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Alzheimer Therapiezentrum der Neurologischen Klinik Bad Aibling, ein neues Behandlungsprogramm für eine neue Zielgruppe: Jahresbericht 1999

In Kooperation mit der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München (Direktor Prof. Förstl) hat 1999 die Neurologische Klinik Bad Aibling das Alzheimer Therapiezentrum aufgebaut und bietet seit Mai ein stationäres Behandlungsprogramm für Kranke mit fortschreitenden Hirnleistungsstörungen (dementiellen Erkrankungen) an.
Das Konzept der Selbsterhaltungstherapie (SET) wurde an der Psychiatrischen Klinik TU insbesondere von Frau Dr. Romero entwickelt. Frau Dr. Romero leitet jetzt das Alzheimer Therapiezentrum in Bad Aibling. Nach ihrem Konzept wird der betroffene Patient zusammen mit einem nahen Angehörigen (meist Ehepartner oder Lebenspartner, seltener Kind) aufgenommen, um neben der Überprüfung der Diagnose und einer medikamentösen Behandlung (meist Cholinesterasehemmer und Antidepressiva) noch vorhandene Ressourcen der Persönlichkeit des Demenz-Patienten zu erkennen.
Diese liegen häufig im emotionalen, sozialen und kreativen Bereich und werden durch das Team von Neuropsychologen, Arzt, Krankenschwester, Sozialpädagogin und Kunsttherapeutin zum Teil in Einzel-, zum Teil in Gruppentherapien gefördert.
Mit dem Angehörigen werden die Ressourcen und der adäquate Umgang mit dem Patienten besprochen und geübt und die weitere Lebensperspektive erarbeitet.
Ziel ist die Stabilisation des pflegenden häuslichen Umfeldes für den Patienten und damit auch die Vermeidung bzw. Verzögerung der Einweisung in eine Pflegeeinrichtung.
Durch Kontakte zwischen den Angehörigen ergibt sich darüber hinaus auch regelmäßig eine Unterstützung durch die Gruppe und anschließend Kontakte zu wohnortnahen Selbsthilfegruppen Auch dadurch kann eine wesentliche psychische Entlastung der Angehörigen erreicht werden.
Das ATZ Behandlungsprogramm wird von Forschungsstudien begleitet. In unsere Forschungsaktivitäten fließen Erfahrungen der ATZ Mitarbeiter, der Neurologischen Klinik Bad Aibling und der Psychiatrischen Klinik der TU München ein.
Die Münchener Universitätsklinik schaut auf eine lange Tradition der klinischen und wissenschaftlichen Arbeit im Demenzbereich zurück, die von Professor Lauter, Vorgänger im Amt von Prof. Förstl initiiert und von Professor Förstl fortgesetzt wird. Professor Förstl beteiligt sich an unseren Forschungsvorhaben und fördert die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus seiner Klinik. Im ersten Jahr des ATZ-Bestehens stand im Vordergrund unserer wissenschaftlichen Interessen die Beurteilung der Wirksamkeit unseres Behandlungsprogramms.

Das medizinisch und neuropsychologisch fundierte Rehabilitationskonzept für Demenzkranke ist angesichts der aktuellen demographischen Entwicklungen als zukunftsweisend anzusehen. In der BRD erkranken jährlich 200 000 Menschen an einer Demenz, in den nächsten Jahren ist ein deutlicher Anstieg der Zahl der Erkrankten zu erwarten (derzeit geschätzt auf 800 000 bis 1 Mill.).

Ziele der Rehabilitation bei Demenz

Nur wenige dementielle Erkrankungen sind derzeit heilbar. Bei der überwiegenden Anzahl der Patienten ist der Zustand chronisch und die Störungen nehmen, wie bei der Alzheimer-Krankheit, im Verlauf der Zeit zu. Nachgewiesenermaßen läßt sich jedoch der Verlauf dieser Krankheiten beeinflussen. Medikamente und vor allem günstige Lebensbedingungen können den Verlust geistiger Fähigkeiten verlangsamen und das Leid von Kranken und Angehörigen vermindern. Wir bieten eine umfassende Rehabilitation im Sinne einer erhaltenden Rehabilitation an, welche das Fortschreiten der Krankheit hinauszögern kann. Gleichzeitig können vermeidbare Störungen, wie z.B. stark auffälliges Verhalten, Aggressivität und Depressivität eingeschränkt oder verhindert werden.

