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In: Weis S., Weber G. (Hg): Handbuch Morbus Alzheimer. Neurobiologie, Diagnose und Therapie., Belz Psychologie Vrlgs. Union, 1997, S. 1209-1252

Betreuungsprinzipien, psychotherapeutische Interventionen und Bewahren des Selbstwissens bei Alzheimer Kranken

Barbara ROMERO



Doch was schon war, ist nicht vorbei. Es bleibt, weil es gewesen, wirkt, obwohl es war, und wird durch Neues nach ihm mehr.

Bert Hellinger

James Thomas, ein Alzheimer-Kranker, schrieb in sein Tagebuch:

"Jeden Moment fühle ich, daß ein anderer Teil von mir verloren geht. Mein Leben ... mein Selbst ... fallen auseinander ... . Die meisten Menschen erwarten eines Tages den Tod, aber wer hätte je erwartet, das Selbst zuvor zu verlieren" (Cohen & Eisdorfer, 1986).

Der Kranke nahm - wie viele andere Betroffene - den schreitenden Verlust seiner kognitiven Fähigkeiten wahr und empfand ihn als Selbst-bedrohlich. "Ich bin jetzt nur noch in der Lage, halbe Gedanken zu fassen. Eines Tages könnte es so weit sein, daß ich gar nicht mehr denke, gar nicht mehr weiß, wer ich bin".

Der "Abschied vom Ich" (Fuhrmann et al., 1995) dauert mehrere Jahre. Da leider zur Zeit noch keine medikamentöse Behandlung verfügbar ist, die das Fortschreiten der Beeinträchtigungen zum Stillstand bringen könnte, kommt psychologisch fundierten Behandlungs- und Betreuungskonzepten eine zentrale Rolle zu.

 

1. Selbst-Erhaltung als Ziel der psychologisch fundierten Hilfsmaßnahmen

Ein grundlegendes und gleichzeitig ein bei der Konzipierung der therapeutischen Ansätze zu wenig diskutiertes Problem stellt die übergeordnete Zielsetzung der Hilfsmaßnahmen dar. Bei den multiplen, progredienten Beeinträchtigungen, den beschränkten Hilferessourcen und einer reduzierten Belastbarkeit der Kranken stellt die Wahl der Prioriätsziele eine besondere Herausforderung dar (Lauter et al., 1989; Lauter, 1991; Romero, 1996).

Die allgemeine Zielsetzung der Hilfsmaßnahmen kann formuliert werden als das Vermeiden - so weit möglich und so lange wie möglich - psychischer Störungen. Im komplexen Begriff "psychische Störungen" hat Becker (1995) drei Aspekte unterschieden:

- ineffizientes Verhalten,
- störendes Verhalten,
- psychisches Leiden (der Person und/oder ihrer Umwelt).
Von einer Therapie bzw. einer Betreuungsform wäre entsprechend zu erwarten, daß sie helfen: - effizientes Verhalten zu erhalten,
- störendes Verhalten zu vermeiden,
- psychisches Leiden zu beschränken.
Die praktizierten Hilfsmaßnahmen setzen entweder beim Erhalten der Verhaltenseffizienz durch ein Training der beeinträchtigten kognitiven Fähigkeiten (wie z.B. Pattschull-Furlan et al., 1989; Quayhagen et al., 1995) oder beim Einschränken des Leidens durch psychotherapeutische Unterstützung für Kranke und Angehörige zur besseren Krankheitsbewältigung (u.a. Feil, 1990; Romero, 1991; Zarit et al., 1993) an. Die Optimalisierung der Verhaltenseffizienz ist weiterhin im Rahmen der Milieutherapie durch ein entsprechendes Anpassen der Umgebung angestrebt (Wächtler et al., 1991; Heymanns, 1993). Auf das störende Verhalten wurde direkt eingegangen mit Methoden der Validation (Feil, 1990) und Verhaltenstherapie (vgl. auch Lauter, 1991; 1992; Lauter et al., 1989; 1991; Bruder, 1994).

Wegen der multiplen, progredienten Störungen ist bei der Alzheimer-Krankheit darauf zu achten, welche therapeutischen Ansätze sich auf möglichst viele für die Betroffenen relevanten und bedeutenden Bereiche günstig auswirken. Es sollte auch reflektiert werden, wie sich eine Intervention auf das gesamte psychische System und auf das soziale Bezugssystem auswirkt, wobei auch eine eventuell negative Wirkung zu bedenken ist. Vorzuziehen wären die Methoden, deren systemische Wirkung möglichst viele günstige und möglichst wenig ungünstige Folgen für Verhaltenseffizienz, psychisches Wohlbefinden und Verhalten erwarten ließen.

Wir haben als das übergeordnete Ziel der psychologisch fundierten Hilfsmaßnahmen das Erhalten des personalen Selbst eingesetzt (Romero & Eder, 1992). Zur Begründung ließe sich das Folgende anführen:

1. Das Selbst stellt ein zentrales kognitives Schema dar, das Informationen über die eigene Person und die eigene Umgebung aktiv aufnimmt, verarbeitet und erhält. Dies ermöglicht es, Entwicklungen von Situationen vorauszusagen, Entscheidungen zu fällen, Einstellungen und Haltungen anzunehmen und sich zu orientieren (Epstein, 1973; Greenwald & Pratkanis, 1984; Becker, 1992). Es kann erwartet werden, daß ein längeres Erhalten von Selbst die Effizienz des Verhaltens im Hinblick auf diese wichtigen Aspekte ebenfalls länger möglich macht.

2. Erfahrungen, die das Selbst verletzen - z.B. durch entscheidende Veränderungen in selbstbezogenen Bereichen - rufen besonders starke negative Gefühle hervor, wie Angst, Scham, Aggression oder Depression. Ronch (1993) spricht in diesem Zusammenhang von einem unvermeidlichen Gefühl der Ausweglosigkeit und Verzweiflung. Es kann erwartet werden, daß ein längeres Erhalten von Selbst diesem psychischen Leiden entgegenwirkt.

3. Die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit ist oft von Verhaltensänderungen wie "Weglaufen", Aggressionsausbrüchen, Unruhe oder sozialem Rückzug begleitet. Es kann erwartet werden, daß eine längere SelbstErhaltung der Entwicklung des störenden Verhaltens entgegenwirkt. Weiterhin lassen sich dem Konzept Hinweise zum Umgang mit dem störenden Verhalten ableiten.

4. Das Selbst ist ein dynamisches System, das sich im Laufe des Lebens formt. Beim Planen der Hilfsmaßnahmen zur Selbsterhaltung sind personale Lebensziele und Lebenswerte des Kranken, auch im Hinblick auf seinen Lebensabschnitt und auf das Schicksal, erkrankt zu sein, zu berücksichtigen. Dadurch bekommen therapeutische Interventionen mehr personale Relevanz.

Im weiteren werden Maßnahmen zur Erhaltung des personellen Selbst näher erläutert. Im ersten Schritt soll dabei herausgestellt werden, auf welche Weise sich das Selbst bei der Alzheimer-Krankheit verändert.

 

2. Veränderungen des Selbst bei der Alzheimer-Krankheit

Ronch (1993) vermerkt zutreffend, daß auch bei ähnlichen Mustern kognitiver Beeinträchtigungen der Verlust von Selbst eines Patienten einen individuellen Charakter hat. So wie das personale Selbst sich individuell entwickelt, so betreffen die Verluste die Ergebnisse der lebenslangen psychologischen, sozialen und biologischen Erfahrungen. Die persönlichen Merkmale, Beziehungen, Kenntnisse und Fähigkeiten verändern sich mit dem Fortschreiten der Demenz.

Wie wir schon früher eingeführt haben (Romero & Eder, 1992), kann die Alzheimer-Krankheit Störungen des Selbst-Systems auf folgenden Wegen bewirken:

  1. Die Krankheit führt zu entscheidenden Veränderungen im Leben und im Selbstverständnis der Betroffenen und verletzt damit die personale Kontinuität.

  2. Als sekundäre Folge kann es zu so erlebnisarmen Lebensbedingungen kommen, daß das Identitätsgefühl bedroht wird.

  3. Kognitive und außerkognitive Einbußen beeinträchtigen die Fähigkeit mit den belastenden Ereignissen, insbesondere mit den Folgen der Erkrankung, umzugehen. Beeinträchtigt werden Voraussetzungen für das Erhalten psychischer Gesundheit, die Antonovsky (1979, 1987) als Kohärenzsinn erfaßt.

  4. Kognitive, vor allem die amnestischen, Störungen beeinträchtigen neben dem Welt- auch das Selbstwissen.

  5. Durch die Erkrankung verändern sich auch außerkognitive Aspekte des Selbst, wie das emotionale Erleben, soziale Gefühle und Haltungen.

  2.1 Das Selbst und Kontinuitätsbedürfnis

Das Selbst entwickelt sich zwar im Laufe des Lebens einer Person, gleichzeitig sind die Strukturen des Selbstwissens den Veränderungen gegenüber, die die personale Kontinuität in Frage stellen könnten widerstandsfähig (Epstein, 1973; Harter, 1985). Je zentraler und subjektiv bedeutsamer ein Bereich des Selbst ist, desto größere zeitliche Stabilität weist er auf (Neubauer, 1976; Stefan, 1977; Epstein, 1979; zitiert nach Stahlberg et al., 1992).

Erfahrungen, die die personale Kontinuität zu verletzen drohen, sind von negativen Gefühlen (Trauer, Depression) begleitet. Diese Emotionen regulieren wiederum Strategien zum Erhalt der personalen Kontinuität und Identität. Diese Zusammenhänge demonstriert z.B. Havens (1968) in ihrer Studie mit 88 älteren Menschen, die in Heime umgezogen waren. Je weniger Veränderungen diese Umzüge in das Leben der Betroffenen brachten, desto besser konnten sie die neue Situation akzeptieren. Bei notwendigen Veränderungen erwies sich die Bewahrung der Kontinuität durch verschiedene Ersatzmöglichkeiten als hilfreich. So konnte z.B. die Möglichkeit, sich an Aktivitäten einer neuen Kirchengemeinde zu beteiligen, den Kontaktverlust zur gewohnten Kirche zum Teil ausgleichen und trug zur Lebenszufriedenheit der neuen Heimbewohner bei.
(Siehe hierzu auch das externer Link Interview mit dem Bramstedter Pastor und Gerontologen Björn Matthes vom 03.08.06)

Die Alzheimer-Krankheit bewirkt als sekundäre Folge vermehrte Veränderungen im Leben der Betroffenen. So müssen sie Erfahrungen mit eigenem Versagen, mit ungewohnten Hilfsmaßnahmen, mit fremder Betreuung, mit neuen Verhaltensregeln, neuer Aufgabenzuteilung u.a. machen. Diese Veränderungen führen oft zu einem leidensvollen Gefühl des Kontinuitätsverlustes.

2.2 Selbst und Kohärenzsinn

Für das Erhalten psychischer Gesundheit auch unter belastenden Bedingungen sind psychische Voraussetzungen von Bedeutung, die Antonovsky (1979, 1987) mit dem Begriff "Kohärenzsinn" konzeptualisiert hat. Ein ausgeprägter Kohärenzsinn geht mit guter psychischer Gesundheit einher (vgl. u.a. auch Becker, 1994; Becker et al., 1994; Strümpfer, 1995). Nach Antonovsky (1979, 1987) setzt sich der Kohärenzsinn aus drei Grundelementen zusammen:

1. dem Gefühl, Lebensverläufe verstehen, voraussagen, zuordnen und erklären zu können (comprehensibility),

2. der Zuversicht, mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Ressourcen Lebensanforderungen bewältigen zu können (manageability) und

3. in den Anforderungen der Lebensverläufe einen Sinn, der zum Engagement motivieren kann, erkennen zu können (meaningfulness).

Den Kohärenzsinn kann man als zentralen und überdauernden Aspekt des personalen Selbst, der individuell unterschiedlich stark ausgeprägt ist, betrachten. Antonovsky (1979, 1987) führte den Begriff ein, um zu erklären, welche Eigenschaften bestimmte Menschen trotz erheblicher Belastungen (Antonovsky untersuchte u.a. Überlebende von Konzentrationslagern) befähigen, psychisch gesund zu bleiben. Im Fall von Alzheimer-Kranken ist das "salutogene" Kohärenzgefühl durch kognitive, emotionale und motivationelle Veränderungen primärer und sekundärer Art sowohl beeinträchtigt, als auch besonders gefordert.

2.3 Das Selbst und Erlebnisarmut

So wie Veränderungen der Lebensumstände das Gefühl der personalen Kontinuität und Identität bedrohen können, so können auch Eintönigkeit und Mangel an bedeutenden Erlebnissen zum langsamen Verlust des Identitätsgefühls führen. "Nun scheint es in der menschlichen Natur zu liegen" - schreibt Pöppel - dieses Bezugssystem eigener Identität immer wieder neu bestätigen (und vielleicht auch erweitern) zu müssen" (Pöppel, 1990).

Eine sekundäre Folge der Alzheimer-Krankheit kann sein, daß die Betroffenen keine Möglichkeit haben, am Leben auf eine angemessene Weise teilzunehmen, so daß sie keine bedeutsamen und vielleicht auch nur wenige "kleine" Erlebnisse haben.

2.4 Das Selbst und Veränderungen in Gefühlsleben und Motivation

Veränderungen in außerkognitiven Bereichen, wie Persönlichkeits-, Affekt- und Antriebsveränderungen, gehören zu den ersten manifesten Symptomen der Erkrankung. Der weitere Verlauf dieser Veränderungen ist von der Entwicklung kognitiver Abbauerscheinungen relativ unabhängig (Petry et al., 1988, 1989). In den wenigen systematischen Untersuchungen zu Persönlichkeits- und Gefühlsveränderungen bei Alzheimer-Kranken wird auf eine starke Nivellierung emotionaler Reaktionen (Bruder, 1989) und auf emotionale Labilität und Reizbarkeit (Seltzer & Sherwin, 1983; Cummings & Benson, 1986) hingewiesen. Die Angaben zur Häufigkeit von Depressivität und Ängstlichkeit sind zum Teil widersprüchlich (Seltzer & Sherwin, 1983; Cummings & Benson, 1986). Nach Petry und Mitautoren (1989) nimmt gerade die Ängstlichkeit mit dem Fortschreiten der Erkrankung zu. Die in den zitierten Studien festgestellten Veränderungen lassen sich als direkte Folge der Hirnschädigung erklären, aber auch als sekundäre Reaktion auf die Belastung durch die Erkrankung. Darüber hinaus resultiert ein Teil der als Persönlichkeitsveränderung erfaßten Verhaltensweisen, wie z.B. Reduzierung der sozialen Anteilnahme, wohl auch aus dem Verlust der kognitiven Kompetenz.

