Interview zu diesem Lied mit Donato Plögert:
"Sarah" ist ein Lied, das das Publikum bei Donatos Liveauftritten oft zu Tränen rührt.
Im Interview können Sie lesen, warum Herr Plögert beim Singen dieses Liedes oft selbst mit den Tränen kämpfen muß und warum er es wichtig findet, gerade solche Lieder zu singen ...
Gab es einen bestimmten Anlass, der Dich dazu brachte, dieses Lied zum Thema Altersdemenz zu schreiben?
Ja, ich bin vor zwei Jahren in einem Heim aufgetreten, wo eine Dame während meines Auftrittes neben mir saß und immer laut rief: "Ist das mein Sohn? Komm, Junge, bring mich wieder nach Hause, ich will hier nicht bleiben!"
- Und tatsächlich ist die Dame später mit mir bis auf die Straße gegangen, weil sie hoffte, ich würde sie nun mitnehmen und wieder in ihre alte Wohnung bringen...
Mir ging das sehr an die Nieren...
Sind es eigene Erfahrungen, die Du darin verarbeitet hast, also Erlebnisse mit einem Dir nahestehenden Menschen oder Beaobachtungen, die Du bei deinen Auftritten in Altenheimen oder ähnlichen Einrichtungen gemacht hast?
Man macht immer wieder ähnliche Erfahrungen, nur das erste Erlebnis war für mich besonders krass, da ich nicht vorher wußte, was mich bei meinem Auftritt erwarten würde.
Wenn man "Sarah" zum ersten Mal hört, glaubt man, daß Du über ein kleines Kind erzählst und erst am Ende erfährt man, daß es sich um eine alte Frau handelt, die an Demenz erkrankt ist.
Warum hast Du die Dramaturgie so aufgebaut?
Weil so - meiner Meinung nach - die Menschen besser zuhören. Sie sollen ja erkennen, daß hier jemand mit viel Liebe und Verständnis handelt. Und demente Menschen, die sich selber nicht mehr im Alltag durchschlagen können, tendieren ja zu einer gewissen kindischen Sturheit, die aber zugleich liebenswert ist und sehr, sehr traurig macht, gerade auch dann, wenn es sich um die eigene Mutter handelt, die früher ihren Sohn gewickelt und gefüttert hat, was dieser nun heute bei ihr tun muß.
Gibt es die Sarah, die Du in diesem Lied besingt wirklich?
Natürlich gibt es sie überall, genau wie "Die Alte mit dem Hackenporsche". Ich singe für und über diese Menschen Lieder, die keine eigene Stimme mehr besitzen, um an die Öffentlichkeit zu appellieren, ein wenig mehr Verständnis und Menschlichkeit untereinander zu zeigen.
Wir wissen aus unserer eigenen Erfahrung, daß dieses Lied wirklich mitten ins Herz trifft und uns bei jedem deiner Auftritte, die wir bisher miterlebt haben, die Tränen in die Augen getrieben hat und wie wir beobachten konnten, ging es vielen anderen Zuschauern/Zuhörern auch so.
Ist das immer so, wenn Du dieses Lied bringst und bist Du schon öfter von Zuschauern auf dieses Lied und die Thematik angesprochen worden?
Beim ersten Mal war ich sehr verwirrt, weil kein Applaus kam - und ich dachte, das Lied wäre am Publikum vorbei... Bis dann das Licht anging und ich die Menschen vor mir weinen und sich schneuzen sah.
Natürlich sprechen mich immer wieder Menschen und Zuhörer darauf an, das Lied soll ja zu Gesprächen und Diskussionen anregen. Ich selber bekomme jedesmal, wenn ich es singe, eine Gänsehaut und muß auch mit den Tränen kämpfen. Ich glaube, das spüren die Menschen.
Was fühlst Du selbst, wenn Du dieses Lied auf der Bühne singst und kommt es schon mal vor, daß Dir beim Singen dieses oder auch anderer trauriger Liedern auf der Bühne selbst die Tränen kommen oder die Stimme zu versagen droht?
Udo Jürgens sagte einmal: "Wenn wir Sänger auf der Bühne das meinen, was wir singen - mit allen Emotionen und Erfahrungen, die wir in dieses Lied legen - dann ist es so, daß wir unter unserem Smoking noch immer und jedesmal wieder eine Gänsehaut bekommen."
Wenn Du nicht Künstler wärst, könntest Du Dir vorstellen in einem Altenheim zu arbeiten und Dich dort auch um Demenzkranken zu kümmern oder könntest Du Dir vorstellen, einen Dir nahe stehenden an Demenz erkrankten Menschen selbst zu pflegen, so wie Du es in Sarahs Geschichte erzählst?
Nein, ich könnte auch in keinem Tierheim arbeiten, grundsätzlich nirgends, wo ich vorher schon weiß, daß diese Arbeit mit emiotionalen Verlusten behaftet wäre. Ich würde da zuviel eigenes Gefühl und zuviel Federn lassen. Dafür bin ich seelisch nicht stark genug gebaut und habe wohl auch zu wenig Abstand. ABER: Ich versuche wenigstens auf meine Art, auf diese Themen aufmerksam zu machen mit meinen Liedern.
Du erzählst in deinen Liedern ja öfter Geschichten über alte Menschen, in denen es um Themen wie Einsamtkeit (z.B. "Die Alte mit dem Hackenporsche" oder "Paulchen") oder Krankheit (bei "Sarah") geht. Möchtest Du deine Zuschauer/Zuhörer damit "wachrütteln" und sie auffordern sich mehr um die älteren Menschen in ihrer Umgebung oder im Verwandten- und Freundeskreis zu kümmern?
Natürlich, ich halte es es sogar für eine Pflicht, als Künstler zu vermitteln zwischen Altersgruppen und Andersdenkenden. Das ist für mich eine der höchsten Aufgaben.
Hast Du selbst Angst davor im Alter einsam zu sein?
Ich weiß nicht, ich habe einmal geschrieben:
"Ich werd nie allein sein,
ich werd nicht im Schweigen steh`n
Nur durch leere Räume geh'n
liegt mir nicht
denn ich will Menschen seh`n"
- Ich glaube, man hat das auch ein bißchen selber in der Hand, man kann auch im Alter noch Freunde finden, wenn man ihre über Jahrzehnte angelebten Macken toleriert - und sie das umgekehrt auch tun.
Ich werde zumindest versuchen, diesen Weg zu wählen mit meinem Hackenporsche in der Hand...
Gibt es noch etwas, was Du selbst zu "Sarah" sagen möchtest?
Ja: Eine Freundin von mir hatte jahrelang ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Mutter. Dann starb die Mutter nach langem Leiden und die Tochter legte ihr einen mehrseitigen Brief in den Sarg, in dem all das stand, was zwischen den beiden ungesagt blieb.
Das finde ich schlimm, deshalb meine Bitte: Egal, wie schwer es ist und egal, was vorher geschah: Redet zu Lebzeiten miteinander, denn nur da lohnt es sich noch und kann das Herz des Anderen noch vor Freude schneller schlagen lassen, bevor es für immer zu schlagen aufhört.
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