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Angehörigenarbeit

verzögert Heimeinweisung

von Alzheimerkranken

Dass eine intensive Angehörigenarbeit eine Heimeinweisung von Demenzkranken verzögern kann, entspricht der Erfahrung vieler, die sich in diesem Sektor engagieren. Was intuitiv einleuchtend scheint, wurde jedoch nur selten wissenschaftlich untersucht. Eine bahnbrechende Studie, die auch heute noch aktuell ist, wurde 1996 von Mary Mittelman und Mitarbeitern vorgelegt. An der Studie nahmen 206 Ehepartner von Alzheimer-Kranken teil, die meisten davon Patienten des Demenz-Forschungszentrums der New York University. Alle Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip der Treatment- oder der Kontrollgruppe zugeordnet und nach einer ausführlichen Eingangsdiagnostik in regelmäßigen Abständen bis max. 8 Jahre nach Studienbeginn nachbefragt.

Das Behandlungsprogramm der Treatmentgruppe bestand im Wesentlichen aus drei Komponenten:

  • Innerhalb der ersten 4 Studienmonate erhielt jeder pflegende Angehörige 2 Einzelberatungen und 4 Familienberatungen.
  • Nach Ablauf der ersten vier Studienmonate sollten die Angehörigen einer sich wöchentlich treffenden Angehörigen-Selbsthilfegruppe beitreten, die emotionale und informative Unterstützung in einer akzeptierenden Atmosphäre liefern sollte.
  • Über den gesamten Studienzeitraum hinweg standen den Angehörigen erfahrene Berater zur Verfügung (2,4 Stellen).

Die Kontrollgruppe erhielt das normale Service-Angebot des Demenz-Forschungszentrums der Universität. Beratung und Information gab es nur auf Nachfrage, und das Ausmaß der Unterstützung war geringer. Fragten die Teilnehmer der Kontrollgruppe etwa nach Pflegediensten, erhielten sie eine Liste der Anbieter ausgehändigt, während die Treatmentgruppe darüber hinaus auf Wunsch auch konkret bei der Suche nach einem geeigneten Anbieter unterstützt wurde.

Nach Abschluss der 8-jährigen Studie war das Ergebnis – Pat. noch zu Hause oder im Pflegeheim – nur von einem Patienten nicht bekannt. Von den verbleibenden Patienten lebten mittlerweile 121 in einem Heim. 54 Patienten waren vor einer möglichen Pflegeheimeinweisung zu Hause verstorben, 30 wurden immer noch zu Hause betreut.

Mittelman u.a. konnten mit differenzierten statistischen Analysen nachweisen, dass ihr Behandlungsprogramm eine Heimunterbringung im Mittel um 329 Tage verzögerte. Bei einem leichten Krankheitsstadium war das Risiko einer Pflegeheimeinweisung 5 x niedriger, bei mittelgradiger Demenz immerhin noch 2 ½ x niedriger als in der Kontrollgruppe. Risikofaktoren für die Heimeinweisung waren neben einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium u.a. ein hohes Lebensalter des Patienten, ein niedriges Einkommen sowie eine Depression beim Angehörigen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es war erklärtermaßen nicht das Ziel der Berater, eine Pflegeheimeinweisung unbedingt zu verhindern. Im Gegenteil drängten die Berater in einigen Fällen im Interesse des Angehörigen oder auch des Patienten hierzu. Dass Patienten mit einer schweren Demenz in der Treatmentgruppe tendenziell eher in ein Heim übersiedelten, spricht ebenfalls gegen eine Beeinflussung zur häuslichen Pflege.

Depressive Angehörige tendierten eher zur Institutionalisierung der Kranken; Ursache der Depression waren zumeist psychische Begleitsymptome der Demenz wie Aggressivität, Wahnvorstellungen usw. Der Effekt des Behandlungsprogramms könnte also möglicherweise noch verbessert werden, wenn man den Umgang mit Problemverhalten noch stärker thematisiert.

Mary S. Mittelman, Steven H. Ferris, Emma Shulman, Gertrude Steinberg & Bruce Levin (1996). A family intervention to delay nursing home placement of patients with alzheimer´s disease: A randomized controlled trial. Journal of the american medical association, 276, 1725-1731.

© Dr. Gernot Lämmler, Forschungsgruppe Geriatrie am Ev. Geriatriezentrum Berlin, Charité, Universitätsmedizin Berlin

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Betreuung dieser Website:

Dr. phil. Dipl.-Psych. Gernot Lämmler
 - Leitender Neuropsychologe -
Ev. Geriatriezentrum Berlin gGmbH