In einer eigenen Untersuchung wurde der Münchener Persönlichkeitstest (Zerssen et al., 1988) 33 Angehörigen von Alzheimer-Kranken zur fremdanamnestischen Beurteilung der prä- und postmorbiden Persönlichkeit vorgelegt (Michalski, 1991). Postmorbide wurde eine Abnahme der "Extraversion"- und der "Rigidität"-Skalenwerte erfaßt. Tendenziell, statistisch knapp sigifikant, nahmen die Werte auf der "Neurotizismus"-Skala zu. Diese Veränderungen zeigten sich schon in einem frühen Krankheitsstadium, bei Personen mit leichter Demenz (GDS 4; Reisberg et al., 1982). In den Gruppen mit mittelgradiger (GDS 5) und schwerer (GDS 6) Demenz wurden keine weiteren Persönlichkeitsveränderungen mit dem MPT erfaßt. Der soziale Rückzug, der mit der "Extraversions"-Skala erfaßt wurde, läßt sich - unter Berücksichtigung der ebenfalls erhobenen Interviewdaten - als Reaktion auf die Wahrnehmung eigener kognitiver Defizite interpretieren. Mit der "Rigiditäts"-Skala wurde eine Abnahme der Fähigkeit, Aufgaben und Alltagsverrichtungen gewissenhaft zu bearbeiten, erfaßt. Der Ehrgeiz und Perfektionismusanspruch wurde durch die krankheitsbedingte Problemlösungsschwierigkeiten frustriert, was oft zur Entwicklung einer resignativen Haltung ("das schaff' ich doch nicht") führte. So lassen sich auch die mit der "Rigiditäts"-Skala erfaßten Veränderungen weitgehend als sekundäre Folgen kognitiver Beeinträchtigungen interpretieren. Mit der "Neurotizismus"-Skala wurde eine tendentielle Zunahme depressiver Stimmung bzw. affektiver Labilität erfaßt.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, daß schon in frühen Demenzstadien bei Alzheimer-Krankheit Veränderungen auftreten, die sich bestimmten Persönlichkeitsdimensionen zuordnen lassen und psychometrisch erfaßt werden können. Bei der Interpretation der Veränderungen ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Veränderungen zu einem bedeutsamen Teil eine Reaktion auf kognitive Einbußen bzw. eine direkte Folge dessen sind.

2.5 Selbstwissenverlust und amnestische Störungen

So wie die Erinnerung an selbstbezogenes Wissen ein wichtiger Bestandteil der Identität und der personalen Kontinuität ist, so muß eine Störung der Fähigkeit, sich zu erinnern, zur Beeinträchtigung von kognitiven und emotionalen Selbststrukturen und -prozessen führen (Zum Selbst und amnestischen Syndrom vgl. Claparede, 1911, 1951; Greenwald & Pratkanis, 1984).

Bei Alzheimer-Kranken unterliegt das Selbstwissen, wie auch andere Wissensbestände, einem fortschreitenden Verlust im Verlaufe der Erkrankung. Die Lernstörungen erschweren gleichzeitig das Behalten und die Integration neuer selbstbezogener Informationen (Zur Rolle des Wissens für das Gedächtnis siehe z.B. Knopf, 1988). Es kann erwartet werden, daß die persönlichen Erinnerungen, die im episodischen Gedächtnis (Tulving, 1983) gespeichert wurden, eher von der Störung betroffen werden als bestimmte Fakten, die durch ständige Wiederholung im "persönlichen semantischen Gedächtnis" ("personal semantic memory" nach Linton, 1968) länger aufbewahrt werden können. Weitere Erwartungen zu der Reihenfolge des Wissensverlustes ergeben sich aus dem sogenannten Ribot'schen Gesetz: "last in, first out" (Ribot, 1882). Diese auch aus dem klinischen Umgang mit Alzheimer-Kranken bekannte Gesetzmäßigkeit läßt in dieser Gruppe Wissensverluste über die eigene Jugend nach den Wissensverlusten über das Erwachsenenalter und vor den Verlusten des Wissens über die Kindheit erwarten. Allerdings konnte diese Regelmäßigkeit nicht in allen Studien bestätigt werden: Dall'Ora et al. (1989) fanden bei Alzheimer-Kranken und bei Amnestikern keinen graduellen Anstieg des Altgedächtniswissens zur Kindheit hin. Kopelman (1989) fand dagegen, daß autobiographische Fakten und Episoden dann von den Alzheimer-Kranken besser erinnert werden können, wenn sie länger zurückliegende Lebensabschnitte betreffen. Auch Sagar und Mitautoren (1988) schließen aus ihrer Untersuchung, daß Alzheimer-Kranke stärker im Erinnern relativ neuer als weiter zurückliegender persönlicher Ereignisse gestört sind. Die relativ kleine Datenbasis läßt allerdings in dieser Studie keine sichere Schlußfolgerung zu.

Insgesamt weckt die Literaturstudie den Eindruck, daß zur Untersuchung von Selbstwissen und autobiographischem Wissen im Verlauf der Alzheimer-Krankheit erst wenige Erkenntnisse vorliegen. Eine Zunahme des Interesses, das wegen der therapeutischen Relevanz zu wünschen ist, ist wohl auch von der Methodenentwicklung abhängig (Kopelman, 1989; Kopelman et al., 1989; Übersicht: Markowitsch, 1992).

 

3. Maßnahmen zur verlängerten Erhaltung des Selbst

Hilfsmaßnahmen, die sich auf die Erhaltung des personalen Selbst der Kranken unterstützend auswirken können, lassen sich drei Kategorien zuordnen:

1. Vorgehensweisen bei der Betreuung der Kranken,
2. Strukturierte, neuropsychologisch fundierte Übungsprogramme zum längeren Erhalten des Selbst-nahen Wissens,
3. Psychotherapeutische Interventionen.
Diese Kategorisierung der Hilfsmaßnahmen läßt sich allerdings nicht ohne Überschneidungen durchführen . So kann ein Erhalten von Selbstwissen durch gezieltes Üben, aber auch durch Betreuungsmaßnahmen wie Aktivitäten, Wohnraumgestaltung und ähnliches angestrebt werden. Im Rahmen der Übungsprogramme zur Bewahrung von Selbstwissen können wiederum auch psychotherapeutische Ziele, wie die Steigerung des Selbstwertgefühls, erreicht werden. Auch die Grenze zwischen den im Hinblick auf Selbsterhaltung günstigen Kommunikationsformen (die den Betreuungsmaßnahmen zuzuordnen sind) und den psychotherapeutischen Interventionen zur Selbsterhaltung ist nicht scharf zu ziehen. In der nachfolgenden Darstellung der Hilfsmaßnahmen wurde auf eine explizite Aufteilung in diese drei Kategorien verzichtet. Die Art der Maßnahmen läßt jeweils erkennen, ob es sich vorwiegend um eine Betreuungsform, psychotherapeutische Hilfestellung oder kognitives Übungsprogramm handelt.

Psychotherapeutische Interventionen zur Selbst-Erhaltung, Programme zum Bewahren des Selbstwissens und Betreuungsprinzipien, die auf das Erhalten von personalem Selbst der Kranken abzielen, haben wir als Selbst-ErhaltungsTherapie konzipiert (Romero & Eder, 1992). Die nachfolgende Schilderung stellt eine Erweiterung des Konzepts dar.

3.1 Bewahren der Kontinuität im personalen Erleben und personalen Selbstverständnis

Alzheimer-Personen streben trotz einschneidenden, unvermeidbaren inneren und äußeren Veränderungen nach Erhaltung des kontinuierlichen Selbst. Zur Kunst des Umgangs mit den Betroffenen gehört, sie dabei unterstützen zu können. Das Bewahren der Kontinuität kann auf mehreren Wegen angegangen werden. Im folgenden wird auf einige der Möglichkeiten hingewiesen.

3.1.1 Umfeld

Äußere Veränderungen sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Die identitätsstützenden Erinnerungen haben einen bestimmten Bezug zum Raum: "Was das Haus für die Familie ist, sind Dorf und Tal für die bäuerliche, Städte für bürgerliche, die Landschaft für landsmannschaftliche Gemeinschaften: räumliche Erinnerungsrahmen, die die Erinnerung auch noch und gerade in absentia als "Heimat" festhält (Assmann, 1992). Zum Raum, wie Assmann weiter ausführt, gehört auch "die das Ich umgebende, ihm zugehörige Dingwelt, sein "entourage matériel", das ihm als Stütze und Träger seines Selbst angehört". Vertraute Geräte, Kulturgegenstände, Möbel, Räume, ihre spezifische Anordnung, ein Erhalten des gewohnten räumlichen Rahmens, der Wohnumgebung und der "Dingwelt" wirken sich stabilisierend auf das Selbst aus. Dies ist besonders dann wichtig, wenn Personen viele Veränderungen der Lebensabläufe erfahren müssen, ohne sie in das Selbst integrieren zu können.

Bei Kranken mit Demenz erscheinen Veränderungen der Wohnungsumgebung und/oder Inneneinrichtung oft aus hygienischen- bzw. Sicherheitsgründen unvermeidlich. Dabei ist jedoch mitzubedenken, daß Kranke ummöblierte Räume als befremdend bzw. selbstentfremdend erleben können. Müller (1996) gab beeindruckende Beispiele dafür, wie Betreuer dementer AIDS-Kranker bemüht sind, nach Möglichkeit deren gewohnte Umgebung zu bewahren. Den Lieblingsteppich trotz der Inkontinenz des Kranken in seinem Zimmer zu belassen ist nicht einfach, kann aber zu einer wichtigen Stütze der Selbst-Erhaltung werden. Eine Umstellung der Möbel, weil der Kranke es "ja nicht mitkriegt", erwies sich dagegen für einen schwer Dementen als sehr störend. Da der Zustand des AIDS-Kranken fluktuierte, konnte er nach einer Besserung seines Befindens davon rückblickend berichten. Die Betreuer erfuhren dabei, daß der Kranke, der damals keinen Kontakt aufnehmen konnte, trotzdem seine Umgebung wahrgenommen und als unterstützend bzw. störend empfunden hatte.

Weiterhin sind Demenzkranke auf konstante Bezugspersonen besonders angewiesen (vergleiche z.B. Fuhrmann et al., 1995). Es ist wünschenswert, daß in der ambulanten und stationären Pflege wie auch in den Heimen, Kranke mit Demenz eine für sie zuständige Bezugsperson haben können, und daß insgesamt der Personalwechsel, Schichtarbeit und andere Fluktuationen die Kranken möglichst wenig belasten müssen.

3.1.2 Soziales und kulturelles Leben

Soziale Umgangsformen, Kultur- und Beschäftigungsangebote sollten den Gewohnheiten und Präferenzen der Kranken angepaßt werden.

Die Krankheit bringt unausweichlich Veränderungen im sozialen Umgang und in der Aufgabenstruktur der Kranken mit sich. Die Betreuer können helfen, trotz dieser Veränderungen ein Kontinuitätsgefühl zu bewahren. Im folgenden gehen wir auf einige Aspekte dieser komplexen Problematik ein.

Die Art, wie Betreuer dem Kranken begegnen, ist für die Selbsterhaltung von großer Bedeutung. Nach interaktionistischen Selbst-Theorien wird sogar das Selbst als Element sozialer Interaktionen und nicht als ein intrapsychischer Vorgang aufgefaßt (z.B. Krappmann, 1979; Demuth, 1988; vergl. auch den von Assmann (1992) analysierten Begriff von Wir-Identität). Die Dichterin Hilde Domin (1987) bringt es so zum Ausdruck:

"Dein Ort ist
wo Augen dich ansehen.
Wo sich die Augen treffen
entstehst du....

Du fielest
aber du fällst nicht.
Augen fangen dich auf.

Es gibt dich
weil Augen dich wollen,
dich ansehen und sagen
daß es dich gibt."

Welche Art des Umgangs mit dem Alzheimer-Kranken sich unterstützend im Hinblick auf psychische Gesundheit bzw. auf Selbst-Erhaltung auswirkt, wurde bis jetzt nicht systematisch untersucht. Die Herausforderung für Betreuer besteht darin, daß mehrere Aspekte des personalen Selbst gleichzeitig zu berücksichtigen sind. Dazu gehört der prämorbide Status des Kranken, sein aktuelles Selbstverständnis, seine krankheitsbedingte Veränderung, Auffälligkeiten und Hilfsbedürftigkeit. Ein richtiges Maß für die Berücksichtigung aller relevanten Selbstaspekte der Kranken gehört zur Kunst der Betreuung. Ein weiteres Problem stellt die Auswirkung negativer Gefühle der Betreuer auf Kranke dar. Betreuer können den alten dementen Menschen als physisch unattraktiv, ungepflegt, abstoßend, unverständlich, belastend, manipulativ oder ähnlich negativ erleben. Diese Wahrnehmung wirkt sich wiederum destabilisierend auf das Selbst von Kranken aus. Hilfreich kann eine Beratung für Betreuer und für Kranke sein.

