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Bad Aibling 2001

Der Bericht ist gedacht sowohl für unsere Familie, unsere Helferinnen, die behandelnden Ärzte, für das ATZ und evtl. auch für unsere Freunde oder andere interessierte Zeitgenossen bzw. Betroffene. Manches setze ich voraus, anderes ist vielleicht bekannt, ich schreibe einfach von der Leber weg.

Der Einfachheit halber schreibe ich von meiner Frau als "Monika". Nachdem ich im April 2000 die Adresse vom ATZ in Bad Aibling über eine Angehörigengruppe (SOFA) in Nürtingen bekam, habe ich im Sommer 2000 den Kurantrag an die Krankenkasse gestellt. Dieser wurde zunächst abgelehnt. Ich legte Widerspruch ein und besorgte jetzt zwei Atteste vom Hausarzt und Neurologen.

Diese Kur sollte auch mir als berufstätigem Ehemann und pflegendem Angehörigen helfen, etwas Abstand vom Alltag zu gewinnen und wir hofften, die Progredienz der Krankheit zu verlangsamen. Im November 2000 wurde der Antrag dann für 3 Wochen genehmigt, und für Januar 2001 planten wir den Aufenthalt in Bad Aibling. Während der Kur habe ich dann noch eine Verlängerung beantragt, weil das Behandlungsprogramm auf vier Wochen basiert.

Wir fuhren bewusst mit der Bahn nach Bad Aibling, wir wollten uns dort ganz der Kur widmen. Es ist eine Reha-Kur für den Patienten, in Begleitung seines Angehörigen. Man hat dort weniger medizinische Anwendungen, sondern im wesentlichen Gesprächs- od. Kunsttherapien, psychologische- oder Entspannungssitzungen, Gymnastik, Massageübungen, sowie sozialpädagogische Informationen, getrennte oder gemeinsame Sitzungen von Patienten und Angehörigen, sowie den Aufenthalt in einer hier 18-köpfigen, zufälligen Gruppengemeinschaft mit gleichartigen Problemen.

Ich erwartete keine grundsätzlich neuen Behandlungsmöglichkeiten, keine Besserung der Krankheit, ich weiß, was im Laufe der nächsten Jahre auf mich zukommt, aber doch freute ich mich auf Gespräche und Austausch mit den anderen Angehörigen (da sie mir zu Hause fehlen), wollte einen Vergleich der anderen Patienten zu meiner Frau, den Fortschrittsgrad der Krankheit im Vergleich zu vor 2 Jahren, dass man vielleicht etwas zu den kalten Händen sagen könnte, Umgang mit der beginnenden Inkontinenz, neuester Stand der Medikamenten-Entwicklung und nicht zuletzt auch mal Zeit für mich, ohne Planungen und Sorgen für den Tag.

Bad Aibling, 60 km von München und in der Nähe von Rosenheim, liegt in Oberbayern. Ca 12.000 Einwohner, Kurort, ruhig und ländlich-bayrisch. Seit langem gibt es hier Moorbäder, und in neuerer Zeit mehrere Reha-Rheuma-Neuro-Kliniken. Ein alter Stadtkern, das Kurhaus mit einem großem Park und im Sommer ein großer Freizeitpark. Wir waren im Januar hier, das Wetter nicht sehr gemütlich, eine Frostperiode. Verschiedene Linienbusse verkehren mit Haltestelle vor der Haustüre, auch der so genannte "Moor-Express" für uns Gäste kostenlos.

Die neu erbaute Neurologische Klinik liegt hübsch am Ortsrand zu Kolbermoor gelegen, mit Weitblick zu den Chiemgauer Bergen, zum Kaisergebirge und zum Wendelstein. Das Alzheimer-Therapie-Zentrum ist eine Abteilung der Neurologischen Klinik Bad Aibling, es gibt eine Zusammenarbeit mit der TU München (Klinikum rechts der Isar).

