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Kongreßbericht

Forschung an Demenz-Kranken?

© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln

"Am Beispiel Demenz und Schlaganfall - Forschung mit einwilligungsunfähigen Patienten" lautete das Thema einer Anhörung, die am 27. November 1995 in Bonn stattfand. Veranstalter waren Hirnliga e.V. und Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. Demenz-Spektrum verdeutlicht anhand der folgenden Beiträge die Schwierigkeit des Themas.

Unterschätzte Kooperationsbereitschaft der Angehörigen

90 Prozent der Angehörigen älterer Menschen würden sich im Falle einer eigenen Demenz an einem Forschungsvorhaben beteiligen, das potentiell einen individuellen therapeutischen Nutzen verspricht. Voraussetzung wäre, daß dazu ermächtigte Angehörige oder ein rechtlich befugter Dritter die erforderliche Entscheidung treffen. Über dieses Resultat und weitere Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von 94 Münchnern berichtete Prof. Dr. H. Lauter.

In der gleichen Studie äußerten 90 Prozent der Befragten ihre Bereitschaft, einem solchen Forschungsvorhaben gegebenenfalls auch stellvertretend für einen Demenz-kranken Angehörigen zuzustimmen. Nur etwas geringer fiel die Zustimmungsbereitschaft für den Fall aus, daß es sich um ein wissenschaftliches Projekt ohne potentiellen individuellen Nutzen handelt (diagnostischer Versuch zur besseren Früherkennung der Demenz). Sowohl bei dieser wie auch der ersten Zustimmungsvariante wurde das Ergebnis nicht davon beeinflußt, ob die Befragten persönlich in der Betreuung Demenz-kranker Angehöriger erfahren waren.

Nach Ansicht des Münchner Wissenschaftlers läßt sich die Befragung als Indiz für die Bereitschaft der Bevölkerung bzw. der Angehörigen von Demenz-Kranken werten, medizinische Forschung mit Demenz-Kranken unter bestimmten Voraussetzungen zu befürworten. Es handele sich vermutlich um den Ausdruck eines weit verbreiteten sozialen Verantwortungsgefühls.

Über davon abweichende Stellungnahmen von Angehörigen Demenz-Kranker berichtete H. Laade. Der 1. Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft hatte das Thema mit 20 Angehörigen erörtert. Dabei stellte sich heraus, daß in dieser Runde der nicht-therapeutische Versuch strikt abgelehnt wurde, soweit eine Einwilligung ersetzt werden sollte. Die Mehrheit der Gesprächsteilnehmer lehnte auch den Heilversuch im fortgeschrittenen Stadium ab. Dagegen befürworteten die Angehörigen eine eingeschränkte Anerkennung von antizipierten Einwilligungen.

Warnung vor "typischen medizinischen Denkfehlern"

In einer kritischen Auseinandersetzung mit einem Buch, das sich dem Thema Forschung bei Demenz-Kranken widmet, verdeutlichte Prof. Dr. Dr. K. Dörner Denkfallen, die auch die Demenz-Forschung nicht verschonen. So kritisierte der Gütersloher Psychiater die Auswahl von Begriffen, mit denen Demenz-Probleme häufig beschrieben werden. Ausdrücke wie "Gefahr", "Bedrohung", "Welle" einer auf uns zukommenden "Demenz-Epidemie", "nicht mehr aufzubringende Kosten" sind emotional behaftet und verleiten dazu, Krankheit und Kranke zu bekämpfen.

Als typischen Medizinerdenkfehler bezeichnete Dörner die Neigung, Forschung als einzigen Weg der Rettung aus einem Gesundheitsdesaster herauszustellen und dabei mehr an Grundlagen- als an Versorgungsforschung zu denken. Gleichzeitig würde in diesem Zusammenhang schnell unwissenschaftlich und suggestiv mit dem Mittel des Heilsversprechens gearbeitet. Es werde mehr versprochen als gehalten. Medizinhistorisch gesehen würden von den Versprechungen einer Medizinergeneration aber bestenfalls 10 Prozent eingelöst. In dem erwähnten Buch ortete Dörner die Suggestion, daß man, wenn man jetzt noch intensiver forschen dürfe, in Kürze das gesamte Elend der Demenz und ihrer Versorgung zum Verschwinden bringen könne.

Der gefährlichste Mediziner-Fehler sei allerdings die Annahme, daß der segenversprechende Zweck die Mittel heilige. Sie übersehe, daß medizinische Forschung zunächst wertneutral ist. In diesem Zusammenhang kritisierte Dörner, daß Medizinethik noch immer überwiegend "Bioethik", "Technoethik" und "Entscheidungsethik" sei. Wie der Begriff "Demenz-Epidemie" zeige, lasse sie leicht vergessen, daß es Menschen sind, die eine Krankheit haben. Dörner selbst plädierte für eine "Beziehungsethik", da es bei der Umsetzung von Forschung in ärztliches Handeln zunächst immer um Beziehungen zwischen Ärzten, Patienten und Angehörigen geht. Nicht zuletzt seien es die Mediziner selbst, die aufgrund des von ihnen zu vertretenden Fortschritts die Zunahme der Zahl Demenz-Kranker verursacht hätten. Sie sollten sich deshalb als Vorkämpfer dafür engagieren, den Demenz-Kranken dieselben Rechte zuteil werden zu lassen wie Bevölkerungsgruppen mit anderen Seinsweisen.

Schließlich warnte Dörner davor, den Betreuer stellvertretend für den nichteinwilligungsfähigen Demenz-Kranken einer Beforschung zustimmen zu lassen. In der momentanen gesellschaftlichen Situation sei dies ein Unding. So würde man vom Betreuer verlangen, daß er beim Fehlen eines potentiellen individuellen Nutzens nicht mehr nur die Interessen des Betreuten, sondern auch die Interessen der Allgemeinheit auszubalancieren hätte. Dörner verwarf auch den Gedanken, die heutigen Dementen aufgrund der von ihnen verursachten Kosten und Anstrengungen zur Solidarität mit den Dementen der nächsten Generation zu verpflichten.


Wir danken

für die Bereitstellung des Textes aus dem ZNS- bzw. DEMENZ-SPEKTRUM

 

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