Ein weiteres kritisches Problem stellen Hilfsangebote dar. Es fällt schwer, ungewöhnliche Hilfen akzeptieren zu müssen, insbesondere, wenn die Begründung dafür nicht nachvollziehbar erscheint. Angehörigen-Gruppen können Hinweise dazu vermitteln, wie durch ein Anknüpfen an frühere Vorlieben und Aufgaben neue Hilfsmaßnahmen vom Selbst der Kranken integriert werden können (Romero, 1991). Ronch (1993, S. 92) gibt ein schönes Beispiel, wie das Verhalten beeinflußt werden kann, ohne einer Verletzung sozialen Umgangsformen, ohne Kritik und ohne Einschränkung der Autonomie. Eine Kranke wurde gebeten, daran zu denken, immer beim Ausgehen ihren Mantel anzuziehen "weil ihr Mann sich große Sorgen macht, sie könnte sich erkälten". Die Kranke fühlte sich mit ihrem vorausgegangen Fehlverhalten nicht konfrontiert und war bereit, ihrem Mann zuliebe einen Mantel anzuziehen. Beim Einhalten der angemessenen Umgangsformen handelt es sich oft nur um eine gute, unterstützende, nicht verletzende Ausdruckweise. So wirkt sich ein Hinweis "es gibt unten ein Essen, wollen wir nicht gemeinsam dahin gehen" sicher besser als "Sie sollten jetzt zum Essen gehen!" aus. Weniger aufmerksam zeigte sich eine Pflegerin, die - um zu verhindern, daß eine Kranke mit fortgeschrittener Demenz sich noch eine Tasse Kaffee nimmt - schnell dazwischengriff und rief: "Aber Frau L., das ist ja ein schwarzer Kaffee!" Die ältere Dame reagierte befremdet: diese Umfangsformen war sie nicht gewohnt, und die Erklärung konnte sie auch nicht nachvollziehen - sie trank doch immer schwarzen Kaffee. Sie schaute sich in der Tagesstätte um, als ob sie sich fragen müßte: "wo bin ich hier hin geraten?" Die fürsorgliche Intervention der Pflegerin war begründet, ihre Form jedoch ungünstig. Der Konflikt wäre z.B. durch ein Angebot koffeinfreien Kaffees zu vermeiden gewesen.

In diesem Zusammenhang soll auch die Auswirkung kognitiver Übungsprogramme, die zum Teil von Angehörigen durchgeführt werden (Quayhagen et al., 1995) auf das Selbstverständnis der Kranken und auf die familiäre Beziehung mitbedacht werden. Die bis jetzt wenigen Erfahrungen hierzu ergaben widersprüchliche Ergebnisse (vgl. PattschullFurlan et al., 1989; Kunz, 1990; Romero & Eder, 1992a), so daß weitere systematische Analysen der Erfahrungen notwendig sind.

"Eine optimale medizinische Versorgung von Alzheimer-Patienten in fortgeschritteneren Stadien muß eine Balance finden zwischen den "Wohltaten der Pflege" und dem Leid, das durch Diagnose und Behandlungsmaßnahmen zugefügt wird" postuliert ein fundierter Ratgeber für Betreuer (Fuhrmann et al., 1995). Das Balance-Postulat soll nicht nur für die körperlichen, sondern auch für die psychischen, Selbst-bezogenen Strukturen und Empfindungen gelten. "Wohltaten" der kognitiven Übungsprogramme, der Beschäftigungsprogramme und anderer psychosozialer Hilfsmaßnahmen sind jeweils danach zu prüfen, ob der eventuelle Nutzen die zu erwartenden Störungen in anderen Selbst-nahen Bereichen gut ausgleicht.

Eines der größeren Probleme im Umgang mit Alzheimer-Kranken ist die Frage nach deren Beschäftigung. Auf die Frage der Über- bzw. Unterforderung gehen wir im weiteren noch ein. An dieser Stelle soll das Problem im Hinblick auf das Kontinuitätsbedürfnis kurz erläutert werden.

Es reicht nicht, einen Kranken zu "beschäftigen". Wie Ronch (1993) ausführt, sollten die alltäglichen Tätigkeiten darauf abgestimmt sein, wer der Kranke als Person ist. Damit kann der Betroffene eine Orientierungshilfe und Unterstützung zum Selbstverständnis erhalten.So werden einige (nicht alle!) Hausfrauen sich "selbst nahe" beim Kuchenbaken oder Singen fühlen; Batikmalen bzw. Trommeln wird die meisten wohl befremden. Wir haben allerdings auch beobachtet, wie Malen unter Anleitung einer Kunsttherapeutin sich auf eine Alzheimer-Patientin sehr unterstützend auswirkte, obwohl sie zuvor nie gemalt hatte. Die kreative Tätigkeit bereitete der Patientin Freude und gab Selbstbestätigung, wirkte sich also unterstützend aus.

Präferenzen und Fähigkeiten der Kranken verändern sich im Verlauf der Krankheit. Ein Kontinuitätsgefühl kann durch Brücken zu früheren Rollen, früheren Tätigkeiten und Vorlieben angestrebt werden, wobei "das gesunde Ufer" sich mit der Entwicklung der Krankheit verschiebt. Das Wissen über Interessen und Tätigkeiten der Kranken in verschiedenen Phasen ihres Lebens kann die Anpassung der Umwelt an diese Veränderungen erleichtern. In Institutionen wie Heimen und Tagesstätten ist dafür zu sorgen, daß Betreuer über angemessene Kenntnisse zur Biographie der Kranken verfügen. Trotz wachsendem Verständnis und Bemühungen bleibt an vielen Stellen auffallend wenig über eine demente Person bekannt. Ich habe mit Erschrecken auf die Erfahrung reagiert, daß das viele Jahrzehnte gewachsene Selbst einer Person auf einen Satz "mag keinen Joghurt" o. ä. in der Heimdokumentation reduziert wurde. Berührt im positiven Sinne fühlte ich mich dagegen, als ich vom Engagement der Pfleger in einem englischen Pflegeheim erfuhr. Einen relativ großen Teil der zu Betreuenden in diesem Heim stellten Bergarbeiter polnischer Abstammung dar, die sich noch polnisch, aber nicht oder nicht mehr englisch verständigen konnten. Um den hilfsbedürftigen Bewohnern entgegen zu kommen, lernten die Pfleger etwas polnisch! Da die Engländer bekannterweise nicht oft einen Grund haben eine Fremdsprache zu lernen, bekommt diese Entwicklung für mich beinahe eine symbolische Dimension.

3.2 Bewahren des Identitätsgefühls

Zur Grenzziehung und Aufrechterhaltung eigener Identität, wie Pöppel (1990) ausführt, können bedeutende, aber auch "kleine" Erlebnisse helfen, wie zum Beispiel körperliche Erschöpfung nach einer Bergtour, die mit dem Gefühl, "sich selbst ganz nahe zu sein" verbunden sein kann, ästhetische Erlebnisse, ein Geschenk, eine Einladung oder ein Besuch beim Frisör. Wichtig dabei ist, daß Betreuer die jeweils aktuellen Möglichkeiten und Grenzen der Kranken berücksichtigen.

3.3 Bewahren des Kohärenzsinnes

Der Kohärenzsinn - individuell unterschiedlich ausgeprägt - stellt eine wichtige Voraussetzung für psychische Gesundheit dar.

Im folgenden wird auf einige Möglichkeiten hingewiesen, den Kohärenzsinn, in seinen drei Komponenten, länger zu bewahren.

3.3.1 Das Verstehen

Um den Kranken das Verstehen, das Voraussagen und das Nachvollziehen der Alltagsverläufe zu erleichtern, haben sich Maßnahmen wie die Strukturierung der Umwelt und des Tagesablaufes als hilfreich erwiesen.

Für die Hilfe zur Selbst-Erhaltung sind darüberhinaus die folgenden zentralen Fragen zu berücksichtigen: (1) wie die Betroffenen ihre Krankheit verstehen, wie sie beim Hinnehmen dieser extremen Belastung unterstützt werden können, und (2) welcher Umgang mit den Fehlwahrnehmungen und Fehlurteilen der Kranken sich unterstützend auswirkt.

Es ist bekannt, daß ernsthafte Erkrankungen oft nicht, oder nur eingeschränkt von den Betroffenen wahrgenommen werden. Dieses Phänomen kann sowohl durch psychodynamische Abwehrmechanismen sowie auch als direkte Folge bestimmter Hirnläsionen entstehen (kritische Literaturübersicht vgl. Säring et al., 1988; McGlynn & Schacter, 1989). Die Frage, inwieweit Alzheimer-Kranken ihre Beeinträchtigungen bewußt sind, wurde in der Literatur kontrovers diskutiert (vgl. u. a. Reisberg, 1985; Huber, 1987).

In einer eigenen Untersuchung (Romero & Abraham-Rudolf, nicht veröffentlicht) wurde bei allen untersuchten Kranken mit leichtgradigem Demenzsyndrom (GDS 4) festgestellt, daß sie ihre kognitiven Beeinträchtigungen erkannten und sie in den meisten Fällen (13 von 18 interviewten Patienten) als nicht altersgemäß, beunruhigend, störend oder peinlich erlebten. Im weiteren Verlauf der Krankheit, den wir bei der Hälfte der Patienten beobachten konnten, entwickelte sich eine Tendenz zur Einschränkung der Krankheitseinsicht und zum Bagatellisieren kognitiver Störungen.

Diese Entwicklung kann durch die folgenden Gesprächsprotokolle zwischen dem Untersucher (U) und der Patientin (P) illustriert werden. Die zitierte Patientin war zum 1. Untersuchungtstermin 76 Jahre alt und leichtgradig dement (GDS 4); die ersten Krankheitssymptome wurden vor 4 Jahren beobachtet.

1. Untersuchung:

U: Welche Beschwerden führen Sie zu uns?

P: Das Gedächtnis ist einfach im Eimer. Ich leg' etwas dahin ... und fünf Minuten später seh ich's nicht mehr. Ich find's nicht mehr. Ich such' die halbe Wohnung ab. Das ist schrecklich geworden ... Wenn man so unsicher wird davon, daß man sich sagt, halt lieber den Mund, du blamierst dich bloß. Da sagst doch bloß einen Quatsch, weil du schon wieder nicht mehr weißt, was du meinst. Das ist schlimm. Man wird da - wenn man nicht mehr aufpaßt - vereinsamt, weil die anderen sagen, mit der kannst du ja nicht reden, die redet ja lauter Quatsch. So ungefähr, nicht. So ist es schon.

2. Untersuchung, 15 monatiges Intervall: U: Wie geht es Ihnen?

P: Also das muß ich sagen, ich fühle mich ganz gesund. ... Vergeßlich bin ich sehr geworden, das war ich früher nicht. ...

U: Wie geht es mit Ihrem Gedächtnis? Sind die Schwierigkeiten größer geworden?

P: Das ist genauso wie immer.

U: Belastet es Sie?

P: Das belastet mich zum Teil, ja zweifellos.

3. Untersuchung, 5 monatiges Intervall: U: Wie ist es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen?

P: Absolut gleichmäßig, also ich fühle mich gesund. ...

U: Wie steht es mit Ihrem Gedächtnis?

P: Das ist keineswegs erfreulich. Da bin ich sehr zerstreut. Das war ich aber schon als Mädchen in der Schule. Da hat sich nichts geändert. ...

U: Belastet es Sie, daß Sie sich alles nicht so gut merken können?

P: Nein, das macht mir nichts aus. Ich kenne eine ganze Menge Frauen und Männer, denen es genauso geht wie mir.

Aus dieser Untersuchung und aus unseren klinischen Erfahrungen geht hervor, daß bei den meisten Alzheimer-Kranken in den ersten - oft mehreren - Jahren weitgehend Einsicht in die eigenen Defizite besteht. Ein Mitteilen der Diagnose kann helfen, eigene Schwierigkeiten zu verstehen, wie auch vor Schuldgefühlen und Überforderung zu schützen. Beim Mitteilen der Diagnose ist selbstverständlich darauf zu achten, wieviel Auskunft der Betroffene wünscht, integrieren und verkraften kann, und wieviel Zeit er dafür braucht. Weiterhin soll der Sicherheits- bzw. Unsicherheitsgrad der klinischen Diagnose erläutert werden. Auch sollte die Möglichkeit einer Beratung oder psychotherapeutischen Hilfe zum Umgang mit der so ungünstigen Diagnose und deren Folgen verfügbar sein. Das Selbst-Erhaltungs-Konzept bietet einen Rahmen für derartige Hilfsmaßnahmen.

Unabhängig von der teil- und zeitweise erhaltenen Krankheitseinsicht verkennen und bagatellisieren Kranke auch ihre Defizite. Wie alle Betreuende wissen, bringen Betroffene differenzierte Erklärungen bzw. "Ausreden" für ihre Fehlhandlungen hervor. Diese in ihrer Vielfalt und Komplexität bewunderungswerten Verteidigungsmechanismen des Selbst haben eine wichtige Funktion und sollten vom Betreuer nicht demontiert werden.

Eine besondere Herausforderung für Betreuer stellt ein Verkennen bzw. ein Mißinterpretieren der Situationen, Orte oder Personen durch die Kranken dar. So warf z.B. eine Kranke während einer Autofahrt ihrer Tochter vor, sie hätte sich verfahren. Krankheitsbedingt erkannte sie den gut bekannten Weg mit neu gebauten Häusern nicht mehr. Die Mutter war ihrer Überzeugung nicht weniger sicher als die Tochter. Es kam zu einer Konfrontation, die zu einem lauten Streit eskalierte (Fuhrmann et al., 1995).

Korrigierende Argumente konnten der Mutter zur Orientierung nicht helfen. Vielleicht würde eine Bestätigung ihrer Wahrnehmung (etwa: "ja, du hast recht, hier sieht vieles anders aus") und ein Verständnis für ihre "Verwirrung" ("es ist tatsächlich schwierig, bei den vielen Neubauten den Weg wiederzuerkennen") zu einer konfliktfreien Lösung führen. Die Betreuer neigen oft in Konfliktsituationen dazu, den Kranken ihre eigene Sichtweise, ihre "richtige" Wahrnehmung oder Überzeugung zu vermitteln, ja aufzuzwingen. Auch im Rahmen des Reorientierungstrainings (Rasehorn & Rasehorn, 1990; Übersicht: Haag & Noll, 1990) wurden Versuche unternommen, ein verändertes Welt-, Personen-, oder Selbstverständnis der Kranken der "Realität" wieder anzupassen. Auf die Verletzungsmöglichkeiten der Kranken durch solche Maßnahmen haben wir bereits hingewiesen (Romero & Eder, 1992). Kann ein Kranker die korrigierenden Informationen nicht integrieren, so muß er sie abweisen und das System des Wissens, das er in der Lage ist zu schaffen, verteidigen.

Im folgenden führen wir einige Hinweise, die sich aus dem Selbst-Erhaltungskonzept ergeben, zum Umgang mit den Diskrepanzen in Überzeugungen der Kranken und der Betreuer auf:

1. Betreuer können korrigierende Informationen vermitteln. In bestimmtem Rahmen kann dieser Weg hilfreich und zumutbar sein. Voraussetzung dafür ist aber, daß:

- der Kranke über kognitive Fähigkeiten verfügt, die korrigierenden Informationen zu integrieren,

- die Art und das Ausmaß der Korrekturen eine zumutbare Belastung für das Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl der Kranken darstellen.

