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Gruppenarbeit mit chronisch altersverwirrten Menschen

Labyrinthos Franz Miller Dipl. Soz. Päd. (FH)

Isolation und Vereinsamung sind Krankmacher erster Güte. Mit vielem Unbill können Menschen der Kriegsgeneration zurechtkommen, aber nicht mit der Einsamkeit. Im Alleinsein und dem entsprechenden Umgang damit, finden wir die Quelle und den Auslöser vieler psychischer Erkrankungen. Trotz genügend Nahrung und Flüssigkeit geht der Mensch ohne Liebe und Zuwendung von anderen zugrunde.

Immer noch ist die klassische Form der Betreuung alter Menschen der Einzelkontakt. Dies ergibt sich natürlich aus den notwendigen und intimen Kontakten bei der Grundpflege.
Abseits der Waschungen und medizinischen Versorgung sollte sich der Einzelkontakt jedoch zugunsten der Begegnungen mit anderen reduzieren. In den neuen Wohnformen, vor allem mit chronisch altersverwirrten Menschen, wird die Gruppe zum therapeutischen Mittel der ersten Wahl.

Zitat aus dem Buch "Irren ist menschlich" von K. Dörner/U. Plog:
"Die gesündere und normalere Situation (im Vergleich zur Einzelbetreuung) ist die Gruppensituation. Die Möglichkeit zur Vielfalt der Wahrnehmung: ich vergleiche mich mit Anderen, wo bin ich ähnlich, wo bin ich anders, wo kann ich etwas übernehmen, wo kann ich so bleiben wie ich bin, ist nur in Gruppen möglich. Der Mensch ist auf soziales Handeln angelegt, so dass die Gruppe seiner Wirklichkeit, d.h. seiner Natürlichkeit entspricht."

Gruppenarbeit sollte in ambulanten, stationären und teilstationären Einrichtungen nicht nur ein mögliches, sondern ein notwendiges Mittel im Umgang mit alten Menschen und deren Angehörigen sein. Es genügt nicht, die Bewohner aus den Zimmern in den Aufenthaltsraum zu bringen, damit sie dort zwar nicht alleine, aber doch für sich sind und vor sich hin sinnieren. Die erlebte Kontaktlosigkeit der Bewohner untereinander in Pflegeheimen, muss durch gezielte Interaktionen durch das Personal kompensiert werden. Durch Gruppenarbeit wird die Atmosphäre auf den Stationen positiv beeinflusst. Es kommt zu einem stärkeren Wir-Gefühl, nicht nur unter den Bewohnern, sondern auch zwischen den Bewohnern und den Mitarbeitern.
Auch wenn die Gruppen in Heimen, Angehörigenberatungsstellen oder Tagespflegen keine ausgewiesenen therapeutischen Gruppen sind, so sind die Effekte der Gruppentreffen oft therapeutischer Art und deshalb sollte der/die GruppenleiterIn über gruppendynamische Grundkenntnisse verfügen.

Wesentliche Aufgabe der Gruppenleiter ist die Aufrechterhaltung der Gruppe.
Dies beginnt schon bei der Auswahl der Gruppenmitglieder, wenn die Möglichkeit der Auswahl besteht. Zumeist sind die Gruppen jedoch willkürlich zusammengesetzt.
Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Einführung von Gruppennormen. Die Normen oder Regeln müssen zwei Bedingungen gleichzeitig erfüllen: Die Gruppe soll sich darauf einigen können und sie müssen der Gruppe dienlich sein: Z.B. freie Interaktion, Offenheit, nicht verurteilen, keine körperliche Gewalt, etc..


Für das Handeln des Gruppenleiters ist die Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte wichtig:

- die Berücksichtigung des Hier- und Jetzt-Prozesses
- den Gruppenprozess kommentieren
- Interpretation

Der Gruppenleiter ist sowohl technischer Experte, wie auch Teil der Gruppe. Er ist aber nicht gleichberechtigtes Gruppenmitglied. Er soll sich in der Gruppe mit einbringen, sich aber nicht entlasten. Er sollte ein Gespür dafür entwickeln, wie viel Führung die Gruppe braucht und wie viel "geschehen-lassen" gut ist.