Mitbetroffen von dem chronischen Leiden sind die betreuenden Angehörigen, die auf die krankheitsbedingten Veränderungen der nahestehenden Person nicht vorbereitet sind und sich oft überfordert fühlen. Es gehört zum Kern unseres Behandlungskonzeptes, daß Kranke immer in Begleitung eines betreuenden Angehörigen aufgenommen werden. Damit können wir sowohl den Kranken wirksamer helfen, als auch den Angehörigen Unterstützung und notwendige Erfahrung im Umgang mit dem Kranken vermitteln.

Insgesamt ist die Zielsetzung zukunftsorientiert, das heißt, daß die betroffenen Familien im Rahmen eines vierwöchigen stationären Aufenthaltes so auf die bevorstehenden Jahre mit der fortschreitenden Demenz vorbereitet werden, daß sie das Leben möglichst sinnvoll und erfüllend gestalten können.

Das Therapieangebot

Auch bei gleichen medizinischen Diagnosen ist die Situation jeder betroffenen Familie unterschiedlich. Unsere individuelle Behandlungsplanung ist auf dem Konzept der Selbst-Erhaltungs-Therapie von Frau Dr. Romero begründet und strebt eine Stabilisierung des Selbstverständnisses und Selbstwertes des Patienten durch geeignete Umgangsformen und Alltagsplanung an.

Die Patienten nehmen fünfmal pro Woche fünf Stunden am Tag an Einzel- und Gruppentherapien teil. Das Programm schließt eine psychologisch fundierte Therapie zur Erhaltung von biographischem Wissen, Kunsttherapie, Entspannung und andere Körperwahrnehmungsübungen (z. B. Partner - Massage), Musizieren, Sport, Alltagsaktivitäten und Freizeitgestaltung mit ein. Im ersten Schritt wird dabei ermittelt, über welche Interessen und Fähigkeiten der jeweilige Patient verfügt und mit welchen Hilfestellungen seine Möglichkeiten stabilisiert bzw. erweitert werden können. In weiteren Schritten wird eine individuell gestaltete Planung der Lebens- und Alltagsbeschäftigungen zu Hause zusammen mit den betreuenden Angehörigen vorgenommen. Dabei wird viel Wert auf die Vorbereitung der Inanspruchnahme von externen Hilfen (Laienhilfen, ambulante Pflege und Therapie, Tagesstätten u. a.) gelegt.

Begleitende Angehörige, deren Aufnahme nicht gesondert berechnet wird, also im Pflegesatz des Patienten eingeschlossen ist, nehmen an Angehörigengruppen, an psychologischen und psychosozialen Beratungsgesprächen, Entspannung und Freizeitaktivitäten teil. Sie bekommen die Gelegenheit, ihr Krankheitsverständnis und Erfahrungen im Umgang mit den Krankheitsfolgen zu erweitern. Fachliche Unterstützung, Austausch mit anderen Mitbetroffenen und nicht zuletzt durch die gesicherte Betreuung und Verpflegung der Kranken gewonnene Freiräume wirken sich direkt entlastend aus.

Medizinische Behandlung

Eine Voraussetzung für Rehabilitationsmaßnahmen stellt eine zuverlässige Diagnose und eine adäquate medikamentöse Behandlung dar. Die Qualität unserer Diagnosen hängt mit einem interdisziplinären Ansatz zusammen, wobei die neurologische, psychiatrische, neuropsychologische und neuroradiologische Expertenkompetenz miteinbezogen wird. Dem neuesten Entwicklungsstand entsprechend werden Patienten mit Substanzen behandelt, die nachgewiesenerweise den kognitiven Abbau günstig beeinflussen. Nach Bedarf werden auch nichtkognitive Symptome, wie vermehrte Unruhe oder Depressivität, medikamentös behandelt.


