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ZNS-SPEKTRUM |
Angehörigen-Arbeit in Alzheimer-Gruppen© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln |
Interview mit Dr. med. Jens Bruder, ehemaliger 1. Vorsitzender der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. In Europa gibt es zur Zeit 21 nationale Alzheimer Gesellschaften. Deutschland war 1989 der 13. Staat, in dem eine solche Selbsthilfeorganisation gegründet wurde. Die Entwicklung hatte 10 Jahre zuvor in Großbritannien begonnen. Seit dem 3. März 1997 ist Dr. med. Jens Bruder neuer erster Vorsitzender der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Demenz-Spektrum (DS) nutzte die Gelegenheit, den Hamburger Psychiater und Demenz-Experten über Nutzen und Probleme der Selbsthilfebewegung für Demenz-Kranke zu befragen. DS: Herr Dr. Bruder, welche Vorteile bieten Selbsthilfegruppen für Angehörige von Alzheimer-Kranken? Dr. Bruder: Der Austausch mit ähnlich betroffenen Menschen relativiert die Probleme und entlastet durch die Erfahrung, daß man kein Einzelschicksal hat. Die Gruppe stiftet neue Sozialkontakte, die bei Familien mit einem dementen Mitglied meist abgenommen haben. In der Gruppe lernt man am Beispiel anderer, die eigenen Grenzen als pflegender Angehöriger realistischer einzuschätzen, und erfährt, welche Ressourcen und Defizite für Demenz-Kranke typisch sind. Vor allem für Angehörige, die sonst keine Menschen haben, denen sie ihr Herz ausschütten können, ist es wohltuend und hilfreich, bislang unausgesprochene Gedanken und Gefühle einmal ausdrücken zu können. Von Gleichbetroffenen kann man am ehesten erwarten, daß sie sich einfühlen, für die Situation Verständnis entwickeln, das Geleistete beurteilen und passende Rückmeldungen geben können. Viele Angehörige genießen es auch, in einer Selbsthilfegruppe sich einmal als Fachmann oder Fachfrau erleben und anderen wertvolle Tips oder Adressen geben zu können. Die Erfolge anderer machen Mut. Neueste Untersuchungen zeigen, daß die Teilnahme an Angehörigen-Gruppen auch dann noch sinnvoll ist, wenn der Demenz-Kranke dauerhaft in ein Heim aufgenommen worden ist. Dann fällt zwar die akute Belastung durch pflegerische Tätigkeiten weg, zusätzlich treten aber in einem hohen Prozentsatz emotionale Probleme auf, beispielsweise Schuldgefühle, Trauer und depressive Verstimmungen (Rothenhäusler u. Kurz 1997). Indem Angehörigen-Gruppen durch ihre seelisch entlastende bzw. stützende Funktion eine längere häusliche Betreuung der Kranken ermöglichen, ersparen sie der Gesellschaft nicht nur Kosten, sie schützen die Angehörigen auch vor den genannten emotionalen Folgen einer Heimaufnahme. DS: Kann die Gruppenteilnahme auch "Nebenwirkungen" haben, etwa weil die Gruppenmitglieder zusätzlich zu ihrem eigenen Schicksal noch mit dem anderer Familien konfrontiert werden? Dr. Bruder: Diese Sorge ist unnötig, aber leider weit verbreitet. Möglicherweise hält sie viele Betroffene davon ab, sich Selbsthilfegruppen anzuschließen. Untersuchungen zeigen zumindest, daß Angehörige mit Kontakten zu ähnlich Betroffenen seelisch gesünder sind als isoliert lebende Angehörige (Pillemer u. Suitor 1996). Natürlich kann man nicht ausschließen, daß psychisch beeinträchtigte Angehörige weniger bereit sind, sich einer Gruppe anzuschließen, so daß sich in der Gruppe letztlich die Gesünderen treffen. Interessant erscheint auch die Beobachtung, daß der Zusammenhang zwischen seelischem Wohlbefinden und Kontakten zu ähnlich Betroffenen nicht an die Existenz offizieller Gruppen gebunden ist. Ein persönliches soziales Netzwerk scheint den gleichen Effekt zu erzielen. Solche Netzwerke herzustellen, könnte eine sinnvolle Aufgabe des Hausarztes