige, welcher das Sachverständigengutachten fertigt, ergibt sich bereits aus dem oben gesagten. Ferner sollte dem Betroffenen zwingend ein weiterer Betreuer zur Seite gestellt werden, wie es § 1899 Abs. BGB für den Fall der Sterilisation vorsieht.

Ergebnis:
Es sollte betreuerseits bereits im Vorfeld - bei dem Legen einer PEG-Sonde - sorgsam überlegt werden, ob diese Maßnahme überhaupt dem mutmaßlichen oder erklärten Willen des Betreuten entspricht. Die Vormundschaftsgerichte wiederum sollten im Rahmen des Genehmigungsverfahrens jedenfalls teilweise die Garantien des § 1905 BGB einhalten. Die partiell erhobene Forderung, die Sterbehilfe gesetzlich zu regeln,16 ist abzulehnen. Es entspricht zwar einer bei uns weit verbreiteten paternalistischen Haltung, in schwierigen zwischenmenschlichen Angelegenheiten nach dem Staat und seiner Bürokratie zu rufen17 und damit letztlich eigener Verantwortung aus dem Wege zu gehen. Bei einer Sterbehilfeentscheidung ist in jedem konkreten Einzelfall eine individuelle Lösung zugunsten der betreuten Person/des Patienten zu finden und es ist eine Illusion, wenn man meint, man könne die unterschiedlichen Sachverhalte in klare gesetzliche Tatbestandsmerkmale gießen.

Fußnoten:

1 Amtsgericht Ingolstadt in bt-info, Beschluß vom 24.9.1998 - XVII 538/98, S. 44
2 BGHSt, Urteil vom 13.9.1994 - 1 StR 357/94 in NJW 1995, S. 204 f.
3 OLG Frankfurt a. M., Beschluß vom 15.7.1998 - 20 W 224/98, in NJW 1998, S. 2747 f.
4 LG München I, Beschluß vom 18.2.1999 - 13 T 478/99 in BtPrax 1999 S. 115 f.
5 Judith Knieper in BtPrax 1998, S. 160 
6 Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung in Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 39, 25.9.1998 A-2367
7 Prof. Dr. Ruth Mattheis in Berliner Ärzte, S. 23/24
8 Prof. Dr. Ruth Mattheis a.a.0.
9 BT-Drucksache 11-4528, S. 133
10 Bernhard Knupp, Wolfgang Stille, Sterbebegleitende MedizinGrundlagen und Perspektiven in Medizinische Klinik 1997, S. 106.
11 J. Vollmann, Ärztliche Lebensbeendigung und Patientenselbstbestimmung in Deutsche Medizinische Wochenschrift 123, 1998, S. 93/95.
12 Vollmann, a.a.0.
13 Prof. Dr. Heinz Pichlmaier, Palliativmedizin - ein ganzheitliches Konzept in Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 7, 14.2.1997. A - 380.
14 Dirk Stalinski, Gerichtliche genehmigte Sterbehilfe, Teil 2, in BtPrax 1999, S. 86/88
15 Judith Knieper, Inhalt und Auswirkungen der Sterbehilfeentscheidung in BtPrax 1998, S. 160/162
16 VGT in BtPRax 1998, S. 161
17 Prof. Dr. Dr. Wolfram Müller-Freienfels, Anmerkung zum Urteil des OLG Frankfurt/M. in JZ 22/1998, S. 1123/1125


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