- die Korrektur Relevanz hat und einen für den Kranken bedeutenden Bereich betrifft.

Nach unserer Meinung (Romero & Eder, 1992) erfüllen z.B. die vom Reorientierungstraining vorgesehene Korrekturen zum Datum, Jahreszeit, Adresse u. a. diese Voraussetzungen nicht.

2. Kann man bestimmte Überzeugungen nicht korrigieren, so ist dem Kranken Verständnis für seine Überzeugungen zu vermitteln, diese als nachvollziehbar und nicht als völlig falsch und unannehmbar herauszustellen. 3. Weiterhin ist es hilfreich, die Kommunikation auf die Inhalte zu lenken, die sich eventuell hinter dem Konfliktthema verbergen und gleichzeitig bedeutend für das Selbst der Kranken sind. Spezielle Kommunikationstechniken hierzu beinhaltet die Validationsmethode (Feil, 1990). Psychodynamische Interpretationen der Konflikte und die so begründeten Interventionen, die das Validationskonzept miteinschließt, halten wir allerdings für Alzheimer-Kranke für ungeeignet (Romero & Eder, 1992).

4. Es ist hilfreich, wenn Betreuer Gefühle der Kranke wahrnehmen und bestätigen. Auch hierzu wurden im Rahmen des Validationskonzeptes geeignete Vorgehensweise entwickelt (Feil, 1990).

3.3.2 Die Zuversicht

Dem Kranken zu vermitteln, daß er trotz seiner Beeinträchtigungen mit den Anforderungen des Lebens zurechtkommen kann, kann vor allem von der betreuenden Bezugsperson abhängen. Wie bekannt, übernimmt in ca. 90% der Fälle ein Angehöriger, meist die Ehefrau oder die Tochter, die Betreuung.

Hat man eine liebende Bezugsperson an der Seite, so kann man sogar den Verlust des vertrauten, personalen Selbst ertragen.

James Thomas beendete sein Krankheitstagebuch (Cohen & Eisdorfer, 1986) mit einem Abschiedsbrief an sein Selbst:

"Ich hatte viel Glück. Meine Frau war meine Stütze. Ohne sie würde ich es nicht schaffen. Es war hart, dich zu verlieren, aber ich hoffe, ich verliere sie nicht, bevor das alles zu Ende ist".

Zuversicht und Sicherheitsgefühl können natürlich auch durch weitere Betreuer und professionelle Helfer vermittelt werden. Berücksichtigt man, daß auch primäre Helfer auf eine Unterstützung angewiesen sind, wird deutlich, daß das Sicherheits- und Vertrauensgefühl der Kranken von ihrem psychosozialen Netz abhängig ist.

Die Bedeutung psychosozialer Unterstützung für die psychische Gesundheit der Betreuer wurde in vielen Aspekten untersucht (siehe z.B. Zarit et al., 1993). Zum Verstehen, welche Rolle die psychosoziale Unterstützung für die psychische Gesundheit der Alzheimer-Kranken spielt, fehlen noch wissenschaftliche Studien. Einen wichtigen Aspekt hierbei stellt der Konflikt zwischen den Bedürfnissen der Kranken nach Nähe und Entlastung einerseits und den Bedürfnissen nach Autonomie und Abgrenzung andererseits, dar.

Es liegt an den Betreuern, ein jeweils richtiges Maß an Hilfe und Selbständigkeit für den Kranken zu finden. Eine Überforderung kann die Zuversicht, zurechtkommen zu können, zerstören, und Angst, Hoffnungslosigkeit oder aggressive Reaktionen hervorrufen. Eine Unterforderung kann wiederum auf die Dauer zum Versiegen eigener Ressourcen zur Bewältigung von Lebensproblemen und damit zur Regression beitragen. Tätigkeiten, die nur ein Minimum an Kompetenz erfordern, demoralisieren und rufen depressive Verstimmung hervor.

Bei der Suche nach einem optimalen Maß für die "fürsorgliche Autorität" (Fuhrmann et al., 1995) können Betreuer von Erfahrungsaustausch und Literaturanleitungen profitieren. So haben Souren und Franssen (1994) sehr detailliert die in verschiedenen Demenzstadien notwendigen Hilfen zur Alltagsbewältigung aufgestellt. Bezogen auf die Demenzstadien und auf verschiedene Aspekte des Alltagslebens wie "finanzielle und juristische Angelegenheiten" oder "persönliche Hygiene" zeigen die Autoren auf, was die Alzheimer-Kranken selbst bewältigen können, wozu sie Ermutigung und Anleitung brauchen, was sie nur mit Hilfe, und was überhaupt nicht mehr anstreben können. Eingeführt sind von den Autoren auch Tätigkeitsbereiche, die Risiken bergen und gegebenenfalls Interventionen zu ihrer Verhinderung erfordern.

Um den Ansatz der Autoren zu verdeutlichen, führen wir als Beispiel einige ihrer Ratschläge zum Umgang mit finanziellen Angelegenheiten an.

Im ersten Demenzstadium können die Kranken selbständig:

  • Schecks und Dokumente unterschreiben,
  • Geld von der Bank abheben,
  • kleine Beträge bar bezahlen.
  • Sie profitieren von:

  • einer Einkaufsliste mit Hinweisen zu Preisen.
  • Sie sollten ermutigt werden,

  • alle Unterlagen zu finanziellem Verkehr, größere Geldsummen und Schecks dem Betreuer zu überlassen oder gemeinsam zu deponieren.
  • Folgendes sollte verhindert werden:

  • Veränderungen in Dokumenten, wie einem Testament,
  • Unüberlegte Ausgaben größerer Geldsummen, z.B. für Spenden,
  • Benutzen von Kreditkarten,
  • unvernünftige Einkäufe bei Handelsvertretern,
  • unkontrollierter Umgang mit Schecks und mit Bargeld (es wird zu einer genauen Kontrolle durch den Betreuer geraten),
  • unkontrollierter Kontoverkehr, größere Auszahlungen, Überweisungen, etc.
  • Folgendes ist vollständig vom Betreuer zu übernehmen:

  • Überwachen des Haushaltsbudgets,
  • Überwachen der Einkünfte, wie Pension,
  • Planung von größeren Ausgaben,
  • Erledigen von finanziellen Angelegenheiten wie Rechnungen, Steuer, Versicherungen, etc.
  • Zusätzlich zu diesen genauen Anweisungen machen Souren und Franssen (1994) die Betreuer darauf aufmerksam, daß das Geld eine wichtige Rolle in der Selbst-Bestimmung und dem Selbst-Verständnis einer Person spielt. Mit der Unfähigkeit, selbständig eigene Finanzen zu überblicken und zu regeln, verliert der Kranke einen wichtigen Teil seiner Unabhängigkeit.

    Auch das Vertrauen kann zum Problem werden. Die Autoren raten in diesem Zusammenhang:

  • darauf zu achten, daß der Kranke immer eine kleine Geldsumme zur Verfügung hat,
  • den Kranken für seine Ausgaben zu loben, oder sie gar nicht zu kommentieren,
  • Verständnis dafür zu haben, wenn dem Kranken die Einsicht in seine Situation fehlt und er auf ungewohntes Eingreifen in seine Finanzen mit Mißtrauen reagiert.
  • Eine Aufteilung der progredienten Erkrankung in Demenzstadien mit genau voraussehbaren Leistungsprofilen und mit vorgeschriebenen Umgangsformen kann nur als Annäherung dienen. Berücksichtigt man ausreichend die Situation der jeweiligen Kranken, so könnten "Rezepte", wie die von Souren und Franssen (1994), sich bei der schwierigen Frage "wieviel und welche Hilfe braucht der Kranke zur Alltagsbewältigung?" als sehr hilfreich erweisen.

    Daß ein gut gewählter Weg zum Umgang mit den Kranken sich positiv auf deren Verhaltenseffizienz im Alltag auswirken kann, haben Neumann et al. (1993) gezeigt. Die Autoren haben ein wissenschaftlich erprobtes Trainingsprogramm zur Rehabilitation und Erhaltung von Selbstständigkeit im Alter entwikelt und den Betreuern vermittelt (Neumann et al., 1994). Das Programm hat sich auch bei Kranken mit leichter bis mittelgradiger Demenz als hilfreich erwiesen (vgl. auch Fuhrmann et al., 1995, Psychologische Kommentare von Neumann).

    3.3.3 Der Sinn

    Schließlich trägt die Unterstützung der Kranken beim Erhalten des Sinngefühls für das Lebensgeschehen zum Bewahren des Kohärenzgefühls bei.

    Gerade durch die Herausforderung, die die Alzheimer-Krankheit für die Betroffenen mit sich bringt, kann das Bedürfnis nach Sinngebung vordergründig werden. Die Sinnfrage ist im Zusammenhang mit den Zielen und Aufgaben des Lebensabschnittes zu betrachten. Die meisten Alzheimer-Kranken sind über 70 Jahre alt und verfolgen keine berufsbezogenen Ziele mehr. Für diesen Lebensabschnitt charakteristische Themen können eine Auseinandersetzung mit altersbedingten physischen und psychischen Veränderungen, Einstellung zum Tod, Umgang mit dem Alleinsein, Verfügung über Ressourcen zur Unterstützung der familiären und anderen Vorhaben, Erkenntnis des Wertes von überdauernden Beziehungen und von gemeinsamem Erleben mit dem Lebenspartner, Einsichten aus der Perspektive der Lebenserfahrung und Vermittlung von Anregungen und Gefühlen der Jüngeren sein (vgl. u.a. Erikson, 1973; Wortman & Silver, 1990; Lauter, 1991; Ronch, 1993).

    Diese lebensabschnittseigenen Ziele können trotz der Krankheit in einer modifizierten Form verfolgt werden. Dadurch kann es den Betroffenen leichter fallen, ihr Leben als sinnvoll zu empfinden.

    Das Erhalten des Sinngefühls bzw. das Erkennen eines Sinns in den veränderten Lebensumständen kann für den Umgang mit der eigenen schweren Krankheit entscheidend sein. Wie Gasiet (1981) einführt, sind Menschen zu fast unglaublichen Entbehrungen bzw. Verzicht auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse bereit, wenn sie darin nur einen Sinn sehen können" und wenn sie "bestimmte sinngebende Produkte herstellen (z.B. Wertordnungen, Denkkategorien, Mythen, Religionen, philosophische Systeme und wissenschaftliche Theorien)." (Gasiet, 1981; zitiert nach Becker, 1995).

    Gerade im Zusammenhang mit der Mitteilung der Diagnose ist es wichtig, dem Betroffenen zu zeigen, auf welche personalen Lebensziele er nicht oder nicht so unmittelbar verzichten muß. Dazu gehören meistens vor allem das Familienleben und die gemeinsamen Erlebnisse mit den nahen Angehörigen. So berichtete z.B. eine Angehörige, daß ihr kranker Mann 8 Jahre nach den ersten manifesten Defiziten zwar eine Hilfe in den meisten Alltagsverrichtungen brauchte, aber gemeinsame regelmäßige Besuche von Konzerten der Berliner Philharmoniker "bewegt genoß". Er behielt auch beim Tanzen sein Gefühl für Takt und Rhythmus (Fuhrmann et al., 1995). Ein in demselben Buch zitierter Ehemann, dem die Diagnose der Frau mitgeteilt wurde, äußert: "Aber die Oberärztin und der Psychologe gaben mir auch den wichtigsten Rat überhaupt. Wir sollten solange wie möglich ein normales Leben führen" (Fuhrmann et al., 1995). Das Ehepaar konnte mehrere Jahre, auch in den fortgeschritten Demenzstadien, Theater, Opern, Operetten und Musicals besuchen.

    Die Sinnfrage stellt sich weiterhin in Bezug auf den Umgang mit der Krankheit. Allerdings wird diese Frage meist nicht explizit von den Kranken reflektiert. Die folgende Sichtweise kann - wie wir meinen - den Kranken helfen, dem Leben mit der Krankheit ein sinngebendes "Produkt" (Gasiet, 1981) abzugewinnen:

    - die Krankheit stellt eine schicksalhafte, also nicht vermeidbare Entwicklung dar ("ich kann nichts dafür, es liegt nicht in meiner Hand").
    - es ist weise und angemessen, sich dem Schicksal zu beugen ("was ich nicht ändern kann, muß ich hinnehmen"),
    - es ist nicht leicht, diese weise Haltung einzunehmen und man braucht Zeit und Unterstützung, um sie zu entwickeln ("ich kann eine weise Haltung entwickeln, ich muß Geduld mit mir haben, aber ich kann mich dahin entwickeln; ich baue nicht nur ab, ich bin auch entwicklungsfähig"),
    - ich kann den anderen meinen weisen Umgang mit der Krankheit vorleben. Sie werden durch mich erfahren können, daß man trotz des schweren Schicksals ausgeglichen und dem Leben zugewandt bleiben kann.

    3.4 Bewahren des Selbst-nahen Wissens

    Im SET-Konzept sind wir von der Annahme ausgegangen (Romero & Eder, 1992), daß das Üben von biographischem und anderem Selbst-bezogenen Wissen zur Reaktivierung eines Teils dieses Wissens führen kann. Darüber hinaus - was für unser Konzept besonders wichtig war - kann erwartet werden, daß ein Üben von noch erhaltenen Fähigkeiten den kommenden Störungen entgegenwirkt. Diese Annahmen lassen sich bei Alzheimer-Kranken bis jetzt nicht direkt belegen. Wilson & Baddeley (1988) sind der Ansicht, daß bei amnestischen Störungen alte, überlernte Inhalte vorherrschen und leichter zugänglich sind. Die Vermutung, daß man auch bei Alzheimer-Krankheit bestimmtes Wissen in einem Übungsprogramm überlernen und damit das Vergessen verzögern kann, erschien uns plausibel. Der Umstand, daß es sich dabei um selbstbezogenes Wissen handelt, kann sich zusätzlich positiv auswirken. Bei Gesunden wurde nachgewiesen, daß Informationen, die die eigene Person betreffen, schneller und fehlerfreier erinnert oder wiedererkannt werden können als nicht selbstbezogene Informationen (Keenan & Baillet, 1979; Kuiper & Rogers, 1979; Sentis & Markus, 1979).