Das ATZ-Haus liegt separat und ca. 300 m vom Haupthaus entfernt als eine Appartment-Wohnanlage. Vorteil des separaten Hauses: man ist unter Gleichgesinnten (Gleichkranken unter sich, zwangsläufig die Gruppe immer zusammen, gemeinsamer und von anderen unabhängiger Speiseraum, im Sommer wohl sehr praktisch mit Terrasse und Schwimmbadnähe, und übrigens ziemlich stadtnah. Die Appartements sind sehr geräumig, großzügig und absolut sauber. Das Reinigungs- und Küchenpersonal ebenfalls sehr sauber und aufmerksam.

Küche mit drei Menüs zur Auswahl, ausgezeichnet, ausgewogen und genügend. Frühstück und Abendessen mit reichhaltigem Büfett und jeden Tag Kaffee u. Kuchen, mehrmals sogar Torte. Doch soviel konnten wir gar nicht essen, besonders die älteren Herrschaften, und es stand leider auch im Gegensatz zu den Vorträgen über die mediterrane Kost!

Wenn man sich nicht scheute, sich anzuziehen und 10 min. zu Fuß gehen, konnte man die Möglichkeiten des Haupthauses nutzen. Doch man muss bedenken, dass die meisten Mitglieder unserer Gruppe zwischen 70 und 80 Jahren alt sind, und jedes An- und Ausziehen für den Angehörigen eine doppelte Belastung ist!

Zum Personal bzw. zu den Therapeuten:

Leiterin ist Frau Dr. Romero, dazu eine Assistenzärztin, eine Krankenschwester, ein Psychologe, eine Sozialberaterin und eine Kunst-Therapeutin. Zusätzlich waren noch Praktikantinnen etc. da, vorübergehend eine Heilpraktikerin, die mit Monika Reflexzonenmassage machte, sowie Diätassistenten vom Haupthaus; die vielen Leute waren dann doch etwas verwirrend für die Patienten. Ich denke, manche Angehörige hat es auch überrascht, dass fast nur junge Therapeuten hier waren. Also sehr viel Personal für uns 18 Leute!

Angenehm überrascht waren wir von der Visite von Prof. Dr. Förstl von der TU-München, erstens dass er sich um uns kümmerte und zweitens war er außerordentlich angenehm, kompetent und einfühlsam. Vom Oberarzt des Haupthauses gab es regelmäßig Visiten mit der Assistenzärztin. Mit unserer Bezugs-Therapeutin haben Monika und ich uns sehr gut vertragen. Viele wussten nicht, was Kunsttherapie hier überhaupt bedeutet und was man daraus machen kann.

Am ATZ arbeitet man nach dem von Fr. Dr. Romero entwickelten Prinzip der Selbst-Erhaltungs-Therapie (SET), also nicht sich selbst erhalten, sondern das SELBST erhalten (das Selbst des Patienten, seine Persönlichkeit und seine verbliebenen Fähigkeiten). Unsere Gruppe war - wie gesagt - bunt zusammengewürfelt (oder hat man ein wenig gezielt vorbedacht??) und wir sind uns aber erst nach einer Woche nähergekommen und haben dann alle ein sehr gutes Verhältnis und Gemeinsamkeitsgefühl gehabt. Das ist nicht immer selbstverständlich!

Anfänglich sind wir etwas getrennte Wege in die Zimmer gegangen. Die erste "Kunsttherapie-Sitzung" für die Angehörigen (in der wir eigentlich nichts herstellten) brach dann das Eis, nachdem wir uns hier endlich vom Herzen reden konnten, für die meisten war das "Sich-frei-reden" eine Wohltat. Fazit: Diese erste Angehörigen-Aussprache hätte früher sein können. Monika und ich sind in diesem Jahr 2001 als erste im ATZ eingetroffen, und warteten gespannt auf die andern. Wir waren dann 9 Familien (eine Familie = Patient + Angehöriger) mehrheitlich aus dem süddeutschen Raum (Je weiter nördlicher, desto unbekannter ist diese Therapiemöglichkeit).

