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Mangelernährung
und
Fehlernährung
im Alter



Welche Ursachen führen zu Mangelernährung und Fehlernährung?

Was müssen Heimköchinnen und –köche darüber wissen?

Was können sie tun?

PD Frau Dr. med. Daniela Schlettwein-Gsell, Basel

Als Mangel- oder Fehlernährung wird in der deutschen Sprache sowohl eine ungenügende oder fehlerhafte Zusammensetzung der Nahrung als auch ein suboptimale Ernährungszustand bezeichnet. Es ist wichtig, diese beiden Begriffe auseinander zuhalten, weil sie nicht von den gleichen Faktoren abhängen: Die Zusammensetzung der Nahrung wird durch äußere Umstände beeinflusst, u.a. finanziellen und soziokulturellen Voraussetzungen wie Verfügbarkeit, Auswahl und Zubereitung der Nahrung. Der Ernährungszustand andererseits hängt vom Körperzustand ab und wird durch Stoffwechselfunktionen, Krankheiten und Medikamentenkonsum beeinflusst. Der Gehalt der Nahrung an den bekannten essentiellen Nährsubstanzen kann durch chemische Analysen recht genau bestimmt werden. Schwieriger zu interpretieren sind die verschiedenen Indikatoren, die zur Bewertung des Ernährungszustandes entwickelt wurden und auf denen die allgemeinen Empfehlungen zur Prävention verschiedener Krankheiten beruhen. Ihre Bedeutung für Menschen im hohen Alter, wie sie die Heimbewohner mehrheitlich stellen, ist umstritten. Auf einige dieser Punkte weist die Tabelle hin. Die Energie- und Eiweisszufuhr sowie der Gehalt der Nahrung an oxydierenden Substanzen scheinen in diesem Lebensabschnitt wichtiger zu sein als der Fett- oder der Kalziumgehalt.

Die zunehmende Einsicht, dass in Gemüsen und Früchten gesundheitsfördernde Substanzen enthalten sind, die bisher nicht identifiziert wurden, führt dazu, dass die Qualität der Nahrung vermehrt nach der Häufigkeit von Lebensmittelgruppen beurteilt wird. Auf diesen Kriterien beruhen auch die international entwickelten Messinstrumente zur Identifikation von Risikogruppen. In der Schweiz am meisten verwendet wird der MNA, ein Fragebogen zum "Mini Nutritional Assessment“ einer ersten raschen Beurteilung des Ernährungszustandes.

Von den zuhause lebenden alten Menschen stellen etwa 5 bis 10% ein Risiko in Bezug auf ihren Ernährungszustand dar. In Institutionen und Heimen sind dies bis zu 60%. Der krasse Unterschied erklärt sich durch die grössere Prävalenz von Krankheiten und Medikamenten.

Er beruht aber auch auf der Tatsache, dass im Alter Durst, Hunger und Geschmacksempfindungen verschwinden. Solange ein Mensch zuhause im gewohnten Umfeld lebt, werden Defizite durch die über Jahrzehnte eingespielten äusseren Auslöser wie Essenszeiten, Tischgenossen, Zubereitungsart und übliche Mengen auch bei dementen Menschen noch über längere Zeit weitgehend kompensiert. Bei einem Eintritt in ein Heim bricht dieses Leitplankengerüst zusammen und kann nur schwer wieder aufgebaut werden. So kommt es vor, dass da Körpergewicht in unerwünschtem Masse ansteigt, weil man gewohnt ist, den Teller leer zu essen, oder dass nur noch die Hälfte der gewohnten Mengen getrunken wird, weil die Tasse zuhause doppelt so gross war. Eine an Nährstoffen reiche Nahrung wirkt sich auch im Alter von mehr als 80 Jahren positivauf Gesundheitszustand, cognitive Fähigkeiten und sogar die Überlebenszeit aus. Für den alten Menschen noch wichtiger als die präventive Bedeutung der Nahrung ist die Tatsache, dass die Mahlzeiten eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten darstellen, um bewusst zu geniessen, die Gegenwart zu erfahren und vielleicht sogar noch Entscheidungen selber zu treffen.

Zusammenfassend hat also die Nahrung im hohen Alter möglichst reich an essentiellen Substanzen zu sein und muss gleichzeitig der Genussfähigkeit, den Erfahrungswerten und den sozialen Kompetenzen der einzelnen Rechnung tragen. So einfach sich dies in der Theorie anhört, so schwierig ist die Umsetzung in die Praxis.