    Die inhaltliche Selektion des Wissens, das geübt werden sollte, muß individuell vorgenommen werden. Folgendes Schema kann zur Hilfe herangezogen werden (vergl. auch Sheridan, 1991):

    Kindheit

    - Elternhaus (auch emotionale Atmosphäre),
    - Eltern und Geschwister (Alter, Beruf, individuelle Charaktereigenschaften, Hobbies, Rollen in der Familie etc.),
    - Erfahrungen in der Schule (Freundschaften, Leistungen u. a.),
    - Freizeitbeschäftigungen (Spiele, Bücher, Märchen, Spielzeug etc.),
    - wichtige Ereignisse, affektbetonte Interaktionen.
    Jugend - Freundeskreis,
    - Liebesbeziehungen,
    - Ablösung vom Elternhaus.
    Frühes Erwachsenenalter - Beruf,
    - Familie,
    - Freizeitbeschäftigungen.
    Gegenwärtige Situation - Wohnumgebung,
    - Personen aus der Umgebung,
    - andere bedeutsame Fakten und Ereignisse.
    Die Wahl der Übungsinhalte sollte nach unserem Konzept der Krankheitsphase bzw. dem Ausmaß der bisherigen Selbstwissensverluste entsprechen. Wir sind von der Erwartung ausgegangen, daß sich der Betroffene zu Beginn der manifesten Erkrankung mit Fakten, Personen und Ereignissen beschäftigt, die seiner gegenwärtigen bzw. kurz zurückliegenden Lebensphase angehören (z.B. Enkelkinder, neue Kleider, ein Haustier, politische Entwicklung). Ein Fotoalbum mit Portraits und Namen der Enkelkinder oder Ausschnitte von Modejournalen mit Lieblingskleidern, ergänzt um kurze Beschreibungen, können als Beispiele für geeignete Hilfsmittel in dieser Phase genannt werden. Im weiteren Verlauf der Krankheit könnte erwartet werden, daß sich das Interesse der Patienten, wie auch seine Erinnerungsfähigkeit in eine weiter zurückliegende Lebensphase verlagern (z.B. Elternhaus, Geschwister, Schulfreunde).

    Der Zeitpunkt, zu dem ein bestimmter Themenbereich in kontinuierliche Übungen einbezogen werden sollte, wäre nach unserem Konzept so zu wählen, daß der Kranke in dem Bereich noch relativ wenig beeinträchtigt, aber an der Beschäftigung mit dem Thema (schon) interessiert ist. So sollte z.B. eine intensive Beschäftigung mit den Erlebnissen aus dem Elternhaus so rechtzeitig angefangen werden, daß der Kranke über ein entsprechendes Wissen und Erinnerungen noch verfügt. Andererseits wäre, wie wir meinten, vorzeitig das Thema in der Form schon dann einzuführen, wenn das Selbstverständnis des Patienten noch stärker von seiner Rolle als Ehepartner (und nicht als Kind) geprägt ist.

    In dem Zusammenhang möchten wir auf eine Parallele der zur Selbst-Erhaltung empfohlenen Vorgehensweise und der Entstehung und Funktionen kulturellen Gedächtnisses hinweisen. Den Theorien von Halbwachs (1985, 1985 a) und Assmann (1992) folgend, ist das erinnerte Vergangenheitswissen für die Entstehung gesellschaflicher Identität entscheidend. Was erinnert wird, folgt dabei bestimmten Regelmäßigkeiten: es wird das erinnert, was rekonstruiert werden kann und als erinnerungswert angesehen wird; alles andere bleibt vergessen.

    Auch im Rahmen der Selbst-Erhaltungs-Therapie sollte das, was für den Kranken gegenwärtig "rekonstruierbar und erinnerungswert" erscheint, maßgebend sein. Das Erkennen, welche Elemente des Selbst-nahen Wissens das jeweilige Selbstverständnis der Patienten berühren, stellt die Selbst-Diagnose dar. Die Selbst-Diagnose sollte der SET zugrunde gelegt werden.

    Im folgenden stellen wir die von uns im ambulanten Setting praktizierte therapeutische Vorgehensweise zum Erhalten des Selbst-nahen Wissens dar.

    Erste Phase: Selbst-Diagnose.

    Zu Beginn der Therapie wird der Patient zum freien, möglichst wenig strukturierten Erzählen über sich selbst angehalten. Wir erwarten, daß nach einiger - individuell unterschiedlich langer - Zeit die Themen bzw. die Geschichten des Patienten mehrfach wiederholt vorgebracht werden. Die inhaltlich abgrenzbaren, wiederholt vorgebrachten Erinnerungen bezeichnen wir im folgenden als "Erinnerungsfiguren". Den Terminus "Erinnerungsfiguren" hat für bestimmte Elemente kulturellen Gedächtnisses Assmann (1992) eingeführt. Wir werden diese Bezeichnung für Elemente personalen Gedächtnisses einsetzen. Diese spontan immer wiederkehrenden Themen und Erzählungen betrachten wir als gegenwärtig für das Selbst des Patienten besonders bedeutend.

    Zweite Phase: Aufbau eines externen Gedächtnisses für das Selbst-nahe Wissen.

    Die Wissensbestände, die in der ersten Therapiephase als Selbst-nahe und als bedeutend identifiziert wurden, haben wir nachfolgend mit Hilfe von technischen Medien systematisch dokumentiert. Zusätzlich zu den schon bereits in der ersten Phase festgehaltenen spontanen Erzählungen erfolgt in dieser Phase die Dokumentation von halbstrukturierten Erzählungen zu bestimmten Themen. Bei der Themenvorgabe bezieht sich der Therapeut auf die ihm schon als bedeutend bekannte Selbst-Anteile. Gleichzeitig können die spontan erinnerten Inhalte mit Hilfe von Zusatzfragen ergänzt und strukturiert werden (vgl. das weiter oben eingeführte Hilfsschema). In das "externe Gedächtnis" können neben den Erzählungen der Kranken auch andere Selbst-nahe Inhalte aufgenommen werden, wie z.B. personale Photos, Photos aus der Stadt der Jugend, Lieder, Musikstücke, Gedichte oder Weltwissen-Bestände.

    Dritte Phase: Erhalten des Selbst-nahen Wissens durch wiederholtes Erzählen.

    Der Patient wird - wie in den vorangegangenen Phasen - dazu angeregt über sich selbst zu erzählen. Zur Stimulation und zur Stütze des Gedächtnisses kann das dokumentierte Material aus dem "externen Gedächtnis" miteinbezogen werden.

    Die dargestellte Aufteilung in die drei Therapiephasen bietet nur eine Orientierung zu den jeweiligen Schwerpunkten; in der Praxis werden die drei Ziele kontinuierlich verfolgt. Besonders wichtig ist dabei, daß der Therapeut durchgehend erkennt, welche Erinnerungen und welche gegenwärtige Erlebnisse das Selbst-Wissen, Selbst-Verständnis und Selbst-Erleben aktuell bestimmen. Wenn sich trotz wiederholten Erinnerns (Phase drei) ein bestimmter Wissensverlust soweit fortgesetzt hat, daß kein Selbstbezug für dieses Wissen mehr erkennbar ist, sollte dieses Wissensfragment auch aus dem "externen Gedächtnis" und aus dem Therapieprogramm entfernt werden. Gleichzeitig können dazu zu jedem Zeitpunkt neue Selbst-nahe Wissensbestände aufgenommen werden, z.B. aus dem gegenwärtigen Erlebten.

    Die Bedeutung des Erinnerns für die Selbst-Erhaltung beschränkt sich nicht auf das Bewahren von Selbst-nahem Wissen. Die weitere Selbst-unterstützende Wirkung wurde bereits in den sechziger Jahren in England erkannt (Butler, 1963) und läßt sich wie folgt formulieren (vgl. Sheridan, 1991; Übersicht Bornat, 1994):

    - Das Mitteilen der Erinnerungen stellt eine beziehungsfordernde soziale Interaktion dar.
    - Die Vergegenwärtigung der Lebensgeschichte hilft, den Sinn und die Ziele des eigenen Lebens zu erkennen.
    - Erinnern kann das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl steigern.
    - Erinnerungen an die Vergangenheit stellen die starke Seite der älteren Menschen dar. Diese starke Seite zeigen und erleben zu können weckt das Gefühl der Sicherheit und Kompetenz.
    - Bei Alzheimer-Kranken ist der Kontakt und die Beschäftigung mit besser integrierten, vergangenheitsbezogenen Teilen des Selbst von besonderer Bedeutung,
    - Die Beschäftigung mit der Vergangenheit kann durch eine zeitweilige Distanzierung von gegenwärtigen Schwierigkeiten entlasten.
    Erinnerungen tragen eine wichtige Funktion nicht nur für die personale, sondern auch für die gesellschaftliche Identität, worauf wir kurz eingehen werden.

    Die Vermittlung der Erinnerungen trägt zur Sicherung der Kontinuität und Identität einer Sozialgruppe, Generationen übersteigend, bei. Assmann (1992) hat seine Theorie des für die Entstehung gesellschaftlicher Identität essentiellen "kulturellen Gedächtnisses" entwickelt. Die Dokumentation von Lebensgeschichten kann zu einem kollektiven Gedächtnis verknüpft und für Bildung und Wissenschaftsziele allgemein zugänglich gemacht werden. In dem Zusammenhang kann das Vorhaben von Steven Spielberg (Der Spiegel, 1996, 16, S. 228-238) erwähnt werden, das mit modernen technologischen Mitteln Lebensgeschichten der noch lebenden Holocaust-Opfer aufzunehmen, zu speichern und zu bearbeiten vorsieht. Das sehr große Unternehmen internationalen Ausmaßes schafft ein Monument für die Opfer und stellt gleichzeitig eine bedeutende Informationsquelle für Bildungszwecke und Forschungsaktivitäten dar. Darüberhinaus, wie im Spiegelbericht betont, kann man die von Spielberg benutzte informationstechnologischen Entwicklungen als weichenstellend für zukünftige Unterrichtsformen betrachten.

    Die ersten durchgeführten psychosozialen Projekte, bei denen ältere Menschen mit Hilfe von Tonbandaufnahmen und Photos zum Erinnern an ihre Vergangenheit angehalten wurden, sind sehr populär geworden und haben in England das Ausmaß einer "sozialen Bewegung" angenommen (Bornat, 1989; 1994). Die erste Zielgruppe waren ältere Heimbewohner und Krankenhauspatienten, im nächsten Schritt wurden Kranke mit Demenz gezielt miteinbezogen. Sheridan (1991) identifizierte in ihrem Ratgeber die Gruppe, die von Erinnerungsaktivitäten profitieren kann, als die große Mehrheit der Älteren, insbesonderen aber Personen, die unter der Alzheimer-Krankheit leiden. Erinnerungsaktivitäten waren dabei nicht als eine strukturierte Behandlungsmethode konzipiert. Vielmehr wurden alle Personen, die Kontakt mit den Älteren hatten dazu angehalten, deren Lebensgeschichten in Gesprächen und anderen Aktivitäten zu thematisieren und mittels alter Photos, Film- und Tonbandaufnahmen anzuregen.

    Dementsprechend beinhalten Ratgeber wie der von Sheridan (1991) Hinweise zur Themenwahl (z.B. Kindheit, Autofahren, einschließlich Fragen, wie z.B. "Erinnern sie sich an den Tag, an dem sie zum ersten Mal Auto gefahren sind?"), zur Gesprächsführung, zur Durchführung von Aktivitäten (z.B. Collagen zum Thema: "Meine Erlebnisse in der Natur", Theaterbesuch) und zu Spielen, die Erinnerungen zum Selbst- und Weltwissen anregen können.

    3.5 Bewahren der emotionalen Stabilität und Erlebnisfähigkeit

    Die Hilfe, die den Kranken zum Bewahren der Kontinuität, der Identität, des Kohärenzsinns und des Selbst-nahen Wissens angeboten wird, kann sich emotional stabilisierend auswirken. Das ist insbesondere deshalb zu erwarten, da, wie weiter oben angeführt, affektive Veränderungen zu einem bedeutenden Teil als eine Reaktion auf kognitive Einbußen verstanden werden können. Mit den Maßnahmen, die das Erhalten des personalen Selbst unterstützen, können positive Gefühle stabilisiert und negative Emotionen wie Angst, Scham, Aggression oder Depression - die oft als Reaktion auf Selbst-verletzende Erfahrungen entstehen - reduziert werden.

    Im Umgang mit den Kranken sollte auch ein Raum für angemessene Trauer-, Angst- oder Ärger-Reaktionen bestehen bleiben. Therapeutische Interventionen können den Kranken helfen, ein gewohntes differenziertes Spektrum an Gefühlsleben zu erhalten. Nach Lawton (1983) drückt sich ein Wohlbefinden in der Fähigkeit aus, sowohl positive wie auch negative Gefühle erleben und ausdrücken zu können.

    Einige der außerkognitiven Störungen gehören zu den primären Krankheitssymptomen und lassen sich erwartungs- und erfahrungsmäßig allein mit den Maßnahmen zur Selbst-Erhaltung nicht beeinflussen. Vor allem psychotische Symptome oder im Rahmen psychotischer Entwicklungen auftretende aggressive Ausbrüche, Angstzustände u.a. können oft am besten medikamentös behandelt werden.

     

    4 Praktische Erfahrungen zur SET

    Die SET wurde bisher nicht systematisch in Studien evaluiert. Im folgenden stellen wir die ersten Erfahrungen zur Anwendung der SET-Betreuungsprinzipien in einer Tagesstätte, sowie die ambulante SET an einem Fallbesispiel dar.

    4.1 SET-Betreuungsprinzipien: erste Erfahrungen in einer Tagesstätte

    Selbst-Erhaltung wurde - neben dem Validitätsansatz - von einer Tagesstätte für Demenz-Kranke (Münchner Altenwohnstift e.V.) als konzeptionelle Grundlage der Betreuung übernommen und unter unserer psychologischen Supervision eingeführt. Die Erfahrungsbasis erlaubt zur Zeit keine systematische Analyse der Ergebnisse, so daß wir hier einige der ersten Erfahrungen darstellen.

