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Ein Tag mit einer an Alzheimer Erkrankten.

von Johannes Hinzsch

Es ist gegen 4 Uhr in der Frühe.
Es wird unruhig im Nebenbett. Sie zieht ihre Hausschuhe an und zieht die Bettdecke glatt. Nun läuft sie in Richtung Wohnzimmer kehrt aber wieder um.
Ich schalte das Licht ein und frage: „Willst du aufs Klo?“
„Ja, wo ist das?“
„Du gehst durch das Wohnzimmer und dann kommt eine Türe, das steht dran: ‚Hier ist unser Klo’ da gehst du rein.“
Sie setzt sich in Bewegung, kehrt aber wieder um.
„Ich denke du musst aufs Klo?“
„Nein muss ich nicht.“
Geht wieder ins Bett. Mache ich eben das Licht wieder aus.
Es ist inzwischen gegen 6 Uhr.
„Ich muss jetzt aufstehen.“
„Nein, musst du nicht. Es ist 6 Uhr. Wir schlafen noch 2 Stunden.“
Gegen 6.30 das gleiche Spiel.
Eine halbe Stunde später.
„Jetzt zieh ich mich an.“
„Ach komm, es ist erst 7 Uhr ich bin noch müde.“
„Schlaf ich halt auch noch.“
Als das gleiche Spiel um halb acht wieder beginnt, gebe ich auf.
„Hör mal her, jetzt geh ich mich waschen und rasieren und dann komm ich wieder.“
„Dann bin ich ja so allein.“
„Ich bin doch gleich wieder da.“
„Ich komm mit.“
„Du brauchst dich doch nicht rasieren. Schlaf noch, bis ich zurück bin.“
Ich rasiere mich gerade, da steht sie wieder in der Türe.
„Was machen wir jetzt?“
„Geh du wieder ins Bett und schlaf noch mal.“
Sie zieht wieder ab.
Ich geh in die Küche Kaffee und Tee kochen und das Frühstück richten.
Da steht sie wieder da, den Büstenhalter in der Hand.
„Hilfst du mir mal?“
„Leg dich noch mal hin, ich bin hier bald fertig.“
Sie geht wieder.
Ich bin in der Küche soweit fertig und geh wieder ins Schlafzimmer. Sie hat inzwischen ihr Bett gemacht, so gut wie sie es eben noch kann. Ihr Hemd und den Büstenhalten hat sie aufs Bett gelegt.
„Was machen wir jetzt?“
„Wir ziehen uns an. Zieh dein Nachthemd aus.“
Da nimmt sie ich ihr Hemdchen in die Hand.
„Das da?“
„Ach doch nicht das. Dein Nachthemd das du an hast sollst du ausziehen.“
Ich will ihr helfen und fasse unten an. „Lass das.“ Aber sie hat nun doch kapiert.
„Das ist der Ilse ihres.“
(Sie hat einmal von Ihrer Schwägerin Ilse eines geschenkt bekommen, jetzt sind alle Nachthemden – der Ilse ihre. Ich habe es längst aufgegeben das richtig zustellen.)
Jetzt legt sie erst einmal das Nachthemd zusammen und legt es unter das Kopfkissen. Mit dem Büstenhalter klappt es ganz gut, aber beim Hemdchen gibt es wieder Probleme. Nun ist ein neues Höschen anzuziehen. Aber, dass man vorher das alte ausziehen muss, das kann sie nicht recht verstehen. Das klappt dann aber auch.
Ich lege ihr das leichte Sommerkleid hin und sage: „Jetzt gehst du dich waschen und dann ziehst du das Kleid an.“ Beim Waschen muss ich natürlich auch helfen.
Dann gehe ich in die Küche um ihre Tabletten zu richten. Da steht sie dann wieder da, natürlich ohne Kleid.