Es waren dann 5 Frauen und 4 Männer als Patienten, (es erkranken eher mehr Frauen als Männer) mit Angehörigen, diesmal ausnahmslos Ehepartner, so war es eine wirklich homogene Gruppe. Es kommt vor, dass auch Töchter einen Elternteil pflegen und als Angehörige dabei sind. Wir waren mit Abstand leider die jüngsten, die meisten Gruppenmitglieder waren im Alter zw. 70 und 80 Jahren (auch darüber). So wurde ich scherzhafterweise der Junior genannt (56!) , die nächstjüngeren waren 10 Jahre älter. Es gibt seltener so frühe Fälle mit 40 oder 50 Jahren, die Krankheit kann aber vereinzelt schon mit 30 Jahren auftreten. Bei meiner Frau Monika begann es mit ca. 50 Jahren. Im ATZ werden auch spezielle Programme für eher jüngere Familien und für leichter Erkrankte angeboten.

Überraschend waren die guten Tischsitten, die von allen Patienten noch sehr gut eingehalten wurden, alle aßen mit Messer und Gabel, außer Monika, die nur noch mit einer Hand aß (nur Gabel, oder Löffel). Ich kann mir vorstellen, dass das Essen bei anderen Patienten große Schwierigkeiten bereiten kann, bzw. Patienten gefüttert werden müssen. Bei uns wussten fast alle auch ihre Plätze am Tisch, nur meine Frau fand ihren Stuhl nicht!

Durch die altersbedingte Unbeweglichkeit der meisten anderen Patienten waren nur wenige Aktivitäten außerhalb möglich, außerdem hatten manche hier mit Darmverstimmungen oder zu hohem Blutdruck / Zucker zu kämpfen und entsprechende Arzneien einzunehmen. Bei uns war es einfach, wir hatten nur die tägliche 10 mg Aricept-Tablette.

In der Tat waren wir beide noch wesentlich beweglicher als die andern, auch als deren Angehörige, trotz der schon weit fortgeschrittenen Alzheimer Krankheit meiner Frau. Deshalb organisierte ich auch für alle einige gemeinsame Aktivitäten, wie den ersten "Hausabend", einen Theaterbesuch mit 2 x Taxifahrt mit Tischreservierung für die ganze Mannschaft, war Hausfotograf und habe für alle nachbestellt, usw.

Zum Ablauf:

Vor den Therapien steht die Eingangs-Untersuchung mit Blutdruckmessungen, Blutentnahme, Wiegen, EKG usw. und wiederholter Wiege / Blutkontrolle. Dazu meist eine individuelle Medikamentenverordnung. Für die Patienten gab es teils Gruppentherapien oder nach Lage der Dinge auch Einzelsitzungen: Leichte Gymnastik, Massagen, Versuche zu spielen, Spaziergänge, Singen, Geräusche hören, mitgebrachte Alben anschauen, Erinnerungen wachrufen, Kassetten und andere Musik hören, es gab auch zwei organisierte Musik / Singabende. Etwas getrennt dazu die Kunsttherapie, mit Versuchen, dass die Patienten mit Kreide oder Wasserfarbe etwas aufs Papier bringen. Modellieren, Umgang mit Stoff oder anderen Dingen war auch möglich.

Die Patienten waren morgens meist 3 und mittags ca. 2 Stunden versorgt, und die Angehörigen waren in getrennten Sitzungen oder hatten "patientenfrei". Die Therapiepläne waren manchmal missverständlich, man musste erst 2-3 mal durchlesen. Vielleicht ließen sich diese in der Form eines Schul-Stundenplanes für morgens und nachmittags in zwei Spalten für Patienten und Angehörige besser lesen. Was die Patienten in ihrer Gruppe eigentlich gemacht haben, oder wie sie reagiert haben, erfuhren wir kaum, obwohl uns das brennend interessiert hätte. Die Patienten konnten es ja nicht berichten! Vielleicht können die Therapeuten später etwas davon erzählen.