 

Behandelndes Team

Zu den Mitarbeitern des ATZ gehört eine Neuropsychologin (Leiterin), eine Assistenzärztin, eine Krankenschwester, eine Sozialpädagogin, eine Kunsttherapeutin und ein Neuropsychologe. Belastende Verhaltensauffälligkeiten der Patienten stellen an die Therapeuten besondere Anforderungen dar. Das engagierte interdisziplinäre Team ist bemüht, jedem Patienten und Angehörigen individuell gerecht zu werden und eine angenehme, tragende Atmosphäre in der Einrichtung zu sichern. Für die Supervision der medizinischen Behandlung ist ein Oberarzt zuständig.

Indikationen

Im ATZ können Patienten mit zu Demenz führenden Erkrankungen behandelt werden, also Kranke mit Alzheimer Demenz, Vaskulärer Demenz, Frontaler Demenz und anderen Demenzarten. Selbstverständlich behandeln wir sowohl ältere Kranke mit einer senilen Demenz als auch jüngere, präsenil erkrankte Patienten.

Kranke mit leichten aber auch fortgeschrittenen Hirnleistungstörungen können von der Behandlung profitieren, wenn sie an unseren Gruppenaktivitäten teilnehmen können. Hierbei kann sich auch eine passive Teilnahme, ohne eigene Initiative der Patienten, günstig auswirken. Natürlich unterscheiden sich unsere therapeutischen Empfehlungen für zu Hause entsprechend dem Demenzschweregrad. Solange jedoch die Möglichkeit besteht, eine weitere Verschlechterung zu verzögern und besonders belastende Komplikationen zu vermeiden, liegt auch bei fortgeschrittenen Demenzstadien ein Rehabilitationspotential vor.

Die Vorteile einer stationären Behandlung im ATZ

Unsere stationäre Behandlung beinhaltet intensive, interdisziplinär durchgeführte therapeutische Maßnahmen für Kranke und Angehörige. Ein vergleichbar umfassendes und fachlich fundiertes Behandlungsprogramm wird ambulant in der Regel nicht angeboten. Die Belastung, die mit einer stationären Aufnahme im ATZ verbunden ist, kann als zumutbar eingeschätzt werden. Erfahrungsgemäß gewöhnen sich Kranke nach wenigen Tagen an die neue Situation. Entscheidend dabei ist vor allem die Anwesenheit der Angehörigen, aber auch unser individuelles Eingehen auf die Bedürfnisse der Kranken. Kranke profitieren von der intensiven Zuwendung und von der anregenden Zeitgestaltung.

Gleichzeitig kann unser Programm nur als ein Glied der Versorgungskette chronisch Kranker verstanden werden. Wir streben - im Interesse der Betroffenen - Kontinuität der Hilfsmaßnahmen durch eine gute Zusammenarbeit mit den behandelnden Haus- und Fachärzten, Pflegediensten, Betreuungsstätten und Alzheimer-Gesellschaften an.

Einzugsgebiet

Aufnahmen können überregional erfolgen. Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit, Patienten aus anderen deutschsprachigen Ländern aufzunehmen. Vor der Aufnahme im ATZ ist bei der zuständigen Krankenkasse ein Antrag auf ein allgemeines stationäres Heilverfahren für den Patienten zu stellen. Dem Antrag soll eine ärztliche Bescheinigung beiliegen, in der die Diagnose genannt wird und die Behandlung in unserer Einrichtung befürwortet wird. Informationsmaterial zu unserer Einrichtung kann über die Klinikadresse (mit dem Vermerk: ATZ) angefordert werden.

Bisherige Erfahrungen und Ausblick

Erste Auswertung unserer Erhebungen zur Wirkung des Behandlungsprogrammes präsentieren wir weiter unten.

Die hohe Zufriedenheit mit dem Programm wie auch meßbare emotionale Entlastung und Stabilisierung, die sowohl bei den Kranken als auch bei den Patienten oft erreicht werden konnten, bestätigen uns in dem neuen Behandlungskonzept und ermutigen zur Etablierung und Weiterentwicklung des Programms.