„Und was machen wir jetzt?“
„Du sollst doch dein Kleid anziehen.“
„Welches Kleid?“
„Ich habe es dir doch hingelegt.“
So gehe ich eben wieder mit ins Schlafzimmer. Das Kleid hängt wieder schön auf dem Bügel. Ich kann nur den Kopf schütteln und gebe es ihr eben wieder. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr beim Anziehen zu helfen.
„Was machen wir jetzt? Gehen wir noch einmal schlafen?“
„Jetzt gehen wir erst einmal frühstücken.“
„Ich muss aufs Klo, wo ist das?“
„Ich geh mit und zeig es dir.“
Nachdem das erledigt ist, muss ich erst mal rein und spülen und das Licht ausmachen.
„Hier sind deine Tabletten, die musst du schlucken. Die müssen runter in den Bauch.“ In letzter fängt sie an die Tabletten wie Bonbons zu lutschen. Für die Kalktabletten hab ich zum Glück Brausetabletten bekommen. „Zeig mal deine Zunge. - Du sollst doch die Tabletten runter schlucken in den Bauch.“ Schließlich klappt es dann doch.
Dann kann das Frühstück beginnen. Solange noch Kuchen vom Sonntag da ist, gibt es den. An den anderen Tage bekommt sie Milchbrötchen mit Honig. Die Brötchen aufschneiden, das mach ich schon seit längerem. Das könnte sie auch nicht mehr.
Butter drauf streichen, das lass ich sie noch machen. Wenn zuviel oder zu wenig drauf ist macht das nichts. Honig mach ich ihr dann drauf.
Gut zureden, dass sie noch etwas isst, muss ich dann immer wieder. Dann ist ihr der Tee noch zu heiß, aber schließlich werden wir doch fertig.
„Und was machen wir jetzt.“
„Zuerst einmal das Geschirr in die Spülmaschine und dann den Rest abwaschen. Du kannst helfen abtrocknen.“
Das macht sie zwar jeden Tag drei Mal, aber wo das Geschirrtuch ist und was sie abtrocknen soll, das muss ich immer wieder erklären. Am Ende klappt es dann doch.
Dann geht es weiter: „Und was machen wir jetzt? - Gehen wir jetzt heim?“
„Das geht nicht, hier sind wir daheim.“
„Die warten doch zu Hause auf mich. Fährst du mich hin?“
„Ach Schatz, das ist doch heute viel zu heiß zum Autofahren.“
„Die zwei, die gestern da waren, kommen die heut wieder.“
Es war gestern niemand da. Es kommt mir so vor, als wenn sie meint, die Leute, die sie im Fernsehen sieht, waren wirklich bei uns gewesen.
„Was machst du jetzt mit mir?“
„Du bleibst einfach bei mir, da bist du gut versorgt.“
„Mir tut alles weh, wo kann ich hin?“
„Wenn du aufs Klo musst, dann ist das hier.“
Ich zeige in die Richtung wo es ist. Sie geht, öffnet aber die gegenüber liegenden Türen des Schrankes. „Ach, doch nicht da. Auf der anderen Seite, es steht doch dran: „Hier ist unser Klo“. Danach wieder nachsehen, ob alles in Ordnung ist.
„Die zwei Frauen die da waren, kommen die heute wieder?“
„Wen meinst du?“
„Wo ist der Papa? Hast du ihn nicht gesehen?“
„Ich bin der Papa. Einen anderen haben wir nicht.“
„Hat er dir nicht gesagt, wo er hingeht?“
„Mir sagt keiner was.“
So in der Art sind die Gespräche des Tages. Mit vielen Fragen weis ich beim besten Willen nichts anzufangen.
Dann muss ich einkaufen gehen. Mitnehmen kann ich sie nicht mehr. Erstens will sie nach ein paar Minuten schon wieder raus aus dem Laden. „Komm wir gehen wieder.“ Und außerdem möchte sie jede Flasche, die aussieht als wäre Rotwein drin, mitnehmen.
