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Interview mit der Bundesministerin

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Claudia Nolte (1996)

© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln

Es gibt kein Krankheitsstadium, in dem eine Demenz nicht mehr behandelt werden sollte!

Immer häufiger setzt sich auch die Bundesregierung mit dem Thema Demenz auseinander. Momentan bearbeitet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine große Anfrage zu dem Problemkreis. Mit einer abschließenden Stellungnahme wird bald gerechnet. Demenz-Spektrum (DS) hatte die Gelegenheit, die zuständige Bundesministerin im Vorfeld zu befragen.

DS: Frau Bundesministerin Nolte, Ihr Haus befaßt sich schon seit einiger Zeit mit dem Problemkreis Demenz. Unter anderem haben Sie veranlaßt, daß ein Expertengremium ein Programm für demenzkranke ältere Menschen erarbeitet. Was bezweckt dieses Programm und auf welchen weiteren Wegen engagiert sich Ihr Ministerium im Problembereich Demenz?

Nolte: Ich beabsichtige, auf der Grundlage der von Experten gewährleisteten fachlichen Analysen und Empfehlungen ein umfassendes Programm zu erstellen. Dieses soll helfen, die Lage der Betroffenen wie auch ihrer Angehörigen auf lange Sicht wirksam zu verbessern. Es wird deshalb in erster Linie Forderungen für die Gestaltung gesetzlicher Regelungen und Maßnahmen enthalten, aber auch konkrete Hinweise für die Ausgestaltung eines verbesserten Versorungsnetzes geben.

Darüber hinaus engagiert sich das von mir geleitete Ministerium auch durch Förderung von Forschung und Modellprojekten, z.B. einschlägiger Baumodelle für Demenzkranke. In diesem Zusammenhang geht es darum, neue Wege aufzuzeigen, die dementen älteren Menschen ein weitestgehendes Maß an Selbständigkeit, Eigenverantwortung und gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen. Gefragt sind hier Baukonzeptionen, die möglichst individuelle und maßgeschneiderte Angebote und Hilfen für psychisch betreuungsbedürftige Senioren integrieren.

Nicht zuletzt wird auch das von meinem Ministerium vorbereitete Altenpflegegesetz Demenz-Kranken zugute kommen. Sein Entwurf sieht nämlich als Ausbildungsziel vor, alle Altenpflegekräfte gerontopsychiatrisch zu qualifizieren.

DS: Welche weiteren Ansätze erscheinen Ihnen sinnvoll, die Versorgung Demenzkranker zu verbessern?

Nolte: Ich sehe es als eine der großen Herausforderungen meiner Altenpolitik an, den Anspruch Demenzkranker älterer Menschen auf ein Netz angemessener Versorgungsangebote einzulösen. Dazu gehört für mich der Auf- bzw. Ausbau eines funktionierenden Netzes teilstationärer Einrichtungen wie Tageskliniken und Tagespflege. Dabei ist auf Qualitätssicherung zu achten. Gerade für die besonderen Bedürfnisse psychisch beeinträchtigter alter Menschen müssen professionelle Standards verankert werden. Hier übernimmt der Gesetzentwurf über ambulante Dienste und teilstationäre Einrichtungen, der in meinem Hause vorbereitet wird, eine ganz besondere Funktion. Ziel der Gesetzesentwicklung sind Regelungen nach dem Vorbild des Heimgesetzes zum Schutz und zur Verbesserung der Interessenwahrnehmung der Nutzer dieser Dienste.

DS: Im letzten Jahr haben Sie in Hamburg erklärt, daß es kein Krankheitsstadium gibt, in welchem eine Demenz nicht mehr behandelt werden sollte. Damit sind Sie der immer noch verbreiteten Therapieresignation entgegengetreten. Wofür plädieren Sie statt dessen?

Nolte: In der Öffentlichkeit wird die Demenz immer noch überwiegend als extrem schicksalhaft und als nicht therapiefähig angesehen. Ich selbst gehe weiterhin davon aus, daß es kein Krankheitsstadium gibt, bei dem eine Behandlung entbehrlich ist. Die pauschalierende und unnötig polarisierende Frage "Therapie ja oder nein" verleitet zu unangemessenem Denken. Hilfreicher und sinnvoller ist es zu überlegen, in welchem Demenz-Stadium welche Therapie indiziert ist. Deshalb plädiert mein Ministerium nachhaltig dafür, in die Betreuung Demenzkranker immer allgemeinmedizinische und fachpsychiatrische Kompetenz zu integrieren. Dies kann bei Betreuungseinrichtungen in Form eines geronto-psychiatrischen Konsil- und Beratungsdienstes erfolgen. Ein solcher Dienst stützt und entlastet auch das Pflegepersonal.

Zum künftigen Regelangebot sollte gehören, daß die Teams von Sozialstationen auch Fachkräfte mit gerontopsychiatrischer Spezialausbildung einschließen. Ein Großteil dementer Senioren lebt alleinstehend, benötigt zugehende Hilfen und aufsuchende Betreuung. Regelmäßige Hausbesuche entsprechend geschulter Kräfte können darüber hinaus eine Früherkennung beginnender Demenzprozesse ermöglichen und die erforderliche Interventionen bereits in einem Stadium in Gang setzen, das noch gute Kompensationsmöglichkeiten und erfolgreiche therapeutische Ansätze verspricht.

Zu einem solchen System gehört selbstverständlich der Hausarzt als Koordinator. Ihm gegenüber haben die ärztlichen Organisationen die dringende Aufgabe, seine gerontopsychiatrische Befähigung zu verbessern und ihn für die Symptomfrüherkennung zu sensibilisieren. Leider scheitert die angemessene Versorgung im ambulanten Bereich häufig an Honorarfragen. Ich hoffe sehr, daß die zukünftigen Entwicklungen der Gesundheitspolitik hier größeren Spielraum eröffnen.

Schließlich möchte ich noch an die in Paragraph 45 Pflegegesetz getroffene Regelung erinnern: Sie sieht vor, daß die Pflegekassen für Angehörige und ehrenamtlich Pflegende unentgeltlich Schulungskurse anbieten, um so die Pflege und Betreuung zu erleichtern und Belastungen zu mindern.

DS: Welche Bedeutung messen Sie der gesetzlichen Pflegeversicherung für den Demenzkranken zu?

Nolte: Besonders bedeutsam ist die dort erfolgte Gleichsetzung von seelischen bzw. geistigen mit körperlichen Ursachen von Pflegebedürftigkeit. Zugleich wird anerkannt, daß der Hilfsbedarf Demenzkranker eigene Strukturen hat. So benötigen Demenz-Kranke speziell auch Hilfe in Form von Anleitung und Beaufsichtigung und nicht nur Unterstützung bei den Verrichtungen des täglichen Lebens. Für Demenzpatienten ist auch die gesetzliche Vorgabe wichtig, den Pflegebedürftigen zu aktivieren und seine Bedürfnisse nach Kommunikation zu berücksichtigen.

DS: Frau Bundesminsterin Nolte, vielen Dank für dieses Gespräch

Wir danken

für die Bereitstellung des Textes aus dem ZNS- bzw. DEMENZ-SPEKTRUM

 

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