sein, etwa indem er selbst eine entsprechende Gesprächsgruppe anbietet. Leider sehen die Gebührenordnungen für derartige Leistungen keine Abrechnungsziffer vor. DS: Wie verbreitet sind Gruppen für Angehörige von Demenz-Kranken in Deutschland und nach welchen Prinzipien arbeiten sie? Dr. Bruder: Eine von Wormstall und Kollegen (1996) bundesweit durchgeführte Befragung, an der sich 84 Gruppen aktiv beteiligten, gibt erstmals umfassenden Aufschluß. Danach werden fast alle Gruppen offen geführt. Rund 70 Prozent bestanden schon mehr als ein Jahr, rund 20 Prozent sogar schon mehr als 5 Jahre. Vier Fünftel der Gruppen haben zwischen 6 und 15 Teilnehmern, die sich meist monatlich treffen. 65 Prozent der Gruppen hatten einen professionellen Leiter. Rund drei Viertel der Gruppen waren Institutionen und Dachverbänden angegliedert. Schwerpunktmäßig boten die Gruppen Informationen und pflegerische Entlastung an. DS: Wie ließe sich die Arbeit noch optimieren? |
Gründungsjahre von Alzheimer Gesellschaften in Europa 1979 Großbritannien 1983 Belgien, Irland 1984 Niederlande 1985 Frankreich, Italien 1986 Finnland, Schweden, Spanien 1987 Luxemburg 1988 Norwegen, Schweiz 1989 Deutschland 1991 Dänemark, Polen 1992 Österreich, Rumänien 1994 Griechenland, Slowenien, Ukraine 1995 Portugal |
Dr. Bruder: Vermutlich ließen sich die Gruppen noch besser bzw. häufiger nutzen, wenn gleichzeitig eine Betreuung der Demenz-Kranken gewährleistet würde. Viele Angehörige haben niemanden, der sich während der Gruppensitzung um den Kranken kümmert. Möglicherweise könnte es in Deutschland noch weitaus mehr Angehörigen-Gruppen geben, wenn ausreichend viele qualifizierte Leiter zur Verfügung stehen würden, beispielsweise auch Hausärzte. Diese zu schulen, könnte zum Beispiel eine wichtige Aufgabe der Alzheimer-Gesellschaften sein, die ja bereits eine einschlägige Broschüre anbietet ("Aufbau von Angehörigengruppen für Alzheimer-Kranke"). Erfahrungsgemäß ist es günstig, wenn die Gruppen einer größeren Einrichtung angeschlossen sind, da sie dann deren Räumlichkeiten, Organisationsstruktur und Kompetenz nutzen können (z.B. in Form von Telefonberatungen oder speziellen Sprechstunden). Damit sowie mit günstigeren Anfahrtswegen mag zusammenhängen, daß sich Angehörigen-Gruppen vor allem in größeren Städten finden. Angehörige von Demenz-Kranken sind meist schon älter und allein schon durch ihre Betreuungsaufgaben so hoch belastet, daß es sie überfordern würde, zusätzlich auch noch eine Selbsthilfe-Gruppe aufbauen zu müssen. Die Gruppentermine sollten möglichst am Nachmittag liegen, da ältere Leute abends oft nicht mehr gerne das Haus verlassen. Eine Dauer von 1,5 Stunden und die Leitung durch zwei Personen hat sich bewährt. DS: Herr Dr. Bruder, vielen Dank für dieses Gespräch. Literatur: H.-B. Rothenhäusler, A. Kurz: Emotionale Auswirkungen einer Heimunterbringung Alzheimererkrankter auf deren Ehepartner. Zeitschrift für Gerontopsychologie und -psychiatrie 1997 (10) 61-69;K. Pillemer, J. J. Suitor: "It takes one to help one": effects of similar others on the well-being of caregivers. J. Gerontol. 1996 (51B) S250-S257; H. Wormstall u.a.: Die deutschen Alzheimer-Angehörigengruppen. Nervenarzt 1996 (67) 751-756
Kurzportrait: Deutsche Alzheimer Gesellschaft Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft ist ein nationaler Dachverband, in dem sich bundesweit mittlerweile mehr als 170 Gruppen mit schätzungsweise über 1.000 aktiven Mitgliedern zusammengeschlossen haben. Das Büro informiert über regionale Kontaktadressen, berät und stellt gegen einen Unkostenbeitrag Informationsmaterial zu folgenden Themen zur Verfügung:
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