Ich hatte schon Sorge, dass sie Alkoholiker ist, denn in unserer früheren Wohnung hatte sie alle erreichbaren Flaschen geleert. Doch nun trinkt sie den roten Traubensaft widerspruchslos als Rotwein und Herva für Sekt.
Ich gehe also jetzt alleine zum Einkaufen und sie will auch nicht mehr mitgehen. Den Fernseher habe ich eingeschaltet, damit sie was zum anschauen hat. Sie bekommt zwar nicht mehr mit um was es geht, aber es bewegt sich halt etwas. Besonders die schönen Frauen mit ihren roten Lippen und schönen Locken haben es ihr angetan.
Als ich wieder zurück bin, sitzt sie noch in ihrem Sessel vor dem Fernseher.
„Hast du mir was mitgebracht?“
„Ich hab gekauft, was wir brauchen.“
Dann wird es Zeit, das Mittagessen zu richten. Es gibt Bratkartoffeln mit Speck und Salat. Die Kartoffeln hatte ich vor dem Einkaufen gekocht. Ich musste dann halt warten, bis sie fertig waren. Meinen Schatz konnte ich damit nicht mehr beauftragen, das hätte nicht geklappt. Wir hatten früher einen Gasherd, den kannte sie ja seit Jahren. Jetzt haben wir einen Elektroherd, damit kennt sie sich nicht mehr aus und ich zeig ihr auch nicht mehr wie der funktioniert.
Ich gehe also in die Küche um erst einmal alles vorzubereiten. Meine Liebe kommt:
„Soll ich dir helfen?“
„Ach lass mal ich mach das schon.“
Kartoffeln schälen, wie das geht, das hat sie vergessen. Dann in Scheiben schneiden das geht auch nicht mehr, sie schnippelt alles ganz klein. Beim Salat richten ist es das gleiche. Also sage ich: „Gehe wieder in die Stube ich sag dir, wenn ich dich brauche.“
„Wo ist die Stube?“
Gehe ich halt mit.
„Niemand ist da der mir was zu trinken gibt.“
Hol ich ihr eben ein Glas und eine Flasche Herva. Die angebrochene Flasche nehme ich wieder mit. Sie hat schon mal mit Herva die Blumen gegossen. Dann ist auch das Mittagessen fertig.
„Schatz komm, das Essen ist fertig.“
„Wohin soll ich kommen?“
„Ach, du weist doch, natürlich in die Küche.“
„Wo ist die Küche?“
Hole ich sie eben.
Dann wie am Morgen, das Problem mit den Tabletten.
Ich mache ihr eine kleine Portion Kartoffeln und Salat zurecht. Sie isst nicht mehr viel. Gut zureden, dass sie ihre Portion aufisst, das muss ich mehrmals. Zwischendurch immer mal wieder die Frage: „Und was machen wir jetzt.“ Meine Antworten fallen unterschiedlich aus.
Dann wieder das Geschirr in die Spülmaschen und eben das Gleiche wie nach dem Frühstück.
Es ist heute zu heiß, um einen Spaziergang zu machen. So hole ich die Gartenstühle aus dem Schuppen und stelle sie unter dem Apfelbaum in den Schatten. Ich hole noch was Kühles zum Trinken und wir setzen uns raus. Aber wenn ich denke, ich hätte nun eine Ruhepause, dann ist das ein Irrtum. Mach einigen Minuten die Frage: „Bringst du mich heim?“
„Du bist doch hier bei mir daheim.“
„Ach sei doch lieb, du hast doch ein Auto. Fahr mich nach Hause.“
„Bei der Hitze kann man nicht mit dem Auto fahren.“
„Dann lauf ich eben alleine.“
„Das kannst du nicht, es ist viel zu weit und auch zu heiß.“
„Was ist mit dir los, du warst doch früher so lieb und jetzt bist du so anders. Ich geh jetzt und dann kannst du sehen wenn ich tot bin.“
Sie geht rein in die Stube und bleib auch da.