Die Angehörigen waren zusammen in der Angehörigengruppe, mal mit Gymnastik oder Igelball-Massage, mal mit Entspannung (Autogenes Training) oder mit informativem Gedankenaustausch bei der (eigentlichen) Kunsttherapie. Aber das tat gut! Am liebsten hätten wir stundenlang dort diskutiert und die "Kunst" vergessen. Trotzdem brachten wir einige "Kunstwerke" wie Einzelbilder, gemeinsames Wandbild in der Malsprache, gemeinsames Tisch-Aquarell "die 4 Elemente" oder Tiermodelle, die unsere Patienten darstellen sollten, zustande.

Die Angehörigengespräche mit medizinischem und psychologischem Schwerpunkt waren für alle äußerst informativ, z.B. Arten von Demenz und deren Symptome, oder wie wir unseren Familien oder Freunden beim Heimkommen beibringen, dass wir jetzt erholt, aber nicht gesund sind! Die verschiedenen Medikamente und deren Wirksamkeit war ebenfalls sehr wichtig.

Die Freizeitaktivitäten waren eigentlich vielfältig, doch wegen der meist älteren Patienten, und im Winter, sehr schwierig auszuüben. Trotz der Kälte hatten wir für das benachbarte Schwimmbad in "Klinik Harthausen" eine 10-er Karte zum Schwimmen, machten oft forsche Spaziergänge, nahmen 1 x an einer Busausfahrt (Kufstein) teil, besuchten mehrere Dia- und andere Vorträge im Haupthaus, waren 2 x im Theater und 2 x zum tanzen (wenn man noch tanzen sagen kann!)

Einige Stadtbummel oder Einkäufe mit Transfer durch den lustigen Moor-Express-Fahrer durften nicht fehlen. Selten so gelacht im Linienbus! Im Sommer ist es bestimmt noch angenehmer mit den Möglichkeiten in dem Hausprogramm der Kliniken, im Kurhaus, Erlebnispark, örtliche VHS usw. Über meine Frau Monika und die Ereignisse in dem ATZ gäbe es natürlich an dieser Stelle viel zu sagen. Nur einiges kann ich hier notieren:

Durch die anderen Örtlichkeiten fand sie hier nicht die Toilette, in den ersten 10 Tagen machte sie dreimal eine Pfütze, und ich versuchte dies peinlichst zu verbergen. Später habe ich sie an die Zeiten trainiert und es hat dann geklappt, aber nur zweimal ging sie wirklich allein! Sie hat mir auffallenderweise dort immer wieder bestimmte Dinge aus dem Zimmer nachgetragen. Sie redete vor der Kur wenig, doch zum Schluss sagte sie öfters mal ein passendes (oder auch unpassendes) Wort. Auch die Zeichensprache fing sie an, sie stupfte mich, um mir etwas zu sagen oder zu zeigen. Allerdings hat sie einfach mal das halbvolle Sprudelglas auf den Tisch gekippt.

Die Massagen haben Monika sehr gut gefallen und nach der Patientengruppen-Stunde kam sie oft erhitzt und heiter aus dem Gruppenraum! Überrascht war ich, dass die Krankheit bei Monika einen relativ schnellen Verlauf nimmt. Ich bildete mir ein, da sie noch jünger ist, verzögert es sich mehr. Ja, das ist bitter.

Für uns bleibt es beim Medikament Aricept, 1x täglich 10 mg, wir können und sollen es noch länger einnehmen. Gut, dass wir nur eine Arznei haben! Was Monika noch alles gut tut und was wir machen sollen, steht ja alles in der Schlussempfehlung des Hauses. Das brauche ich hier nicht zu wiederholen - ich habe mir aber schon eine "Maßnahmenliste" erstellt. Noch habe ich gute Vorsätze, doch wann wird mich der Alltag als Berufstätiger und mit immer weniger Zeit wieder einholen?

Zum Ende meines Berichtes hoffe ich, die Krankheit noch möglichst lange hinauszuziehen, die Gruppenbetreuung oder Tagespflege zu nutzen, so dass wir noch ein paar Jahre gut damit leben können, noch etliche Ausflüge unternehmen können, dass meine Arbeitskraft und Pflegekraft erhalten bleibt und dass wir vielleicht noch ein- oder zweimal ins ATZ kommen können.

 

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