    In der Supervisionsarbeit ließ sich erkennen, daß das Pflegepersonal sehr motiviert, aufgeschlossen und an einer Wissenserweiterung interessiert war. Im SET-Konzept fanden die Mitarbeiter zum Teil eine Bestätigung ihrer bisherigen Praxis, zum Teil neue Anregungen, die sie auszuprobieren bereit waren. So wurden z.B. bei einer unruhigen, ängstlichen Besucherin der Tagesstätte mit mittelgradiger Demenz vom Alzheimer-Typ folgende Interventionsmaßnahmen dem SET-Konzept abgeleitet:

    1. Gespräch mit dem Sohn und mit der Enkelin, um das Wissen der Pfleger über das Verhalten zu Hause und über wichtige Beziehungen zu Personen und zu Gegenständen der Besucherin zu erweitern. Die Angehörigen sollten auch um eine Unterstützung beim Durchführen der Hilfsmaßnahmen gebeten werden.

    2. In Kontakten mit der Besucherin vermehrt und wiederholt die Themen ansprechen, die ihr nahestehen und emotional bedeutend erscheinen. Die Pfleger mieden zum Teil die das Zuhause und die Familie betreffenden Themen, aus Angst, eine Sehnsucht und Weglauftendenz zu provozieren.

    3. Eine Photo-Ecke errichten, in der an der Wand personelle Photos der Besucherin aufgehängt werden sollten. Die Photos sollten so gewählt werden, daß die Kranke sie erkennt und eine emotionale Beziehung zum Dargestellten erkennen läßt. Es wurde zuvor beobachtet, daß die Besucherin keine Personen und keine Situationen auf den bereits in der Tagesstätte hängenden Photos erkannte. Die zahlreichen Bilder zeigten Eindrücke aus den gemeinsamen Ausflügen der Tagesstättenbesucher. Die Kranke konnte nur die eigene Person auf den Photos idenfizieren. Es war zu erwarten, daß sie die lebensgeschichtlich vertrauten Personen und Situationen ebenfalls erkennen kann.

    4. Bezugs-Gegenstände von zu Hause in die Tagesstätte bringen lassen, um einen Umgang mit vertrauen Objekten zu ermöglichen.

    Diese Interventionsvorhaben ließen sich nur zum Teil realisieren, wobei die Erfahrungen damit, insbesondere die Schwierigkeiten, als prototypisch betrachtet werden können. Als hilfreich erwies sich sowohl die Erweiterung des Kontaktes zur Familie wie auch die Übernahme der familienbezogenen Themen in Gespräche mit der Besucherin. Die Befürchtung, damit eine unruhige Suche nach der Familie bzw. nach dem Vertrauten zu verstärken, bestätigte sich nicht. Mit der Mitnahme von Bezugs-Gegenständen von zu Hause in die Tagesstätte war die Besucherin nicht einverstanden, wir mußten also unsere Erwartung korrigieren. Die Kranke unterschied deutlich zwischen dem Zuhause und der Tagesstätte, und einen Versuch eines Transfers der Gegenstände, z.B. ihrer Tischdecke, erlebte sie als drohenden Verlust und nicht als Stärkung des Sicherheitsgefühls.

    Eine Photo-Ecke wurde nicht vorbereitet, wahrscheinlich nicht nur, weil der Aufwand die Kapazitäten des Personals überstieg. Vielmehr erscheint es schwer - auch bei aufgeschlossenen Mitarbeitern - bestimmte Einstellungen und Handlungsschemata zu modifizieren. Zu schwer veränderbaren Schemata gehört die Präsentation der aktuellen Chronik der Gruppe und nicht der biographisch verankerten Selbst-Perspektive der Einzelnen. In den meisten Gruppen (z.B. Schule, Partei) ist ein Monitoring des Gruppenlebens auch funktionell, kann aber bei Gruppen von Dementen nicht unkritisch übernommen werden.

    Ein weiteres Schema, das Beschäftigungsprogramme in der Tagesstätte prägt, ist - wenn auch nicht explizit - Programmen für Kinder- bzw. Jugendgruppen entnommen. Im Kindergarten oder in einer Jugendgruppe füllt man einen relativ großen Teil der Zeit mit Spielen, Rätseln, Puzzeln oder mit Basteln. In der Tagesstätte wurden diese Beschäftigungen zum Teil als Gedächtnistraining deklariert. Aus der Perspektive des Selbst-Erhaltungs-Konzeptes läßt sich bei diesen - allerdings weit verbreiteten - Ansätzen (1) ein individueller, selbstbezogener Zugang und (2) der Bezug zu den Zielen und Aufgaben des Lebensabschnittes vermissen.

    4.2 Ambulante Durchführung der Selbst-Erhaltungs-Therapie: ein Fallbeispiel

    In unserer Klinik wird SET ambulant durchgeführt. Über diese Möglichkeit informiert - zusätzlich zu den ärztlichen Hinweisen - ein Merkblatt für Angehörige (siehe Anhang). Im folgenden stellen wir unsere Vorgehensweise und Erfahrungen anhand eines Fallbeispiels dar.

    4.2.1 Fallbeschreibung: Patientin Frau H.

    Diagnose:
    Alzheimer-Krankheit mit präsenilem Beginn (ICD 10: F 00.00) (WHO, 1987)

    Soziodemographische Daten:
    Altersgruppe: 50-60 Jahre, 10 Jahre Schulausbildung, berufstätig als Büroangestellte, verheiratet, 1 erwachsenes Kind.

    Psychometrische Testverfahren:
    Im Rahmen der weiter unten beschriebenen Untersuchungen wurden folgende Verfahren durchgeführt: Mini-Mental Status Examination (MMSE, Kessler et al., 1990), Münchner Verbaler Gedächtnistest (Ilmberger, 1988), Recurring Figures Test (Kimura, 1963), Aufgabe Benennen des Aachener Aphasie Tests (Huber et al., 1983), reduzierter Wechsler-Intelligenztest (Dahl, 1986).

    Medizinische Vorgeschichte:
    Die Krankheit manifestierte sich in Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Einige Monate nach den ersten kognitiven Beeinträchtigungen entwickelte Frau H. ein ausgeprägtes depressives Syndrom mit Angstzuständen und Gewichtsverlust, welches während eines Aufenthaltes in einer psychosomatischen Klinik abklang. Kognitive Beeinträchtigungen, auch im außerberuflichen Alltag manifest, blieben bestehen und führten zur Diagnose der Alzheimer-Krankheit.

    Psychiatrischer Status zum Beginn der Therapie:
    Leichtgradiges Demenz-Syndrom (MMSE: 22 Punkte)

    Depressivität zu Beginn der Therapie:
    Psychiatrisch wurde kein Hinweis auf affektive Störungen erfaßt. Gleichzeitig wurde beobachtet, daß die Patientin auffallend depressiv auf die Wahrnehmung ihrer kognitiven Defizite reagierte. Insbesondere auf die kognitive Prüfung und Aufdeckung der bestehenden Beeinträchtigungen reagierte Frau H. mit viel Angst und nachvollziehbarer Sorge. Durch eine entlastende Untersuchungsathmosphäre war es aber möglich, eine (reduzierte) neuropsychologische Untersuchung durchzuführen, ohne die Patientin unzumutbar zu belasten. Mit dem Beck-Depressions-Inventar wurde ein Ergebnis von 10 Skalenpunkten erzielt, das dem Grenzbereich "nicht/leicht depressiv" zuzuordnen ist.

    Neuropsychologischer Status zum Beginn der Therapie:
    Es wurden deutliche Lern- und Gedächtnisstörungen festgestellt, sowohl mit verbalem als auch nicht-verbalem Material. Im Gespräch ließen sich leichte Wortfindungsstörungen beobachten. Die Gesprächsbeiträge der Patientin waren pragmatisch auffällig: nicht ausreichend informativ und nicht ausreichend den jeweiligen Gesprächsthemen angepaßt. Die Leistung in der Aufgabe Benennen ließ sich nach Normen des Verfahrens als mittelgradig gestört beurteilen. Die Bearbeitung dieser Aufgabe war durch die leicht ausgeprägten Wortfindungssschwierigkeiten und vor allem durch deutliche Schwierigkeiten im Erkennen von abgebildeten Objekten und Situationen beeinträchtigt. Im Mosaik-Test war die Patientin in der Lage, nur die einfachste Aufgaben zu lösen. Insgesamt entsprachen die erfaßten kognitiven Störungen im Profil dem Bild einer Demenz bei Alzheimer-Krankheit.
    Das Leistungsprofil mit ausgeprägten Störungen konstruktiver Fähigkeiten, höherer optischer Funktionen, wie auch des Lernens und des Gedächtnisses bei gleichzeitig relativ gut erhaltenen sprachlichen Fähigkeiten, dem Urteilsvermögen und der zeitlichen Orientierung bot Hinweise auf eine posterior-betonte Degeneration des zentralen Nervensystems. Diesem entsprachen Untersuchungsergebnisse mit bildgebenden Verfahren. Das Kernspintomogramm erbrachte eine über das altersentsprechende Maß hinausgehende Atrophie des Parietallappens beidseits, sowie diskrete Erweiterung der inneren Liqourräume, insbesondere in den dorsalen Abschnitten. Außerdem zeigten sich unspezifische Marklagerveränderungen beidseits und Marklagerdegeneration unmittelbar periventrikulär symmetrisch und um beide Vorderhörner der Seitenventrikel. Das Positronen-Emissions-Tomogramm zeigte einen beidseitigen symmetrischen temporo-parietalen Hypometabolismus.

    Behandlung:
    Es wurde eine Behandlung mit Nimodipin und Nivalin begonnen, für den Nachtschlaf bewährte sich ein niedrigdosiertes Neuroleptikum. Weiterhin wurde eine ambulante psychologische Behandlung nach dem Selbst-Erhaltungs-Therapie-Konzept eingeleitet.

    4.2.2 Ziel der Selbst-Erhaltungs-Therapie bei Frau H.

    Mit Hilfsmaßnahmen zur Selbsterhaltung wurde folgendes angestrebt:

    - Reduktion psychischen Leidens der Patientin, die mit depressiven Symptomen und Ängsten auf ihre krankheitsbedingten kognitiven Defizite reagierte,

    - Erhalten - soweit möglich - der Effizienz des Verhaltens im Alltag,

    - Entgegenwirken der sozialen Rückzugstendenzen der Patientin und Vermeiden - soweit möglich - der Entwicklung weiterer störender Verhaltensformen.

    4.2.3 Therapieprogramm zum Bewahren des Selbst-nahen Wissens

    4.2.3.1 Zeitlicher und organisatorischer Rahmen

    Die Behandlung begann 3 Monate nach der Diagnosestellung und nach mehr als einem Jahr, nachdem die ersten kognitiven Beeinträchtigungen deutlich manifest wurden. Frau H. kam regelmäßig einmal in der Woche zu ambulanten therapeutischen Sitzungen, seit dato 1 ½ Jahre. Eine Sitzung dauerte 1,5 Stunden. Für die Bewältigung des Weges zwischen der Klinik und ihrem Zuhause benötigte Frau H. eine Hilfe, die sich die Familie nicht leisten konnte, und die von unserer Klinik übernommen wurde.

    4.2.3.2 Therapiephase I: Selbst-Diagnose

    Ab den ersten Sitzungen wurde Frau H. dazu angehalten, "etwas von sich selbst" zu erzählen. Die Therapeutin war dabei bemüht, Interesse und Zuwendung zu zeigen, die Wahl der erzählten Inhalte jedoch in dieser Therapiephase nicht zu beeinflussen. Angestrebt war ein Erkennen, (1) an welche Ereignisse aus dem eigenen Leben und an welches Selbst-nahe Wissen sich die Patientin spontan erinnerte und (2), wie gewichtet diese Gedächtnisinhalte im Hinblick auf personelle Relevanz und Bedeutung für sie waren.

    Dieses Vorgehen zur Selbst-Diagnose war solange fortzusetzen, bis die Beiträge der Patientin vorwiegend die schon erzählten Inhalte beinhalteten und es möglichst deutlich war, welche der Erzählungen wiederholt vorgebracht wurden. An dem Wiederkehren der Themen zu den spontanen Erzählungen haben wir die personelle Bedeutung der Themen gemessen. Frau H. erzählte gern und flüssig von sich selbst, ihrer Familie und ihren Freunden. Es bereitete ihr keine Schwierigkeiten, eine Stunde lang mit nur wenigen Zwischenfragen der Therapeutin ihre Berichte fortzuführen.

    Erst nach mehreren Monaten schienen sich Inhalte vorwiegend zu wiederholen und es wurde zunehmend deutlich, welche Geschichten oft erinnert wurden, emotionale Bedeutung hatten und offensichtlich wichtige Elemente des Selbst der Patientin darstellten.

    Das Ergebnis des Selbst-diagnostischen Vorgehens kann wie folgt zusammengefaßt werden:

    1. Das von der Patientin vorgebrachte Selbst-nahe Wissen läßt sich in relativ gut abtrennbare Einheiten, die wir als "Erinnerungsfiguren" (vergleiche weiter oben) bezeichnen, aufteilen. Jede dieser Erinnerungsfiguren kann einem Thema zugeordnet werden, wie zum Beispiel "Beziehung zum Vater auf dem Hintergrund seiner Ursprungsfamilie", "Berufliche Erfolge an bestimmtem Arbeitsplatz", "Beziehung zu einem Jugendfreund", "Der selbstbewußte, selbständige Sohn". Es war auffallend, wie relativ inhaltsstarr die Erinnerungsfiguren wiederholt vorgebracht wurden. So hatte man den Eindruck, daß die Patientin jeweils schon weitgehend vorstrukturierte Inhalte, die einen bestimmten Wissensabschnitt, eine bestimmte Perspektive, eine Reihe der Ereignisse und Erleben mit bestimmter Wertung darstellten, aktualisierte.

    2. In Bezug auf die Lebensabschnitte waren die Erinnerungen zwar über die ganze Lebensspanne, jedoch ungleich verteilt. Die meisten Erinnerungen betreffen das frühe Erwachsenenalter (vor der Heirat) im Hinblick auf familiäre und außerfamiliäre Beziehungen und auf berufliche Erfahrungen. Erzählungen, die die gegenwärtige Situation betreffen, wurden vergleichbar häufig eingebracht, wobei nur ein Teil davon sich in einer relativ inhaltsstarren Form wiederholte.

    Kindheit und mittleres Erwachsenenalter waren mit wenigen und weniger häufig erzählten Erinnerungsfiguren in den Berichten der Patientin vertreten.