Es ist nicht einfach für betroffene Familien, sich über neue Behandlungsmöglichkeiten, wie sie in unserer Klinik angeboten werden, zu informieren. Viele Angehörige haben vom ATZ von anderen Betroffenen erfahren, immer häufiger empfehlen behandelnde Ärzte das ATZ. Gerade die Empfehlung seitens des behandelnden Arztes kann eine wichtige Orientierungshilfe für einen Betroffenen bieten. Viele Familien, die den Aufenthalt im ATZ als hilfreich erlebt haben wünschen anderen Betroffenen, daß sie von behandelnden Ärzten mehr Informationen und Unterstützung bei Inanspruchnahme solcher Behandlungsmöglichkeiten erfahren. Die Altersstruktur unser Patienten zeigt, daß jüngere Kranke (und Angehörige) sich leichter für eine Behandlung im ATZ entscheiden als ältere. Da auch ältere Betroffene von der Behandlung profitieren und gerade wegen des Alters oft mehr Hilfe brauchen, muß in der Zukunft diese Gruppe besser erreicht werden. Ein therapeutischer Pessimismus bei Zuweisungen älterer Kranken wäre nicht begründet. Beunruhigend ist auch, daß Frauen in unserem Patientengut unterrepräsentiert sind. Den erkrankten Frauen kann die Behandlung gleichermaßen wie den erkrankten Männer empfohlen werden.

Als entscheidend wichtig hat sich die Teilnahme der Angehörigen am Behandlungsprogramm erwiesen. Sie trägt nicht nur wesentlich zum psychischen Komfort der Kranken und Angehörigen bei, ermöglicht aber vor allem gemeinsame Vorbereitung auf den Alltag zu Hause. Da Demenzkranke nicht als Informationsträger fungieren können, erscheint ein Rehabilitationsprogramm ohne Angehörige nicht sinnvoll. Eine gleichzeitige psychische Stabilisierung der Angehörigen hilft, die schwierige Betreuungsaufgabe weiter zu tragen und kann eine vorzeitige Heimüberweisung verhindern.

Erfreulicherweise zeigen die Krankenkassen grundsätzlich eine Bereitschaft, Behandlungskosten zu übernehmen. Die Regelung von Formalitäten war allerdings für die betreuenden Angehörigen zum Teil beschwerlich. Nur in Einzelfällen wurden Anträge abgelehnt. Ein kontinuierlicher Kontakt mit den MD und den Krankenkassen kann sicherlich helfen, Mißverständnisse in der Zukunft zu vermeiden.

Unser Behandlungsprogramm weckt in Deutschland und zum Teil auch international lebendiges Interesse in den Fachkreisen. Wir freuen uns über die vielen, auch ausländischen, Hospitanten und über Kontakte mit Klinischen- und Forschungszentren, mit denen wir weiter an der Entwicklung von Rehabilitationskonzepten für Demenzkranke zusammenarbeiten werden.

Beurteilung der Wirksamkeit des Behandlungsprogramms im Alzheimer Therapiezentrum (ATZ)

Von unserem Behandlungsprogramm ist zum einen ein günstiger Einfuß auf die Stimmung, auf Verhaltensauffälligkeiten wie auch auf die Teilnahme am sozialen Leben und auf Alltagsbeschäftigungen bei Patienten zu erwarten. Gleichzeitig wird eine Stabilisierung der Stimmung und eine Entlastung der betreuenden Angehörigen angestrebt. Bei den zukunftsorientierten Zielen kann sich die Hauptwirkung erst längerfristig in der Zeit nach der Behandlung entfalten und katamnestisch erfaßt werden. Nicht zu erwarten ist bei den fortschreitenden Demenzerkrankungen eine Besserung im Bereich der einzelnen Funktionen (kognitiven Fähigkeiten oder einfachen Alltagstätigkeiten).

Im Folgenden schildern wir eine erste Analyse der unmittelbaren Wirkung der 1999 durchgeführten Behandlungen. Verglichen wurden dabei Erhebungen, die am Anfang der Behandlung (direkt nach der Aufnahme im ATZ) und vor der Entlassung (ca. 3 Wochen Zeitintervall) vorgenommen wurden. Damit können erste Hinweise zur Wirkung des Behandlungsprogramms gewonnen werden. Katamnestische Erhebungen sind für die nächsten Monate und Jahre geplant.