Gruppenentwicklungsphasen

  1. Orientierungsphase
  2. Positions- und Rollenklärungsphase
  3. Vertrautheitsphase
  4. Differenzierungsphase
  5. Ablösungs- oder Abschiedsphase

All die Grundsätze, die ich bisher aufgeführt habe, gelten auch für die Leitung von Gruppen mit chronisch altersverwirrten Menschen. Zuerst scheint es paradox mit z.B. Alzheimerpatienten eine Gruppe zu machen, doch Untersuchungen haben ergeben, dass das Gruppenleben an sich den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst, indem Abbauprozesse gehemmt oder sogar gestoppt werden.
Mit entscheidend dabei ist, dass das Grundgefühl der Angst, das die meisten altersverwirrten Menschen aufgrund ihrer Defizite begleitet, in einer gut geführten Gruppe wesentlich gemildert wird.

Was bedeutet die Gruppe für chronisch altersverwirrte Menschen?

  • Es gibt viele Vorbilder, die mir vormachen wie etwas geht z.B. Brötchen schneiden, Messer und Gabel benützen. Ich kann bei anderen abschauen.
  • Es gibt Unterstützung von anderen. Ich kann andere Fragen wie etwas geht, oder andere zeigen mir wie etwas geht.
  • Die Gruppe bietet Schutz. Ich bin nicht allein. Mit anderen zusammen fühle ich mich sicherer.
  • In der Gruppe bekomme ich viele Außenreize. Ich höre und sehe ständig etwas. Dadurch bleibt mein Gehirn aktiv.
  • In der Gruppe verfalle ich nicht so leicht in depressive Löcher. Ich sehe, auch andere haben ihr Päckchen zu tragen.
  • In der Gruppe mache ich auch mal Dinge mit, die ich sonst nicht machen würde (z.B. Gymnastikübungen).
  • Mit der Gruppe lässt sich viel teilen, Freude und Leid gleichermaßen.
  • In der Gruppe bin ich nicht nur auf mich bezogen. Ich muss mich mit anderen auseinandersetzen.
  • Dadurch bekomme ich Bedeutung für andere. Ob in Auseinandersetzungen oder im freundschaftlichen Zusammensein erlebe ich Nähe und Kontakt.



Chronisch altersverwirrte Menschen brauchen ein gutes "Nest"

Betreuer von altersverwirrten Menschen erleben in der Einzelbetreuung ständige Überlastungssituationen. Sie können allein nicht die Sicherheit und den Schutz bieten, den diese Personen brauchen. Als EinzelbetreuerIn beschwört man immer wieder die Situation des Verlassen-werdens herauf, z.B. wenn man Besorgungen zu erledigen hat.
Eine Gruppe bietet eine Basis, von der aus verschiedene Aktivitäten geplant und durchgeführt werden. Sie ist das wärmende und schützende Nest, in das der desorientierte Mensch immer wieder zurückkehren kann und in dem sein Bedürfnis nach Geborgenheit trotz wechselnder Personen besser befriedigt werden kann.

Die positiven Aspekte des Lebens in einer Gruppe, können sich in manchen Punkten ins negative verkehren. Die Aufgabe des Gruppenleiters besteht dann darin, diese Umkehr deutlich zu machen und sie konstruktiv für den Gruppenprozess zu nutzen.

Die Leitung solcher Gruppen erfordert grundlegende Kenntnisse über chronische Altersverwirrtheit und ein hohes Maß an Flexibilität. Der Gruppenleiter stellt in der Gruppe der altersverwirrten Menschen den roten Faden dar im Nebel des Vergessens.