    3. Die emotionale Einstellung der Patientin zur eigenen Person war - unabhängig von den krankheitsbedingten Problemen - selbstkritisch. Insbesondere warf sie sich vor, nicht genug selbstbestimmt gewesen zu sein. Damit hätte sie sich in ihrem Leben Schaden zugefügt, was einige ihrer Erinnerungsfiguren illustrieren sollten.

    4. Auf die Diagnose Alzheimer-Krankheit reagierte Frau H. mit soviel Angst und Abwehr, daß sie ihr ohne Nachdruck mitgeteilt wurde. Die Patientin hoffte, diese stellt sich als unzutreffend heraus. Gleichzeitig besaß sie Einsicht zu ihren Gedächtnisstörungen. Die Krankheitsproblematik thematisierte Frau H. spontan nur selten, dann aber oft mit starken Gefühlsausbrüchen und viel Abwehr.

    4.2.3.3 Therapiephase II: Aufbau eines externen Gedächtnisses für das Selbst-nahe Wissen

    Es wurde angestrebt, die Erinnerungsfiguren der Patientin, die sich im Rahmen der Selbst-Diagnose als bedeutsam herausstellten, mittels Videoaufnahmen der Erzählungen zu dokumentieren. Ab Beginn der Therapie wurden die meisten Sitzungen auf Videobänder aufgenommen. Frau H. fühlte sich durch die Aufnahmen nicht bzw. nur gering gestört. In dieser Therapiephase wurden der Patientin Themen für ihre Erzählungen vorgeschlagen. Die Themenwahl orientierte sich nach Ergebnissen des vorausgegangenen Vorgehens zur Selbst-Diagnose. Die angestrebte Strukturierung der Gedächtnisinhalte gelang nur teilweise, weil Frau H. sich nur beschränkt von einem Thema leiten ließ. Themenwechsel während einer Erzählung waren zum Teil durch die für die Krankheit charakteristischen pragmatischen Störungen bedingt (vgl. u.a. Romero et al., 1995), aber auch durch die natürliche Atmosphäre eines nicht streng strukturierten Gesprächs motiviert.

    Insgesamt war es möglich, die Selbst-nahen Erinnerungen der Patientin auf Videobändern zu dokumentieren.

    4.2.3.4 Therapiephase III: Erhalten des Selbst-nahen Wissens durch wiederholtes Erzählen

    Frau H. wurde dazu angehalten, ihre Geschichten wiederholt vorzubringen. Die therapeutischen Sitzungen bekamen dadurch keinen Übungscharakter, was der Patientin unangenehm gewesen wäre. Vielmehr ließ sich das Wiederholen durch das Interesse der Therapeutin und der wechselnden Hospitanten motivieren. Frau H. prüfte auch nicht kritisch, ob sie eine bestimmte Geschichte bereits erzählt hatte, nicht nur, weil sie dabei an die Grenze ihrer Gedächtniskapazitäten stieß, sondern auch, weil sie auch zum wiederholten Mal gern erzählte. Es wurden einige Versuche unternommen, Frau H. die Videobänder mit ihren Erzählungen vorzuspielen um sie damit an die Inhalte zu erinnern. Dabei wurde die Erfahrung gemacht, daß die Patientin den Umgang mit dokumentierten Erinnerungen lieber "interaktiv" als passiv gestaltet. Sie zeigte sich am passiven Betrachten der Aufnahmen nicht interessiert. Vielmehr griff sie die Filmthemen auf und fuhr mit Erzählungen fort, kommentierte die Ereignisse u.ä..

    Insgesamt entstand der Eindruck, daß sich die vorgespielten Geschichten auf das Erinnerungsvermögen anregend auswirkten. Gleichzeitig war die Patientin in der Lage, ohne derartige Hilfe die meisten Inhalte zu erinnern, so daß das Vorspielen keine entscheidende Bedeutung als Gedächtnisstütze bekam. Es ist zu erwarten, daß das "externe Gedächtnis" im Verlauf der Krankheit zusätzlich zu der Funktion, Erinnerungen anzuregen bzw. hervorzurufen, auch die Funktion bekommt, Erinnerungen zu ergänzen bzw. zu stärken.

    4.2.4 Psychotherapeutische Interventionen und Beratung

    4.2.4.1 Therapeutische Interventionen zum Bewahren der Kontinuität im personalen Erleben und personalen Selbstverständnis

    Frau H. wurde in Folge der Erkrankung berentet. Von ihren Hausfrauenaufgaben fühlte sie sich nicht erfüllt, die vielen täglichen einsamen Stunden erlebte sie als belastend. Möglichkeiten der Freizeitgestaltung waren zusätzlich durch Störungen der Orientierung in einer weiter von zu Hause entfernten Umgebung eingeschränkt. Die Patientin äußerte mehrfach den Wunsch nach einer sinnvollen Aufgabe.

    Versuche, mit Hilfe der Familie eine geeignete Tätigkeit zu finden, führten zu einigen Mißerfolgen. Es werden derzeit weitere Versuche unternommen, die Patientin mit sozialen Aufgaben in der Nachbarschaft zu beauftragen. Eine hierzu zufriedenstellende Lösung zu finden erwies sich - wie zu erwarten war - als äußerst schwierig.

    Noch mehr Bedeutung bekam dadurch die Freizeit, die die Patientin zusammen mit ihrer Familie verbringen konnte. Der Ehemann und der erwachsene Sohn von Frau H. wurden in persönlichen Beratungsgesprächen dazu angehalten, die Patientin in ihre Alltagsaktivitäten miteinzubeziehen und gemeinsame Unternehmungen so oft wie möglich zu planen.

    Eine im Hinblick auf das Selbst-Erhaltungs-Konzept interessante Erfahrung brachte ein mit dem Sohn verbrachter Kurzurlaub. Der Sohn plante eine Wanderung, eine Urlaubsart, die die Patientn im Vorfeld als neu, unvertraut und beängstigend erlebte. Die gemeinsamen Tage erwiesen sich - trotz oder wegen einiger Tubulenzen - als ein großer Erfolg. Frau H. konnte - auch ein Jahr später - detailliert über die Erlebnisse erzählen und es schien, die Erinnerungen würden in die Selbst-nahen Wissensbestände aufgenommen.

    Diese Erfahrung zeigt, daß zusätzlich zu den vom Selbst-Erhaltungs-Konzept postulierten vertrauten Tätigkeiten auch einige neue, in das Selbst integriert und sich unterstützend auswirken können (vergleiche die geschilderten Erfahrungen mit Kunsttherapie).

    4.2.4.2 Therapeutische Interventionen zum Bewahren des Kohärenzsinns und zum Krankheitsverständnis

    Krankheitsverständnis: Frau H. wehrte die Diagnose der Alzheimer-Krankheit mit viel Angst ab. Sie hielt an der Hoffnung fest, die diskutierte Diagnose würde bei ihr doch nicht zutreffen.

    Therapeutischerseits wurde hierzu eine nicht konfrontierende Haltung eingenommen. Die Patientin war sich gleichzeitig ihrer Gedächtnisstörungen bewußt. Auch andere Einbußen, die die räumliche Orientierung oder Handlungsabläufe (z.B. beim Schreiben) betreffen, nahm Frau H. zum großen Teil wahr. Auf die Wahrnehmung der Defizite reagierte sie zu Beginn der Therapie mit ausgeprägten depressiven Symptomen.

    Im Rahmen der SET wurde Frau H. dazu ermutigt, ihre Gedächtnisschwierigkeiten als die Realität, die nicht verschuldet, aber auch nicht veränderbar ist, anzuerkennen. Gleichzeitig wurde der Patientin Verständnis dafür vermittelt, daß die Unveränderbarkeit der Lebenssituation anzuerkennen eine schwierige Aufgabe sei, die viel personale Reife erfordert und nur allmählich bewältigt werden könne. Die Bedeutung des Gedächtnisverlustes wurde durch die Möglichkeit, personale Entwicklung anzustreben und Reife und Weisheit gewinnen zu können, relativiert. Diese therapeutische Intervention wirkte sich unterstützend aus.

    4.2.4.3 Zuversicht, mit den Alltagsanforderungen zurechtzukommen

    Frau H. fühlte sich von ihrer Familie, insbesondere von dem Ehemann, unterstützt und angenommen. Ihr war es weitgehend bewußt, daß sie auf die Hilfe des Mannes angewiesen war und war ihm für die Hilfsbereitschaft ausgesprochen dankbar. Sie erlebte die Qualität der Beziehung als durch die Krankheit gebessert. Die Begegnungen mit dem Mann sind zu ihrer großen Freude persönlicher, lebendiger, gefühlsbetonter geworden.

    Hilfestellungen wurde durch Beratung des Ehemannes und des Sohnes zur Diagnose und deren Folge wie auch zu geeigneten Umgangsformen geleistet. In persönlichen Kontakten wurde insbesondere das Thema "Unter- und Überforderung" besprochen. Den therapeutischen Hinweisen lagen neben dem allgemeinen Wissen über Folgen der Erkrankung auch Kenntnisse des speziellen neuropsychologischen Leistungsprofils der Patientin zugrunde. Es entstand der Eindruck, daß Situationen, in denen sich Frau H. überfordert fühlte und mit Verzweiflung, Angst und Depression reagierte, zunehmend seltener vorkamen. Dies hing wohl auch damit zusammen, daß die Familie der Patientin verständlicherweise nur allmählich das Bestehen der folgenreichen Erkrankung als Realität anerkannt und die speziellen Leistungs- und Belastbarkeitsgrenzen der Patientin wahrgenommen und berücksichtigt hatte. Weniger erfolgreich als Überforderung ließ sich Unterforderung verhindern (vergleiche weiter oben).

    Weitere therapeutische Maßnahmen zur Erhaltung des Zuversichts-Gefühls bestanden in Hilfen bei bestimmten Alltagsproblemen. So wurde Frau H. dazu angeleitet, einen Terminkalender zu benutzen bzw. den Hausschlüssel an einem festen Platz aufzubewahren. Diese Art von Hilfestellung erwies sich als nützlich, konnte jedoch in nur wenigen Bereichen angewandt werden.

    4.2.4.4 Erhalten des Sinngefühls

    Ihr Familienleben, ein wichtiger sinnspendender Lebensbereich, empfindet Frau H. als durch ihre Krankheit nicht wesentlich beeinträchtigt. Die Beziehung zum Ehemann sei sogar bedeutend besser geworden.

    Berufliche Tätigkeiten bzw. äquivalente "sinnvolle" Aufgaben vermißt Frau H. sehr. Hierzu wurden mit Hilfe der Familie Versuche unternommen, eine soziale Aufgabe in der Nachbarschaft zu finden.

    Die Konfrontation mit der Erkrankung stellte für die Patientin den Wert des Lebens in Frage und nahm ihr den Mut, sich den Anforderungen zu stellen. Therapeutische Hilfestellung bestand in (1) dem Verzicht auf die Konfrontation mit der Diagnose "Alzheimer-Krankheit", (2) der Unterstützung beim Anerkennen der kognitiven Defizite, insbesondere der Gedächtnisstörungen als einer nicht vermeidbaren Realität und (3) der Ermutigung, dem Umgang mit den Beeinträchtigungen eines sinngebendes "Produkt" (vergleiche weiter oben) abzugewinnen. Diese Interventionen lassen sich therapeutischerseits als erfolgreich beurteilen. Frau H. lernte auf die Wahrnehmung der Defizite gelassener zu reagieren. Sie zeigte sich gleichzeitig stolz darauf und betrachtete es als ein personales Wachstum. Sie zeigte sich auch für Hinweise offen, daß sie ihren weisen Umgang mit den Beeinträchtigungen den anderen, insbesondere dem Sohn, vorleben kann. Damit konnten Schwierigkeiten, dem Sohn einen Knopf anzunähen oder andere praktische Hilfe zu leisten, relativiert werden.

    4.2.5 Verlaufskontrolle

    Psychiatrischer Status (1-Jahres-Intervall):

    Die Diagnose der Alzheimer-Krankheit wurde bestätigt. Vom Ehemann der Patientin wurde von einer Progredienz der Gedächtnisstörung und einer zunehmenden Unselbständigkeit der Patientin berichtet. Sie ziehe sich vermehrt zurück, unternehme alleine nichts mehr und die Haushaltsführung sei nicht mehr so optimal wie früher.

    Der MMSE-Wert von 24 Punkten bildete keinen weiteren kognitiven Abbau ab. In der ärztlichen Eintragung zu dieser Konsultation wurde weiterhin festgehalten, daß die SET der Patientin "sehr gut täte". Frau H. wurde seit der Voruntersuchung kontinuierlich mit Nivalin behandelt. Die Behandlungsdosis wurde erhöht.

    Depressivität (1-Jahres-Intervall):

    Im Rahmen der psychiatrischen Untersuchung wurde festgehalten, daß sich die depressive Symptomatik nach den übereinstimmenden Angaben des Ehemannes und der Patientin gebessert habe.

    Neuropsychologischer Status (1 1/2-Jahres Intervall):

    Mit dem Münchner Verbalen Gedächtnistest wurde ein weiterer Verlust der Fähigkeit, Gelerntes mittelfristig im Gedächtnis zu behalten, erfaßt. Die Leistung in der Aufgabe "Benennen" hatte sich gering verschlechtert. Im "Mosaik-Test" konnte die Patientin auch die einfachste der Aufgaben nicht mehr lösen. Auch die zweite nichtverbale Aufgabe, die komplexe Forderungen an optische Wahrnehmung stellt, konnte Frau H. mit einem nur extrem niedrigen Ergebnis lösen. Das Ergebnis der Aufgabe "Allgemeines Wissen" war unterdurchschnittlich, gleichzeitig aber bedeutend besser als Ergebnisse der beiden nicht verbalen Aufgaben. In der Aufgabe "Gemeinsamkeitenfinden", die Anforderungen an begriffliches Denken stellt, konnte die Patientin eine durchschnittliche Leistung nachweisen.

    Der MMSE-Wert von 24 Punkten bildete nach wie vor keinen weiteren kognitiven Abbau ab.

    Insgesamt ließ sich eine Progredienz der kognitiven Beeinträchtigungen feststellen. Die zuvor erfaßten Merkmale des Leistungsprofils blieben im Verlauf deutlich.