In die Auswertung wurden 42 Patienten und Angehörige aufgenommen. Für einige Personen/Verfahren liegen keine verwendbaren Daten vor, was in unterschiedlichen Zahlen der untersuchten Personen resultierte. Grundsätzlich sind nur Werte von Personen mit einbezogen, die mindestens 3 Wochen lang (meist 4 Wochen) an der Behandlung teilgenommen haben.

Demographische und klinische Daten zu den untersuchten Patienten

Unsere Patienten waren im Durchschnitt relativ jung: der Median betrug 68 Jahre, die jüngste Patientin war 45 Jahre alt, der älteste Patient war allerdings 90 Jahre alt. Ein relativ hoher Anteil der Patienten, 24 der 42 hier Analysierten, war präsenil erkrankt. Der Frauenanteil (n=13) war mit 31 % relativ niedrig.

Bei den meisten der 42 Patienten, die in diese Auswertung aufgenommen wurden, lag ein mittelgradig ausgeprägtes Demenzsyndrom vor, wobei auch leicht und schwer demente Kranke am Behandlungsprogramm teilgenommen haben. Der Demenzschweregrad wurde u. a. mit dem Mini Mental State Test (MMST, Folstein et al., 1975) erfaßt. Mit diesem international anerkannten Verfahren läßt sich die Ausprägung kognitiver Beeinträchtigungen bei Demenz abschätzen. Niedrigere Werte (max. 30) bedeuten stärker ausgeprägte kognitive Beeinträchtigungen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Verteilung der MMST-Werte (Niedrige Werte bedeuten stärker ausgeprägte kognitive Beeinträchtigungen)

Depressivität bei Patienten

Die Stimmung der Kranken wurde mit der Cornell Depressions Skala (Alexopoulos et al. 1988) erfaßt. Dieses speziell für Demenzkranke entwickelte Verfahren haben wir den Angehörigen zwei mal zur Fremdbeurteilung vorgelegt. Niedrigere Werte bei der Entlassung deuten darauf hin, daß die Depressivität in der Gruppe reduziert werden konnte. Der Unterschied zwischen Aufnahme und Entlassung war statistisch signifikant (Wilcoxon-Test) (Tabelle 1).
 
  Aufnahme Entlassung P*
Cornell-Skala

(n=38)

10

2-23

5,5

1-20

< 0,001

Tabelle 1: Depressionswerte der Patientengruppe im Zeitvergleich (Mediane & Streubreiten). Höhere Werte (max. 36) bedeuten stärker ausgeprägte Depressivität.

* Wilcoxon Test

Ein Skalenwert von mehr als 8 Punkten ist nach den Normen des Verfahrens als auffällig zu interpretieren. Erhöhte Werte wurden bei der Aufnahme von etwa 70% der untersuchten Gruppe (26 Patienten) gefunden. Bei der Entlassung wurden auffällige Werte bei 14 Patienten erfaßt, das heißt, daß keine vollständige Besserung erreicht werden konnte, jedoch die Häufigkeit der auffälligen Werte um etwa die Hälfte reduziert wurde. Der Anteil der Personen mit auf über 11 Punkte erhöhten Skalenwerten, die auf eine klinisch relevante Depressivität deuten, betrug bei der Aufnahme 40% (15 Personen), bei der Entlassung 18% (7 Personen).

Verhaltensauffälligkeiten bei Patienten

Die CERAD-Verhaltensbeurteilungsskala (Tariot et al., 1995), ein halbstandardisiertes Interview mit dem Angehörigen, wurde eingesetzt, um Verhaltensstörungen und andere psychopathologische Symptome bei den Patienten zu erfassen. Beurteilt werden u. a. vermehrte Unruhe, Aggressivität, unkooperatives Verhalten, Antriebsmangel, Wahnvorstellungen und andere, sogenannte nichtkognitive Störungen. Es zeigte sich eine Abnahme der erfaßten psychopathologischen Symptome im Vergleich zwischen Aufnahme und Entlassung (Wilcoxon-Test: p < 0,001, vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Ausprägung von Verhaltensstörungen bei Aufnahme und Entlassung (n=32). Höhere Werte bedeuten eine stärkere Ausprägung der Verhaltensstörungen.