Jetzt wurde es Zeit ihr die Beruhigungstropfen zu geben. Ein halbes Schnapsgläschen voll gebe ich ihr. Sie trinkt das als Likör und schmecken tut es ihr auch. Die Wirkung merkt man allerdings erst nach ungefähr einer Stunde.
Ich muss also noch versuchen sie zu beruhigen. Dann auf einmal: „Ach, ich glaub wir bleiben hier.“ Ich kann ein wenig aufatmen, denn jetzt wird es etwas ruhiger zugehen.
Nun kommt etwas anderes. Sie zieht ihre Schuhe aus und will andere haben. „Ach, komm die sind doch gut, zieh sie ruhig wieder an.“ Das tut sie dann auch, nur wollte sie über den angezogenen Schuh den Zweiten auch noch drüberziehen. „Komm mal hilf mir, das geht nicht.“ Ich helfe ihr also beim Anziehen. Dann, nachdem sie auf dem Klo war, hatte sie die Schuhe wieder ausgezogen und wollte andere haben. Ich holte die Hausschuhe, aber die wollte sie nicht. Gut, dann brachte ich eben ihre Sommerschuhe. Mit denen war sie zufrieden. Da fällt mir ein, dass sie einmal ihre Hausschuhe in den Backofen gestellt hat.
Dann war sie mal im Schlafzimmer, als sie wieder heraus kam, hatte sie ihr Sommerkleid an, mit der Innenseite nach außen. Da musste ich eben helfen, dass das wieder in Ordnung kam. Zwischendurch immer wieder die Frage: „Und was machen wir jetzt?“
Dann beim Abendessen wie üblich das Problem mit den Tabletten. Da helfe ich ihr eine Toastbrotscheibe zu richten und in Häppchen zu schneiden. Es braucht viel gutes Zureden, dass sie wenigstens diese eine Scheibe Toastbrot isst. Als sie die halbe Portion gegessen hat, schiebt sie mir den Rest hin: „Das ist deines.“ Also noch einmal gut zureden. Aber ich bin zufrieden, dass sie ruhiger geworden ist.
Ihre neuste Angewohnheit ist, dass sie während des Essens aufs Klo will. Einmal habe ich sie gehen lassen, dann kam sie aber nicht mehr in die Küche und ich musste sie wieder an den Tisch holen.
Dann wieder das übliche Ritual mit dem Geschirr. Und immer wieder die Frage: „Und was machen wir jetzt?“
„Wir gehen in die Stube, ich mach den Fernseher an, hole mir ein Bier und dir einen Rotwein.“
„Au, ja.“
Sie schläft dann immer wieder ein und sagt zwischendurch einmal „Ach, wir gehen nicht mehr weg, ich bleibe hier.“ Das ist genau das, was ich ihr den ganzen Tag über einzureden versuchte.
Später dann gehen wir ins Bett. Beim Ausziehen ist es dann das selbe wie morgens.
„Zieh dein Kleid aus.“
„Welches Kleid?“
„Das, was du anhast.“
Muss ich eben helfen.
„Und nun deine Söckchen.“
Sie schaut mich ratlos an. Dann zeig ich es ihr eben. Dann will sie sich ins Bett legen.
„Moment! Erst vollends ausziehen und das Nachthemd anziehen“
Ich hol es unter dem Kopfkissen und lege es aufs Bett. Sie legt es wieder zusammen.
„Das ist der Ilse ihres“ und will es wieder unter das Kopfkissen legen. Das reicht mir dann.
„Jetzt ziehst du das Nachthemd an!“
„Du bist ganz anders als früher, da warst du viel lieber zu mir.“
„Du bist eben auch anders.“
So geht es noch eine Weile und schließlich liegen wir doch in unseren Betten und können schlafen.
Ich denk noch an das Lied: „Und wieder geht ein schöner Tag zu Ende--“.und schlafe ein.

 

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