Grundsätzliches für den Gruppenleiter zur Gruppenarbeit mit chronisch altersverwirrten Menschen:

  1. Achten sie stets auf die Freiwilligkeit. Die Gruppenmitglieder sollen sich frei dafür entscheiden können, ob sie in der Gruppe sein wollen oder nicht
  2. Gruppengespräche können am Küchen- oder Eßtisch stattfinden, sorgen sie aber auch immer wieder für einen besonderen Gruppenrahmen.
  3. Versuchen sie immer wieder, Personen in die Gruppe zu integrieren. Akzeptieren sie ein "kommen und gehen".
  4. Seien sie stets bereit zu Themenwechseln. Machen sie Gedankensprünge mit und leiten sie, wenn möglich, später wieder zum Thema zurück.
  5. Sprechen sie passive Gruppenmitglieder immer wieder an. Geben sie ihnen Zeit sich zu äußern. Lassen sie die passiven Gruppenmitglieder ansonsten in ihrer Passivität. Sie bekommen schon was sie brauchen.
  6. Nehmen sie sich immer wieder zurück und überlassen sie das Gespräch der Gruppe.
  7. Halten sie auch mal längeres Schweigen aus.
  8. Keine Angst vor Wiederholungen. Wiederholungen geben Sicherheit.
  9. Rechnen sie immer mit spontanen Gefühlsausbrüchen.
  10. Sie sollten die Gruppe möglichst zu zweit leiten. Ein Gruppenleiter fungiert als "Springer" für besondere Situationen (z.B. die sog. "Läufer").
  11. Rechnen sie immer mit Unterbrechungen.
  12. Achten sie während Gruppensitzungen immer wieder darauf, ob es ein aktuelles, aber nicht angesprochenes Gruppenthema gibt (z.B. alle nervt es, dass Fr. Hässler sich ständig kratzt, aber niemand spricht sie direkt an).
  13. Machen sie keine zu langen Gruppengespräche. Achten sie auf Entspannungsphasen. Es darf aktive und passive Gruppensituationen geben. Schaffung einer natürliche Gruppensituation.
  14. Jede/r in der Gruppe hat unterschiedliche Fähigkeiten. Wählen sie ihre Themen entsprechend aus.
  15. Machen sie deutlich, das es in der Gruppe Regeln gibt. Dies müssen sie immer wieder tun. Setzen sie diese Regeln mit der Gruppe fest.
  16. Sie haben es oft mit starken Individualisten zu tun. Geben sie diesen Raum aber setzen sie auch Grenzen.
  17. Seien sie bereit, für kurze Zeit, alle Regeln und Grundsätze der Gruppenarbeit über den Haufen zu werfen.
  18. Führen sie keine Zweiergespräche. Dehnen sie private Anfragen von Einzelnen Gruppenmitgliedern auf die ganze Gruppe aus.
  19. Unterscheiden sie zwischen aktivem und passivem Gruppengeschehen (aktiv: besonderes Gruppensetting, besondere Themen; passiv: Gruppengeschehen beobachten, z. B. beim Essen, beim Spaziergang). Der Gruppenleiter ist immer im Dienst.

Gruppenarbeit ist nicht jedermanns oder jederfraus Sache. Wer sein Leben lang Einzelgänger war, wird auch nicht im Alter zum Herdentier. Dies gilt sowohl für Gruppenleiter, wie auch für Gruppenmitglieder. Aber nur die wenigsten sind echte Eremiten, jeder im Alter wird wenigstens die Nähe einer "Herde" zu schätzen wissen.

Nach 14jähriger positiver Erfahrung mit Gruppen in einer Tagespflege kann ich allen Mitarbeitern in der Altenhilfe raten: Nur Mut zur Gruppenarbeit, raus aus den heimlichen Nischen, zeigen sie was sie tun. Setzen sie sich mit Bewohnern zusammen, suchen sie das gemeinsame Gespräch mit anderen. Füllen sie die Aufenthaltsräume und Flure der Heime mit Leben. Nutzen sie als Angehörige die Möglichkeiten von Tagespflegegruppen.

Für die Gruppenarbeit gilt was der Volksmund sagt: Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.



Autor:

Labyrinthos Franz Miller Dipl. Soz. Päd. (FH) Steingasse 12 86150 Augsburg Telfax 0821-5082851 Franz.A.Miller@t-online.de


 

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