Weiterhin wurde den Angehörigen (n=42) ein von uns entwickelter Bogen mit Fragen nach Verhaltens- und Stimmungsveränderungen der jeweiligen Kranken, nach der Behandlung vorgelegt. Dabei bezogen sich 8 Fragen auf gewünschte Veränderungen (z. B.: "Er/Sie ist selbstsicherer als zuvor") und 8 Fragen auf unerwünschte Entwicklungen (z. B.: "Er/Sie ist unsicherer als zuvor"). Im Durchschnitt wurden 7,5 Punkte für positive Veränderungen pro Patient (max.: 16 Punkte) und 2 Punkte für negative Veränderungen (max. ebenfalls 16 möglich) erfaßt.

Globale Beurteilung der alltagsrelevanten Beeinträchtigungen bei Patienten

Zur globalen Beurteilung der alltagsrelevanten Beeinträchtigungen bei Demenz wird in den Evaluationsstudien oft die Nurses Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER, Spiegel et al., 1991) eingesetzt. Jeweils 5 der 30 Items der Skala bilden eine Subskala: "Gedächtnis", "IADL" (instrumental activities of daily living), "ADL" (activitis of daily living), "Stimmung", "Soziales Verhalten" und "Störendes Verhalten". Das Fremdbeurteilungsverfahren haben wir den Angehörigen zu Beginn und am Ende der Behandlung vorgelegt, die Ergebnisse sind in Abbildung 3 dargestellt. Auf den Subskalen: "Stimmung" und "Störendes Verhalten" konnte eine statistisch signifikante Abnahme der Beeinträchtigungen erfaßt werden (Wilcoxon-Test: (p = 0,02 und p = 0,03). Der positive Trend im Bereich: "soziales Verhalten" ließ sich bei der Gruppengröße und bei großer individueller Varianz in dieser Analyse nicht statistisch sichern. Erwartungsgemäß zeigte sich keine signifikante Veränderung des Gedächtnisses.
 
 

Abbildung 3: Beeinträchtigungen im Alltagsverhalten auf der NOSGER-Skala (n=38). Höhere Werte bedeuten eine stärkere Ausprägung der Beeinträchtigungen.

Stimmung und allgemeine Befindlichkeit bei Angehörigen

Bei den Angehörigen ergab sich in dem Vergleich zu Beginn und zum Ende der Behandlung insgesamt eine Besserung der Stimmung und der allgemeinen psychischen Verfassung. Als Meßverfahren wurden die Allgemeine Depressions Skala (ADS), Langform (Hautzinger, Bailer 1993) und der Mehrdimensionale Befindlichkeitsfragebogen (MDBF, Steyer et al., 1997) eingesetzt.

Niedrigere Werte in der ADS bei der Entlassung deuten darauf hin, daß die Depressivität in der Angehörigengruppe reduziert werden konnte (Wilcoxon-Test:p<0,0001). Auch zu dem Entlassungszeitpunkt blieben allerdings in Einzelfällen die Depressivitätswerte erhöht (Abbildung 4). Bei der Aufnahme wurden bei etwa 50% der Untersuchten auffällig hohe Werte erfaßt (über den kritischen Wert von 23 Punkte), bei der Entlassung nur noch bei 14% (4 Personen).

Höhere Werte in den drei Unterskalen des MDBF zeigen eine Verbesserung der Stimmung wie auch eine Abnahme der chronischen Müdigkeit und des Unruhegefühls (Abbildung 5). Die Prä- Postunterschiede waren statistisch signifikant (Wilcoxon Test: Stimmung: p=0,004, Wachheit: p=0,005, Ruhe: p=0,002)

Abbildung 4: Depressivität bei den Angehörigen bei Aufnahme und Entlassung (n=29). Höhere Werte bedeuten eine stärkere Ausprägung der Depressivität.

Abbildung 5: Befindlichkeit der Angehörigen bei Aufnahme und Entlassung (n=40). Höhere Werte bedeuten eine bessere Befindlichkeit.

Zufriedenheit mit der Behandlung

Vor der Entlassung wurde den Familien (n=36) der klinikinterne Fragebogen zur Zufriedenheit mit der Behandlung vorgelegt. In den meisten Fällen wurde der Fragebogen von den Angehörigen ausgefüllt. Im Folgenden sind die Ergebnisse zu einer der Fragen dargestellt (Abbildung 6). Die Ergebnisse belegen insgesamt eine hohe Zufriedenheit mit unserem Behandlungsprogramm, die oft auch in nichtformalen Gesprächen zum Ausdruck gebracht wurde.