Gewisse Hinweise zur Erleichterung der praktischen Durchführung lassen sich formulieren:

Die Küche hat am ehesten Erfolg, wenn die Gerichte nach traditionellen Gesichtspunkten zubereitet werden, Früchte und Gemüse nicht als Salate, sondern vorsichtig gedämpft, beziehungsweise als Kompott gereicht werden. Mit etwas Fantasie und Toleranz lässt sich Fingerfood auch auf diese Weise anbieten. Die vielen Möglichkeiten von Suppen, die auch zur Flüssigkeitsaufnahmen beitragen, sollten genutzt werden. Suppen sind aus der Kindheit vertraute Erlebnisse und werden oft als angenehmer empfunden als kalte Säfte. Sprossen und Kerne sind mühsam zu essen. Stark aromatische Kräuter und exotische Gewürze können ungewohnte Geschmackssensationen auslösen und sind mit Vorsicht zu verwenden. Auf Salz soll nicht einfach verzichtet werden. Wenn es unumgänglich erscheint, angereicherte Lebensmittel zu verwenden, so zeigen angereicherte Getränke eher Erfolge als angereicherte Speisen wie dies neue Untersuchungen aus Holland zeigen.

Es gibt keine Lebensmittel oder Geschmacksrichtungen, die im Alter grundsätzlich bevorzugt werden; das haben Befragungen eindeutig ergeben. Die Bevorzugung beispielsweise von süssen Gerichten ist individuell und kann sich sogar beim selben Individuum von Zeit zu Zeit verändern.

Gerade auch deshalb ist es wichtig, dass die Mahlzeitengestaltung für jeden einzelnen Heimbewohner in regelmässigen Abständen individuell besprochen wird: soweit irgend möglich mit dem ihm selbst, mit dem Pflegepersonal aber eben jedenfalls auch mit allen Personen, die an der Herstellung der Mahlzeit mitwirken. Miteinbezogen werden müssen die Angehörigen ebenso wie regelmässige Besucher. Es lohnt sich, Ess- und Trinkgewohnheiten der Betroffenen schriftlich festzuhalten und die Gültigkeit der Eintragungen regelmässig zu überprüfen, die Angehörigen ausführlich nach den früheren Gewohnheiten zu befragen und Besucher zu bitten, zu einer sinnvollen Kost, die gerne gegessen wird, beizutragen – sei es durch angepasste Mitbringsel, sei es durch Teilnahme oder Hilfe bei der Mahlzeit selbst. Es gilt heute als sicher, dass auch schwer demente Menschen die Nahrung vornehmlich dann verweigern, wenn die Betreuung hastig, uneinsichtig oder überfordert erfolgt.

Wenn die Zeit zum Sterben gekommen ist, müssen diese Überlegungen intensiviert werden. Nur unter seltenen ganz spezifischen Umständen ist es zulässig einen Heimbewohner zur Nahrungsaufnahme zu zwingen.


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Folgen von Fehlernährung – besondere Probleme im hohen Alter

Kriterium in der Nahrung Kriterium beim Patient Bei Mangel besteht die Gefahr von Besondere Bedeutung im hohen Alter
Energie Körpergewicht Untergewicht Kachexie und allgemeine Nahrungsdefizite
Eiweiss Serumalbumin Hypoproteinaemie Begleitsymptom vieler Krankheiten
Kalzium Knochendichte Osteoporose Wirkung von Kalzium im hohen Alter umstritten
Eisen Haemoglobin Blutarmut Begleitsymptom vieler Infektionen
Zink Alk. Phosphatase Geschmacksverlust Trägt zur Nahrungsver-weigerung bei
Magnesium Serummagnesium Herzrhythmusstörung .
Vitamine A, E, C Serumwerte Neoplasmen, Demenz Herz-/ Kreislaufstörungen, Immunologie Antioxydierende Wirkung auch im hohen Alter
B-Komplex Vitamine Serumwerte Störung im Stoffwechsel und Nervensystem .
Vitamien B12 Serumwert Anaemie Co-faktor im Alter oft erniedrigt
. . Bei Überschuss besteht Gefahr von: .
Fette Serumlipide Herzkreislaufkrankheiten Im hohen Alter sind die Zusammenhänge umstritten
Kochsalz . Erhöhter Blutdruck Kochsalz wird wichtig für die Geschmacks- Empfindung

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Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von CURAVIVA
Das Original dieses Beitrags finden Sie hier als PDF-Datei (364 kb).
Gefunden und Genehmigung zur Übernahme ins AlzheimerForum eingeholt von Christian Kolb am 6.12.03.


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