    Depressivität (1 1/2-Jahres-Intervall):

    Auf die Konfrontation mit eigenen Defiziten, die bei der Durchführung der neuropychologischen Untersuchung nicht völlig vermeidbar sind, reagierte die Patientin zwar empfindlich, aber im Vergleich mit der Voruntersuchung mit viel mehr Selbstsicherheit und emotionaler Stabilität. So war es z.B. möglich, diesmal den ganzen reduzierten Wechsler-Intelligenztest durchzuführen. Das BDI ergab mit 2 Skalenpunkten einen unauffälligen Befund.

    Insgesamt ergab die Verlaufsbeurteilung der Depressivität eine Abnahme der Symptomatik. Die zuvor auffallend stark ausgeprägte Tendenz, auf kognitive Defizite mit Verzweiflung und emotionalen Dekompensationen zu reagieren, hat sich weitgehend normalisiert.

    4.2.6 Diskussion

    Frau H. gehört zu den ersten Patienten, bei denen die SET über einen längeren Zeitraum durchgeführt wurde. Der Schwerpunkt unserer explorativen Interessen lag auf der Entwicklung von therapeutischen Vorgehensweisen. Das Problem der Evaluationsmethoden ist schwer zu lösen und muß in den weiteren Schritten angegangen werden.

    4.2.6.1 Akzeptanz der Therapie

    Frau H. kam sehr gern und regelmäßig zu den therapeutischen Sitzungen und war nur aus hindernden Anlässen abwesend.

    4.2.6.2 Auswirkung der Therapie auf das psychische Leiden

    Zu Beginn der Therapie litt Frau H. stark unter ihren krankheitsbedingten kognitiven Defiziten. Im Verlauf konnte eine deutliche Abnahme depressiver Reaktionen anamnestisch, fremdanamnestisch (Ehemann) und psychometrisch (BDI) erfaßt werden. Inwieweit diese günstige Entwicklung auf die therapeutische Hilfestellung zurückgeführt werden kann, läßt sich nicht genau beurteilen. Auch in einem spontanen Verlauf ist eine affektive Stabilisierung zu erwarten. In ihrer subjektiven Wahrnehmung verbindet Frau H. das gewonnene emotionale Gleichgewicht mit dem Therapieprozeß. Insbesondere weist die reflektionsfähige Patientin auf die Bedeutung der folgenden Hilfsmaßnahmen hin:

    - Hilfe zum Verstehen der Beeinträchtigungen als Schicksal ("ich kann nichts dafür, ich kann es auch nicht ändern").

    - Hilfe zum weisen Umgang mit dem Schicksal und damit zum personalen Wachstum ("jetzt kann ich meine Schwierigkeiten besser ertragen; diese Fähigkeit habe ich entwickelt und möchte sie weiterentwickeln; ich bin stolz und erfreut über meine Entwicklung").

    - Hilfe zum Erinnern an vergangene Lebensereignisse. Die Bedeutung des Erinnerns erlebte die Patientin als vielschichtig. Zum einen fühlte sie sich durch den autobiographischen Rückblick in ihrem Selbstbewußtsein gestärkt ("was habe ich alles erlebt, gemacht, geschafft!"). Darüberhinaus läßt sich ihren protokollierten Äußerungen entnehmen, daß auch das Erleben der unerwartet guten Gedächtnisleistungen ihr Selbstwertgefühl stärkte.

    - Hilfe zur Modifikation des Selbstbildes ("Wenn ich so sehe, was ich im Leben selbständig bewältigt und erreicht habe, so können meine Vorstellungen ich kann mich nicht durchsetzen oder ähnliches nicht stimmen").

    4.2.6.3 Auswirkungen der Therapie auf die Effizienz des Verhaltens

    Die Verlaufskontrolle ergab über einen Zeitraum von 1,5 Jahren eine so langsame Progredienz der kognitiven Beeinträchtigungen, daß sie sich in einer orientierenden Prüfung mit MMSE-Verfahren nicht erfassen ließen. Die neuropsychologische Untersuchung zeigte eine Zunahme der Defizite, die einem bestimmten Muster folgte: fortschreitend gestört waren das Gedächtnis und die räumlichkonstruktiven Fähigkeiten, die sprachlichen Funktionen blieben relativ gut erhalten. Von fortschreitenden Schwierigkeiten, Alltagsaufgaben zu bewältigen, berichtet weiterhin der Ehemann der Patientin.

    Wie zu erwarten, konnten die psychologischen Therapiemaßnahmen eine Weiterentwicklung kognitiver Defizite nicht verhindern. Daß die bisherige Progredienzgeschwindigkeit sich sehr günstig gestaltet ist erfreulich, wobei sich ein Zusammenhang mit den therapeutischen Maßnahmen im Einzelfall nicht nachweisen läßt.

    Positiv können Aktivitäten der Patientin zur selbständigen Freizeitgestaltung gewertet werden. Die bisherigen Schritte, wie regelmäßige Fahrradtouren und Beteiligung an der Nachbarschaftshilfe befriedigen Wünsche der Patientin nach sinnvoller Freizeitgestaltung und nach sozialem Anschluß nicht ausreichend, stellen aber eine anerkennenswerte Teillösung dar.

    Schließlich haben sich konkrete Hinweise zum Lösen von Einzelproblemen (Terminkalender, geeignetes System zum Aufbewahren kleiner Gegenstände u.ä.) positiv, wenn auch nur in beschränktem Rahmen anwendbar, auf die Effizienz des Verhaltens ausgewirkt. Hierbei konnte das Wissen über das Profil neuropsychologischer Defizite der Patientin bei der Beratung miteinbezogen werden.

    4.2.6.4 Auswirkung der Therapie auf störendes Verhalten

    Frau H. zeigte zu Beginn der Therapie eine Tendenz zum sozialen Rückzug. Mit viel Unterstützung seitens der - von uns beratenen - Familie konnte sie ihre sozialen Ängste immer wieder überwinden. Sie unternahm selbständig einige Reisen, bei denen sie ihre alten Freunde, Familienmitglieder und vertraute Orte besuchte. Auch am Wohnort suchte sie aktiv sozialen Anschluß. Diese Aktivitäten waren direkt durch die Beratung der Familie und das Motivieren der Patientin, und indirekt durch die Stärkung ihres Selbstbewußtseins und Wohlbefindens unterstützt.

    Es haben sich keine weiteren störenden Verhaltensformen entwickelt.

    Zusammenfassend läßt sich in dem 1,5 jährigen Beobachtungszeitraum ein günstiger Krankheitsverlauf mit relativ langsamer Progredienz der kognitiven Störungen, einer Abnahme der depressiven Symptome, einer Zunahme der sozialen und selbständigen Freizeitaktivitäten und - last but not least - mit einem subjektiven Gefühl des personalen Wachstums feststellen. Es erscheint wahrscheinlich, daß die durchgeführte SET zu dieser relativ günstigen Entwicklung beigetragen hat.

     

    5. Weiterentwicklung der SET

    Weitere Erfahrungen mit Betreuungsformen, die die Selbst-Erhaltung bei Alzheimer-Kranken berücksichtigen und anstreben, werden sowohl in den Institutionen (Heime, Tagesstätten), wie auch in den Familien gemacht. Die entsprechenden Betreuungsprinzipien können weiterhin in Beratungsgesprächen und in Schulungsprogrammen vermittelt werden.

    Individuelle Programme zur Erhaltung des Selbst-nahen Wissens und spezielle psychotherapeutische Interventionen sind besonders für Patienten mit leichtgradiger Demenz geeignet und können im ambulanten Setting durchgeführt werden. Unsere ersten Erfahrungen motivieren zur Weiterentwicklung dieser Behandlungsform.

    Die ambulante Durchführung der SET ist zeitaufwendig. Insbesondere die Verwaltung der sehr umfassenden Daten ("externes Gedächtnis", Material für Übungsprogramme, Selbstwissen im Verlauf) erfordert Zeitinvestitionen, die im klinischen Rahmen nicht einfach eingebracht werden können. Eine Hilfe verspricht hier die Anwendung der Computertechnik. Ein Multimedia-PC eignet sich voraussichtlich als Träger des "externen Gedächtnisses" besser als die bis jetzt angewandten Ton- und Videobänder, Photoalben u.ä.. Er bietet die Möglichkeit, Informationen aus mehreren Quellen (z.B. Berichte des Patienten, Gedichte, Lieder) zusammenzutragen. Vor allem aber kann die Selektion der gespeicherten Informationen für bestimmte therapeutische Anwendungen leicht, wiederholbar und modifizierbar erfolgen. Weiterhin kann die Analyse der berichteten Erinnerungen zwecks Selbst-Diagnose und zur Verlaufsbeobachtung durch das Computersystem erleichtert werden. Eine Anwendung des Multimedia-Computersystems in der ambulanten SET-Praxis, mit der wir bereits die ersten Erfahrungen gemacht haben (Romero & Riederer, 1996), stellt keine Anforderungen an die Fähigkeiten des Patienten, das Gerät zu bedienen. Ein selbständiges Bedienen eines herkömmlichen Computers wird den meisten, auch leicht dementen Kranken, nicht möglich sein. Weitere technische Entwicklungen lassen allerdings Steuerungsformen erwarten, die auch den Kranken zugänglich sein können. Ein selbständiges Bedienen eines entsprechend vorbereiteten Programms würde die therapeutischen Möglichkeiten wesentlich erweitern. Vor allem könnten sich die Kranken regelmäßig zu Hause mit dem SET-Programm beschäftigen.

    Derzeit sind technische und konzeptuelle Voraussetzungen für die Anwendung von Multimedia-Computern zum Bewahren von Selbst-nahem Wissen und zur selbständigen Steuerung der Programme durch Kranke in Vorbereitung.

    Zum Abschluß dieses Beitrags soll erlaubt werden, ein Fragment der brillanten Erinnerungsintrospektion von Proust (1981) einzuführen. Dies nicht allein wegen der unübertrefflichen literarischen Form. Prousts Schilderung erlaubt vielleicht mehr Einblick in die für die Selbst-Erhaltung relevanten Gedächtnisgesetzmäßigkeiten, als es auf einer wissenschaftlichen Grundlage derzeit möglich wäre.

    Es war der Geschmack des in Lindenblütentee eingetauchten Sandtörtchens "Madelaine", das die ganze Kindheitswelt in den Erinnerungen des erwachsenen Mannes belebt hatte:

    "... Und wie in den Spielen, bei denen die Japaner in eine mit Wasser gefüllte Porzellanschale kleine, zunächst ganz unscheinbare Papierstückchen werfen, die, sobald sie sich vollgesogen haben, auseinandergehen, sich winden, Farbe annehmen und deutliche Einzelheiten aufweisen, zu Blumen, Häusern, zusammenhängenden und erkennbaren Figuren werden, ebenso stiegen jetzt alle Blumen unseres Gartens und die aus dem Park von Monsieur Swann, die Seerosen auf der Vivonne, die Leutchen aus dem Dorfe und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung, alles deutlich und greifbar, die Stadt und die Gärten auf aus meiner Tasse Tee." (S. 67)

     

    Die Entwicklung der Selbst-Erhaltungs-Therapie wurde von der Stiftung für Bildung und Behindertenförderung finanziell gefördert. Wir bedanken uns für diese Unterstützung.

    Diesen Beitrag widme ich in Dankbarkeit und Verehrung Professor Dr. med. H. Lauter zum 68. Geburtstag

     

    Anhang

    Merkblatt für Angehörige Alzheimer-Kranker:

    SICH SELBER VERGEWISSERN: PSYCHOLOGISCHE THERAPIE FÜR KRANKE MIT GEDÄCHTNISSCHWIERIGKEITEN

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    bei Ihrem Angehörigen liegt nach unseren Untersuchungen eine Gehirnerkrankung vor, die das Gedächtnis und zunehmend auch andere geistige Fähigkeiten beeinträchtigt. Sie haben sicher bemerkt, daß mit der Einschränkung der geistigen Fähigkeiten viele Veränderungen in das Leben des Kranken eingetreten sind. Die Betroffenen können ihre Arbeit nicht mehr so verrichten wie früher, gesellschaftliche Kontakte und andere gewohnte Aktivitäten werden eingeschränkt. Die Kranken können sich auf das eigene Gedächtnis nicht mehr verlassen, verspüren oft Unsicherheit und Angst, weil sie nicht wissen, ob sie das Richtige tun und sagen.

    Durch diese Schwierigkeiten geraten alle vertrauten Vorstellungen über die eigenen Fähigkeiten, über Aufgaben und über die Bedeutung für andere nahestehende Menschen ins Schwanken. Natürlich erlebt jeder Mensch die Schwierigkeiten etwas anders und zeigt auch nicht immer die ganze Verunsicherung.

    Wir haben ein therapeutisches Programm für Kranke entwickelt, die eine psychologische Hilfe zur Anpassung an die neue, durch die Beeinträchtigung stark veränderte Lebenssituation benötigen. Das Hauptziel der psychologischen Hilfestellung besteht darin, daß der Kranke besser zu sich selbst findet, mehr Selbstvertrauen und Zuversicht gewinnt. Den Weg dahin sehen wir in der Vergegenwärtigung der Lebensereignisse, die dem Kranken wichtig sind. Wir erinnern gemeinsam mit dem Kranken das, was ihn beschäftigt, was er gern und ohne große Schwierigkeiten erinnern kann. Familienphotos, illustrierte Reisebücher oder Musikaufnahmen bereichern solche gemeinsamen Betrachtungen der weit oder auch erst kurz zurückliegenden Ereignisse.

    Die psychologische Therapie wird in unserer Klinik ambulant durchgeführt und nimmt - wenn nicht anders vereinbart - eine Stunde Zeit pro Woche in Anspruch. Unabhängig davon ist es auch möglich und sinnvoll, daß Angehörige sich dazu beraten lassen, wie sie dem Kranken helfen können, sein seelisches Gleichgewicht zu erhalten.

    Zur psychologischen Therapie und zur psychologischen Beratung können Sie sich anmelden bei: (Adresse)

     

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    Dieser Text wird uns freundlicherweise von Frau Dr. Romero,
    Alzheimer Therapiezentrum der Neurologischen Klinik Bad Aibling,
    eMail: alzheimer@schoen-kliniken.de,
    zur Verfügung gestellt, wofür wir herzlich danken.

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    Letzte Änderung am 25.09.01

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