Abbildung 6: Wie zufrieden sind Sie mit dem Therapieerfolg, den Sie während der Behandlung erreicht haben ? (n=36)
 

Schlußfolgerungen und Ausblick

Wir konnten die unmittelbare positive Wirkung unseres 3 - 4-wochigen Behandlung psychometrisch erfassen. Dabei wurde ein globales Ergebnis der vielen wirkenden Faktoren erfaßt. Zu den Einflußfaktoren zählten gezielte therapeutische Unterstützung, vermehrte soziale Kontakte, anregende Erlebnisse und nicht zu letzt Medikamente, die oft neu eingestellt wurden. Eine Analyse der Faktoren, die zu den Behandlungerfolgen besonders beitragen bzw. sie verhindern, ist in Vorbereitung. Zu den beeinflußbaren Faktoren gehören unsere Therapiemethoden. Gerade in einem so neuem Feld wie Rehabilitation bei Demenz ist eine kritische Analyse und Weiterentwicklung von Therapiemethoden, auch unter der Berücksichtigung der unterschiedlichen Diagnosegruppen, notwendig.

Mit der vorgelegten Analyse ließ sich sowohl bei den Kranken als bei den Angehörigen eine Besserung der Stimmung nachweisen. Bei den Patienten nahm darüber hinaus auffälliges Verhalten ab, Angehörige fühlten sich ruhiger und entspannter.

Nicht immer entspricht eine positive und statistisch gesicherte Veränderung der Skalenwerte einer alltagsrelevanten, gewünschten Veränderung. Die von uns durchgeführte Analysen der Gruppenwerte können nur den ersten Anhaltspunkt für Auftreten der meßbaren Behandlungserfolgen bieten. Von weiteren Interesse ist das Ausmaß und die Verteilung der erzielten Veränderungen, wobei die Subgruppen mit besonderen Erfolgen bzw. besonders therapieresistenten Patienten identifiziert werden können. Zumindest ein Teil der dargestellten Ergebnisse, wie die Reduktion der Depressionswerte in den beiden Gruppen, kann bereits derzeit als gut gesichert und alltags- bzw. klinisch relevant gesehen werden. Insgesamt ermutigen die bisherigen Ergebnisse zur weiteren Entwicklung der angewandten Behandlungsmethoden und vor allem zur Sicherung der Erreichbarkeit des Behandlungsprogramms für möglichst viele Betroffene.

Veröffentlichungen 1999-2000

Berner, A. (1999): Soziale Unterstützung (Social Support)- erste Forschungsergebnisse und sozialpädagogische Interventionen in der Rehabilitation, In: Schmidt H. - L., Hischer, E. (Hrsg.): Rehabilitation und Sozialwelt. ESOPA, Eichstätt, , S. 29 - 45

Romero, B. (1999): Rehabilitative Ansätze bei Alzheimer-Krankheit: die Selbsterhaltungstherapie. In: Frommelt P., Grötzbach H. (Hrsg.): Neurorehabilitation: Grundlagen, Praxis, Dokumentation. Blackwell Wissenschaftverlag, S. 531-540

Romero B., Wenz M. (2000): Wie kann das Beste erhalten bleiben: Vorbereitung auf das Leben mit fortschreitender Demenz sowie Behandlungskonzept in Alzheimer Therapiezentrum Bad Aibling. In: Fortschritte und Defizite im Problemfeld Demenz. Referate auf dem 2. Kongreß der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Berlin, 9.-11. September 1999, S. 111-121

Urbas S. (2000): Kunsttherapie mit Demenzkranken. In: Fortschritte und Defizite im Problemfeld Demenz. Referate auf dem 2. Kongreß der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Berlin, 9.-11. September 1999, S. 179-187

Baier B., Romero B. (im Druck): Rehabilitationsprogramme und psychoedukative Ansätze für Demenzkranke und betreuende Angehörige. In Förstl H. (Hrsg.) Demenzen in Theorie und Praxis, Springer-Verlag

 

Im WWW

 


 

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