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"Blindflug" bei der Dosierung von Alzheimer-Medikamenten

© Prof. Dr. med. Joachim Bauer

Die Behandlung mit den heute üblicherweise eingesetzten Alzheimer-Medikamenten (nämlich mit den Cholinesterase-Inhibitoren Donezepil/Aricept; Rivastigmin/Exelon und Galantamin/Reminyl) orientiert sich an Dosierungsempfehlungen, welche für mindestens 10% der Kranken eine massive Überdosierung darstellen (mit entsprechenden verstärkten Nebenwirkungen).

Was ist der Grund? Wie fast alle Medikamente, so müssen auch die Cholinesterase-Hemmer von sogenannten Entgiftungs-Enzymen der Leber (Fachbegriff: "CYP450-Enzyme") verstoffwechselt (d.h. biochemisch verändert) werden, um dann aus dem Körper ausgeschieden werden zu können. Das für die Entgiftung der meisten Psychopharmaka (inklusive der Cholinesterase-Inhibitoren) "zuständige" Entgiftungs-Enzym (es hat die Fachbezeichnung "2D6") ist aufgrund einer genetischen Variante bei 10% der Bevölkerung in seiner Funktionstüchtigkeit massiv vermindert.

Obwohl die Medizin heute in der Lage ist, Patienten mit verminderter Entgiftungsleistung (die in der Fachliteratur als sogenannte "poor metabolizer" bezeichnet werden) mit einer einmaligen Diagnostik (kleine Blutentnahme) zu identifizieren (man könnte dies dann z. B. in den Blutgruppenausweis eintragen), wird dies aus Kostengründen unterlassen. Stattdessen wird in Kauf genommen, dass bei der Verordnung von 2D6-pflichtigen Medikamenten mehr als 10% der Bevölkerung versuchsweise mit Überdosierungen sozusagen "vergiftet" werden.

Das Problem wurde kürzlich (am 22. 2. 2002) auch im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT dargestellt, wiederum ohne Folgen. Ich selbst habe erstmals bereits 1998 in der Fachzeitschrift NERVENARZT dazu einen Beitrag publiziert. Der Anlass für mich war damals: Psychopharmaka sind von diesem Problem besonders betroffen; meine wissenschaftliche Arbeitsgruppe hatte damals eine Zeitlang alle schweren Medikamenten-Nebenwirkungen unserer Klinik analysiert; wir fanden als Ursache fast immer die verminderte Entgiftungsfunktion der CYP-Enzyme. Ich habe dieses Problem, auf welches Fachleute seit längerem hinweisen, jetzt erneut in meinem Buch angprangert, welches am 1.10. auf dem Ladentisch erscheinen wird ("Das Gedächtnis des Körpers"). Da auch bei anderen Entgiftungs-Enzymen (die für andere Medikamente zuständig sind) in der Bevölkerung Varianten mit stark verminderter Funktion vorkommen, sind insgesamt bis zu 40% der Bevölkerung von diesem Problem betroffen.

Ein weiterer Punkt ist, dass vielfach nicht beachtet wird, dass es bei Alzheimer-Patienten, welche Cholinesterase-Inhjhibitoren einnehmen, auch dadurch zu Überdosierungen und Vergiftungserscheinungen kommen kann, dass begleitend eingenommene Medikamente (insbesondere einige Antidperessiva, aber auch andere Mittel, z. B. aus der Inneren Medizin) zu einer drastischen Verminderung der Entgiftsungfunktion der genannten Enzyme führen können (was dann bei Alzheimer-Patienten, die Cholinesterase-Inhibitoren einnehmen, eine drastische Erhöhung der Blutspiegel dieser Cholinesterase-Hemmer zur Folge hat).

Insgesamt darf man ohne Übertreibung von einem "Blindflug" bei der Dosierung zahlreicher Medikamente sprechen. Im Falle der Demenzkranken halte ich das bislang übliche, rücksichtlose Einheitsvorgehen bzgl. der Dosierungsempfehlungen von CYP450-pflichtigen Medikamenten besonders unethisch, da die Dementen auftretende Nebenwirkungen oft entweder nicht berichten oder nicht richtig beschreiben können.

Adresse des Hinweisgebers:

Prof. Dr. med. Joachim Bauer
Facharzt für Innere Medizin
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Uniklinik Freiburg
Hauptstrasse 8
79104 Freiburg
www.psychotherapie-prof-bauer.de
Tel (0761) 270 6539

Mehr dazu im Kap. 11 des Buches von Prof. Dr. Joachim Bauer:
Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern.

 ... Buchbesprechungen von Mechthild Bluhm und Jochen Wagner

...Autorenrezension in unserer Bibliothek

coverscan :Das Gedächtnis des Körpers


Literaturzitate bzgl. der Medikamentenproblematik

1. Übersichts- Arbeiten
zur Problematik der verminderten Medikamentenverträglichkeit (Entgiftungsfähigkeit des CYP450-Systems) 10% d. Bevölkerung: sehr starke Verminderung (poor metabolizer) bis zu 30%: mittlere Verminderung (intermediate metabolizer):

Schwab, M. et al.:
Pharmakogenetik der Zytochrom-P-450-Enzyme
Deutscher Ärzteblatt 99 (Heft 8): A497-A504

Normann, C. et al. (unter den weiteren Autoren: Joachim Bauer):
Die Bedeutung des hepatischen Cytochrom-P450-Systems für die Psychopharmakologie
Nervenarzt 69:944-955 (1998)
 

2. Zusammenstellungen zur Entgiftung von Cholinesterase- Inhibitoren (Alzheimer-Medikamenten) durch das P450-System finden sich im Internet, u. a. unter

http://www.albertadoctors.org/resources/cpg/dementia-table.pdf
 

Donezepil (Aricept) und Galantamin (Reminyl) sind in hohem Maße von der Entgiftung durch ein CYP450- Enzym mit dem Namen 2D6 abhängig. 10% der Bevölkerung haben veranlagungsbedingt eine massiv reduzierte 2D6-Funktion und dürfen von Medikamenten, die durch 2D6 entgiftet werden, nur einen Bruchteil (z. T. nur 1/100 !!) der "normalen" Dosis erhalten. Die Entgiftung von Rivastigmin ist deutlich weniger von 2D6 abhängig, das Problem stellt sich hier daher nicht in demselben Ausmaß.
 

3. Rivastigmin (Exelon) ist von der Entgiftung durch CYP-P450 in geringerem Ausmaße abhängig als Donezepil (Aricept) und Galantamin (Reminyl), daher sind bei Personen mit verminderter Medikamentenverträglichkeit (also bei mindestens 10% der Bevölkerung) im Falle von Rivastigmin (Exelon) weniger Probleme zu erwarten als bei den anderen beiden Medikamenten. Siehe dazu:

http://www.rxlist.com/cgi/generic2/rivastig_wcp.htm

http://www.albertadoctors.org/resources/cpg/dementia-table.pdf

 


 

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